Steigende Einwohnerzahlen, einsetzende Verdrängungsprozesse in attraktiven Stadtteilen und die zu befürchtende Wohungsknappheit haben dazu geführt, dass im Dezernat für Stadtentwicklung und Bau die Fortschreibung des seit den 1990er Jahren eingeführten, bundesweiten Wohnraumversorgungs- und Wohnungspolitischen Konzepts als unumgänglich erachtet wurde. Baubürgermeisterin Dorothe Dubrau und Stefan Heinig, Abteilungsleiter Stadtentwicklung im Stadtplanungsamt, präsentierten heute der Presse die Vorgehensweise zur Fortschreibung des Konzepts.

Das letztmalig 2009 aktualisierte Konzept soll nun in einem mehrteiligen Verfahren überarbeitet werden. Der sich wandelnde Wohnungsmarkt veranlasste den Stadtrat im Oktober zum Antrag, das Konzept samt Richtlinien und Instrumenten an die gegebenen Bedingungen einer wachsenden Stadt anzupassen.

Viele der 30.000 leerstehende Wohnungen sind nicht bewohnbar, so dass bei einem gleichbleibenden Bau- und Sanierungsniveau und bei einem jährlichen Zuzug von ca. 10.000 Personen der Wohnraum in naher Zukunft knapp werden könnte. Vor allem im preisgünstigen Segment zeichnen sich Mangelerscheinungen ab. Die vielen luxussanierten Immobilien der Weststadt sprechen hierbei ein klare Sprache.

Um dieser Entwicklung schon jetzt entgegenzuwirken, sollen Handlungsstrategien entwickelt werden, die Marktsituationen wie in Berlin oder Hamburg verhindern sollen. “Auch wenn gesamtstädtisch gesehen noch kein dringender Handlungsbedarf besteht, wollen wir aber frühzeitig Strategien entwickeln, um angemessen auf den Wachstum reagieren zu können”, betont Dubrau.

Finanziert wird das 70.000 bis 80.000 Euro teure Vorhaben zu rund 35 Prozent aus der Stadtkasse. Der Rest des Geldes (52.750 Euro) wird von den Akteuren zur Verfügung gestellt. Bis Anfang 2015 soll das Konzept von der Verwaltung erarbeitet und als Beschlussfassung dem Stadtrat vorgelegt werden. Allerdings beinhalte das Konzept lediglich Handlungsrichtlinien, an die private Unternehmen rechtlich nicht gebunden sind. Lediglich für die Verwaltung und der ihr nahen LWB ist das Konzept verbindlich.

Zur Erarbeitung des Konzepts wurde ein “Akteurs- und Expertenkreis” gebildet, der in vier Workshops Positionen erarbeiten soll, die als Grundlage für die Ausarbeitung des Konzepts durch die Verwaltung dienen soll. Der Kreis besteht aus sieben Vertretern von LWB und Wohnungsbau-Genossenschaften, neun Vertretern privater Immobilienunternehmen, zwei Makler und vier Vertretern von Baugruppen, Bauprojekten und Kleineigentümern. Hinzu kommen vier eingeladene Verbände. Zwei davon sind Interessenvereine von Hauseigentümern, dazu kommt die Verbraucherzentrale und der Mieterverein. Zu den Experten gehören neben Prof. Dr. Dieter Rink (Umweltforschungszentrum) und Tobias Jacobs (Analyse & Konzepte) auch Vertreter aus Bremen, Nürnberg, Dresden und Halle.In einem ersten Workshop, der am 14. Mai stattgefunden hat, wurde die Wohnungsmarktsituation bewertet und sondiert, welche Themen in Zukunft wichtig sind. Dabei könnten Themen wie die Mietpreisbremse, die Integration des Umlands oder der soziale Wohnungsbau eine Rolle spielen.

Das Netzwerk “Stadt für alle” kritisierte bereits im Vorfeld die Zusammenstellung des Kreises und sieht die Mieterinteressen unterdurchschnittlich repräsentiert. “Wir befürchten aber bereits jetzt, dass die Auswahl der “Akteure” im Ergebnis bewirkt, dass die großen Player am Markt ihre Forderungen (städtische Förderung für möglichst viel preisungebundenen Neubau) ungehindert ins Wohnungspolitische Konzept der Stadt Leipzig schreiben können. Dabei ist die Auswahl der Akteure möglicherweise gar kein böser Wille: die Stadt wird jene Akteure angeschrieben haben, die schon aktiv sind, und den Markt momentan bestimmen. Das aber ist fatal”, heißt es in einem Positionspapier von “Stadt für alle”.

Dubrau räumte auf die Kritik hin ein, dass sie sich vorstellen könnte, einen weiteren Platz für andere Initiativen im Akteurs- und Expertenkreis zu schaffen. Allerdings müssten sich die Initiativen auf einen Vertreter einigen.

Neben dem Akteurs- und Expertenkreis sei die Beteiligung der Öffentlichkeit aufgrund der Umbruchsituation unumgänglich. Man hätte auch ein Gutachten in Auftrag geben und dieses nach der politischen Diskussion dem Stadtrat vorlegen können.

Aus diesem Grund lädt die Stadt zu drei öffentlichen Veranstaltungen ein. Die erste dieser Veranstaltungen wird es am Montag, 2. Juni, im Rathaus geben. Ab 18 Uhr können alle Interessierten unter dem Motto “Wohnen in einer wachsenden Stadt: Wie bleibt Leipzig auch zukünftig attraktiv?” mit Vertretern der Stadtpolitik und des Expertenkreises ins Gespräch kommen. Zwei weitere öffentliche Veranstaltungen sind für September und Oktober/November geplant.

“Stadt für alle” ist auch hierbei kritisch: “Wir befürchten, dass es sich bei dem geplanten öffentlichen Forum am 2. Juni lediglich um eine Informationsveranstaltung des Gremiums handelt, die nur der Absicherung der bereits besprochenen Inhalte dient und letztlich als Stichpunktgeber herhält. Wir zweifeln die Ernsthaftigkeit der öffentlichen Diskussion an. Diese Einschätzung speist sich aus Erfahrungen mit Formen der BürgerInnenbeteiligung in der Vergangenheit, wie etwa dem Forum zur Stadtteilentwicklung des Areals um den Bayrischen Bahnhof.”

Es wird befürchtet, dass sich die Akteure selbst eine Legitimationsgrundlage aus der öffentlichen Hand schaffen könnten und damit Ziele verfolgen, die auch ohne das Wohnungspolitische Konzept durchsetzbar wären. “Die Zielformulierung aus dem Wohnungspolitischen Konzept muss mit konkreten Umsetzungen einhergehen und darf nicht nur symbolische Politik bleiben. Wir fordern ein Verfahren zur Erarbeitung des Wohnungspolitischen Konzepts, das diese Beteiligung für relevant hält und ermöglicht. Circa 80 Prozent der Leipziger Bevölkerung wohnen zur Miete. Dieses Verhältnis muss sich zumindest in der Besetzung des Akteurkreises niederschlagen”, so die Forderung des Netzwerks.

Ob der Forderung nach bezahlbarem und selbstbestimmtem Wohnen als Recht für alle stattgegeben wird, bleibt abzuwarten. Zu zweifeln lohnt sich allemal.

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