Am Wochenende packte Robert Clemen, Vorsitzender der Leipziger CDU, Landtagsmitglied und wieder Direktkandidat im Leipziger Süden, die ganz große Keule raus und machte Leipzigs Verkehrspolitik zum Thema in seinem Landtagswahlkampf. Dabei schimpfte er auf einmal heftig über die Fahrradlobby und entdeckte gar sein Herz für den ÖPNV. Jetzt bekommt er heftigen Flankenbeschuss seiner Mitbewerber im Wahlkreis - von Juliane Nagel (Linke) und Jürgen Kasek (Grüne). Und von Mathias Weber von der Leipziger SPD-Fraktion.

Das kann man als Auseinandersetzung unter Direktkandidaten abheften. Aber es geht auch um Grundorientierungen. Wie kann man Verkehr in einer Großstadt so organisieren, dass auch umweltfreundliche Verkehrsarten eine Chance auf Entfaltung haben?

Auf die Forderung des Leipziger CDU-Chefs Robert Clemen nach einer “Ideologiefreien Verkehrspolitik” entgegnet deshalb Juliane Nagel, Stadträtin und Landtagskandidatin der Linken: “Herr Clemen ist es, der Ideologie betreibt, indem er die Stimmungsmache gegen RadfahrerInnen weiterführt. Dabei ist besonders perfide, dass er die Forderung des Deutschen Automobil-Club (ADAC) entkontextuiert. Denn: gestrichelte Fahrradstreifen machen nur Sinn, wenn sie mit der Anerkennung des Fahrradfahrens als gleichberechtigter Verkehrsart einhergehen. – Erwiesenermaßen sind RadfahrerInnen im Straßenverkehr in hohem Maß gefährdet. Schutzstreifen können dieses Risiko verschärfen, wenn AutofahrerInnen nicht auch ihr Fahrverhalten verändern. Schutzstreifen laden oft zum Abparken ein und stellen damit ein Sicherheitsrisiko für RadfahrerInnen dar”, benennt sie ein Problem, das in Leipzig stadtweit zu beobachten ist. Es ist tatsächlich so: Wenn dem Radverkehr in den Straßen mehr (Schutz-)Raum gewährt werden soll, müssen auch Autofahrer ihr Verhalten ändern. Ein sicherer Verkehr funktioniert nur, wenn alle Rücksicht nehmen.

“In Berlin gab es in der vergangenen Woche drei gefährliche Unfälle zum Nachteil von Radfahrenden, einer davon tödlich. Grund dafür war Unachtsamkeit von AutofahrerInnen beim Abbiegen – eine Hauptursache bei Fahrradunfällen”, stellt Juliane Nagel fest. “Vor diesem Hintergrund bekräftigte der hiesige ADFC auch seine Forderung nach eigenen, klar markierten Radfahrstreifen. Dem schließt sich die Linke an, indem sie durchgängige Streifen priorisiert.

Indem Herr Clemen eine vermeintliche Fahrradlobby halluziniert, verdreht er die Realitäten! Der Autoverkehr ist und bleibt in Leipzig mit fast 40 % an der Verteilung des Transportaufkommen (Modal Split) deutlich überrepräsentiert.

Grundsätzlich befürwortet Die Linke eine priorisierte Förderung der umweltfreundlichen Verkehrsarten, also Radfahren, ÖPNV-Nutzung und Fußverkehr. Hier hat sich die Stadt Leipzig auch auf Betreiben der Linken realistische Ziele gesetzt, unter anderem den motorisierten Individualverkehr auf 25 % abzusenken und den Radverkehr von zirka 15 % auf 20 % zu steigern.

Wir brauchen in Leipzig keine Lobbypolitik für Autos, wie sie Herr Clemen das Wort redet, sondern ein gut ausgebautes Radwegenetz, fußgängerfreundliche Wege und Querungsmöglichkeiten sowie einen bezahlbaren, gut vertakteten ÖPNV.”

“Es ist gut und richtig, dass die Stadt sich mittlerweile um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer – auch Radfahrer – kümmert”, findet auch Jürgen Kasek, Vorstandssprecher des Kreisverbandes der Leipziger Grünen und Direktkandidat zur Landtagswahl. “Wir brauchen mehr Fuß- und Radverkehr, eine Kostenreduzierung im ÖPNV und mehr Platz für Car Sharing und deutlich weniger Autos.”

Das Grundproblem bestehe einfach darin, dass Leipzig nicht für die Menge an Autos gebaut sei. Der nach wie vor konstante Zuwachs im Bereich des motorisierten Individualverkehrs stelle die Stadt bereits jetzt vor Probleme und senke die Wohnqualität in den Quartieren.”Mehr Autos bedeuten weniger Lebensqualität. Entsprechend muss es darum gehen, die Verkehrsarten des Umweltverbundes zu stärken”, findet Kasek. “Ziel einer klugen Stadtpolitik muss es sein, Mobilität für Alle zu schaffen. Dabei ist zu konstatieren, dass im Bereich der Verkehrswissenschaft von ‘push’ und ‘pull’ Maßnahmen die Rede ist, also Maßnahmen die einen Druck entwickeln und Maßnahmen, die ein zusätzliches Angebot schaffen. Bei einem begrenzten öffentlichen Raum ist es ein Irrglaube, dass die Verbesserung auf der einen Seite keine Einschränkung an anderer Stelle bringt. Die Stadt hat sich im Handlungskonzept Radverkehr, das der Stadtrat mit großer Mehrheit verabschiedet hat, dazu bekannt, den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen und dies auch mit Stimmen der CDU.”

Gerade erst hätten sich auch Teile der CDU dafür ausgesprochen, zusätzliche Fahrradstraßen zu schaffen, um eine Entzerrung zwischen Rad- und Fußverkehr zu erreichen.

“Offensichtlich hat auch die CDU eine multiple Persönlichkeit: Auf der einen Seite schimpfen, wenn die Verwaltung zu langsam arbeitet, auf der anderen Seite schimpfen, wenn die Verwaltung arbeitet”, meint Kasek. “Gerade Herr Clemen hätte es im Landtag in der Hand gehabt, sich für die Förderung des ÖPNV ebenso wie für Angebote des Fahrradverkehrs auszusprechen. Stattdessen hat die Landesregierung den Fahrradverkehr auf Null gesetzt und die Förderung des ÖPNV zusammengestrichen. Die Aufregung jetzt ist unehrlich. Weder regiert in Leipzig die Fahrradlobby, was man leicht anhand der regelmäßig zugeparkten Radwege und Radstreifen erkennen kann, noch ist die Aufregung gerechtfertigt.”

Es müsse Schluss sein damit, die Verkehrsarten ständig gegeneinander auszuspielen. Kasek: “Aber das was von Seiten ADAC bis hin zur CDU kommt ist stetig die Dämonisierung des Radverkehrs und die Schreckenserzählung einer mächtigen Fahrradlobby.”

Und auch von der Leipziger SPD gibt’s deutliches Kontra.

Seit Jahren steige der Radverkehrsanteil in Leipzig stark an. In allen durch den Stadtrat beschlossenen verkehrsrelevanten Konzepten oder Plänen wie unter anderem dem Luftreinhalteplan oder dem Lärmaktionsplan sei es der erklärte Wille der Stadt und beschlossen auch fast immer mit den Stimmen der CDU.

“Wer sich jetzt aufregt, warum hier und dort neue Radfahrstreifen auftauchen, sollte also nicht mit dem Finger auf andere zeigen, wie es der CDU-Chef Robert Clemen getan hat. Das von ihm vorgebrachte Beispiel der Pfaffendorfer Straße taugt überhaupt nicht. Erst der Planungsfehler des neuen Geradeausfahrstreifens vom Goerdelerring in die Pfaffendorfer Straße hat die dahinterliegenden Knoten an ihre Belastungsgrenzen gebracht und das ist schon länger so und nicht erst mit der Sperrung der Gerberstraße. Das hat schließlich auch das Verkehrs- und Tiefbauamt einsehen müssen”, erklärt Mathias Weber, der die SPD-Ratsfraktion im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau vertritt, und ergänzt: “Das Argument, überall lediglich Schutzstreifen auszuweisen, taugt ebenfalls nicht, weil es eben Vorschriften gibt, die das entsprechend regeln und an die sich die Stadt halten muss.”

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Man könne davon ausgehen, dass das auch Robert Clemen wisse und so sei die neuerliche Attacke auf den Radverkehr eher als wahlkampftaktisches Manöver des CDU-Vorsitzenden auf Kosten vieler Verkehrsteilnehmer, die unter anderem mit dem Rad unterwegs seien, zu werten.

“Die Stadt Leipzig ist dennoch gefordert, denn den meisten Radverkehrsführungen fehlt es an innerer Logik. So enden viele Radverkehrsanlagen abrupt, so dass Radfahrer für Pkw-Fahrer plötzlich auf der Fahrbahn auftauchen”, so Weber weiter. “Es gibt immer noch eine ganze Reihe von gefährlichen Zweirichtungsradwegen. Auch das ganze Thema der erweiterten Innenstadt, die nicht ohne Weiteres mit dem Rad zu umfahren ist, ist alles andere als gelöst. Die Radnetzplanung als wichtiges Instrument, das den Radverkehr für alle Verkehrsteilnehmer verständlich und klar organisieren soll, ist trotz eines Stadtratsbeschlusses längst überfällig. Hier muss die Baudezernentin endlich mehr Druck machen.”

Ein guter Anlass, mal nach der Radwegeförderung des Freistaats zu schauen.

Gleich mehr dazu an dieser Stelle.

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