Natürlich hat „die erwähnte Leipziger Internet Zeitung / Leipziger Zeitung ein solches Interesse nie bekundet“, nämlich die täglichen Standorte von Blitzern vorab zu veröffentlichen. Warum sollten wir? Einen „Beweis“, wie das Leipziger Ordnungsamt meint, dass Blitzermeldungen die Verkehrssicherheit erhöhen, gibt es nicht. Auch wenn Leipzigs Ordnungsamt felsenfest dieser Meinung ist.

Im Grunde hat Marcus Weiss (Die PARTEI) einen kleinen veritablen Streit über die Mythen der deutschen Verkehrssicherheit entfacht, als er auf eine Einwohneranfrage von Christoph Meißner zu den Geschwindigkeitskontrollen in Leipzig ansprang.Die werden, wie die Stadt damals mitteilte, in „ausgewählten Medien“ veröffentlicht.

„Es ist unklar, welchen lokalen Medien die Dienstpläne zur Verfügung gestellt werden. In ihrer Antwort formulierte die Behörde zunächst, dass dies ,ausgewählte Medien‘ beträfe, um in der Schlussformulierung die Wirksamkeit des ,Entschlusses, die Einsatzpläne im Tagesmedium veröffentlichen zu lassen‘ zu behaupten“, stellte Marcus Weiss in seinem Antrag dann fest, in dem es eigentlich nicht darum ging, dass auch die L-IZ Einsatzorte und -zeiten von Geschwindigkeitskontrollen veröffentlicht.

„Hierbei verwendet die Antwort der Behörde die Formulierung ,Tagesmedium‘ im Singular. Eine Nachfrage bei der Leipziger Zeitung / der Leipziger Internet Zeitung ergab, dass diese keine Dienstpläne von der Behörde übermittelt bekommt. Somit ist davon auszugehen, dass die LVZ hier bevorzugt informiert wird und somit eine unzulässige verdeckte Wirtschaftsförderung der LVZ durch die Behörde stattfindet.“

Das ist, wie wir nun aus der Stellungnahme des Ordnungsamtes erfahren, nicht ganz so. Auch MDR, BILD und Leipzig Fernsehen haben sich die Blitzermeldungen bestellt und poppen damit ihr Programm auf. Und das hat auch nichts Unrechtmäßiges.

Der sächsische Gesetzgeber wünscht sich das sogar so, wie das Ordnungsamt feststellt: „Abschließend ist zu konstatieren, dass selbst wenn die Einsatzpläne nicht proaktiv an die lokalen Medien gesendet würden, die regelmäßige Veröffentlichung im Voraus dadurch nicht verhindert werden kann. Auf Anfragen von Pressevertretern zu den geplanten Standorten für Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen ist durch die zuständige Behörde Auskunft zu erteilen. Grundlage hierfür ist § 4 des Sächsischen Gesetzes über die Presse vom 3. April 1992 (SächsGVBl. S. 125), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 11. Mai 2019 (SächsGVBl. S. 358) geändert worden ist. Die Bearbeitung solcher Einzelabfragen würde ebenfalls den Verwaltungsaufwand deutlich erhöhen.“

Was ja irgendwie voraussetzt, dass es eine Menge Leute gibt, die aus Gewohnheit immerzu zu schnell durch die Stadt fahren und deshalb jeden Morgen eifrig nachschauen, ob auf ihrer Strecke irgendwo ein Blitzer steht. Ob sie dann ausweichen, wie das Ordnungsamt zitieren lässt, oder einfach mal für den Tag unter der gesetzten Höchstgeschwindigkeit bleiben, weiß niemand.

Das wissen auch die beiden Experten nicht, die das Ordnungsamt bei Marcus Weiss so falsch zitiert sehen will.

„Leider wird auch das Interview mit Herrn Polizeidirektor Stumpen mit ard.de vom 20.07.2016, welcher die Masterarbeit betreute, nur auszugsweise im Sinne des Beschlussvorschlages wiedergegeben und daher im Ergebnis falsch interpretiert. Dort ist nachzulesen:

,Frage ard.de: ,[…] Ist es daher unmoralisch, vor mobilen Radaranlagen zu warnen, insbesondere dann, wenn diese vor Kindergärten oder Schulen stehen?‘

Antwort Herr Stumpen: ,Ethisch verwerflich würde ich sicher nicht sagen. Es kommt darauf an, dass vor einem Kindergarten die höchstzulässige Geschwindigkeit eingehalten wird. Eine Ankündigung etwa im Radio, in der Presse oder auf speziellen Internetseiten trägt dazu bei, wie in der Masterarbeitsstudie nachgewiesen wurde. Dass dann auch der rücksichtslose Fahrer nicht erwischt werden kann, muss man in Kauf nehmen. Laut der Studie ist es sogar gut, wenn vor ‚Blitzern‘ gewarnt wird, da die Autofahrer dann nicht nur an diesen Stellen, sondern insgesamt langsamer unterwegs sind.“

Somit ist der im Beschlussvorschlag 1 des Antrags geforderte Beweis bereits erbracht.“

Der Beschlussvorschlag von Markus Weiss lautete: „Bis zur Erbringung des Nachweises einer die Verkehrssicherheit steigernden Wirkung, die Praxis der Vorabweitergabe der Einsatzpläne der Abteilung Verkehrsüberwachung des Ordnungsamtes zur Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen (,Blitzer‘) direkt an die lokalen Medien unterbinden zu lassen.“

Der Beweis, den das Ordnungsamt gefunden haben will, lautet als zitiertes Fazit aus der Abschlussarbeit von Mario Somnes: „Abschließend lässt sich festhalten, dass durch die Ankündigungen von Geschwindigkeitsmessungen das Geschwindigkeitsniveau positiv beeinflusst werden kann. Seitens der Kommunen und der Polizei sollte schnellstmöglich und häufiger von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, um auf diese Weise die Normenakzeptanz zu steigern. Durch eine bessere Verzahnung zwischen den Kommunen und der Polizei bei Geschwindigkeitsmessungen sowie durch eine intensivere Abstimmung hinsichtlich von Ankündigungen, Messzeiten und -orten könnte vor dem Hintergrund der Mittelverknappung öffentlicher Haushalte die Verkehrssicherheit zumindest auf dem bestehenden Niveau erhalten oder vielleicht noch gesteigert werden. (Masterarbeit von Mario Somes 2015: 82).“

Das ist kein Beweis. Und die Arbeit liefert bestenfalls Hinweise darauf, dass die veröffentlichten Geschwindigkeitskontrollen das Verhalten von Rasern beeinflussen können. Auch wenn sie nicht zeigt, wie das Ausweichverhalten tatsächlich ist.

Was wir mit der Arbeit von Mario Somnes „Auswirkungen angekündigter Geschwindigkeitsmessungen auf das Geschwindigkeitsniveau“ vor uns haben, ist nur eine empirische Untersuchung. Und das für ausgewählte Daten in Sachsen-Anhalt. Vergleichende Arbeiten aus anderen Bundesländern fehlen. Im Grunde ist es so eine Art Selbstbestätigung für die Polizei, dass es ein paar weniger Raser gibt, wenn man die Autofahrer auf die absehbaren Kontrollstellen hinweist.

Wie groß der Effekt für die gesamte Verkehrssicherheit tatsächlich ist, zeigt auch diese Arbeit nicht. Außer dass die Autofahrer auch noch eine Weile nach einer Blitzerkampagne an der Stelle vorsichtiger fahren.

Ob andere Maßnahmen bessere Effekte erreichen, weiß niemand. Und wirklich umfassende Untersuchungen etwa zu bevorzugten Raserstrecken und Wirkungen etwa auch zu Ordnungsgeldern gibt es auch nicht.

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