Anfangs war es nur eine witzige Idee der Partei DIE PARTEI: Zu Wahlkämpfen plakatierte sie den Spruch „Leipzig raus aus Sachsen.“ Aber im Vorfeld der Bundestagswahl machte DIE-PARTEI-Stadtrat Thomas Kumbernuß auch einen Antrag im Stadtrat, in dem er auch ein wenig erklärte, warum seine Partei diesen Exit aus Sachsen für sinnvoll hält. Das Rechtsamt hat für das Dezernat Allgemeine Verwaltung jetzt eine Stellungnahme formuliert, die durchaus auch ihre humoristischen Qualitäten hat.

„Um der jahrhundertelangen Bevormundung und Gängelung Leipzigs durch Sachsen zu entkommen, startete am 10. September offiziell das Volksbegehren ‘Leipzig raus aus Sachsen!’. Schon immer war Leipzig das demokratische Herzstück Sachsens, was sich leicht auch am bürger/-innenschaftlichen Engagement und am Wahlverhalten ablesen lässt. Doch heute steht Leipzig am Scheideweg: Bestehen wir weiterhin als weltoffene und tolerante Stadt oder ersticken wir gemeinsam mit Restsachsen im konservativen bis völkischem Mief. Halten wir noch einige Jahre als demokratisches Feigenblatt Sachsens aus oder streiten wir für weitgehende Autonomie. Darum geht es in letzter Konsequenz in diesem Volksbegehren, das mit diesem Antrag unterstützt werden soll“, schrieb Kumbernuß in seinem Antrag.

Leipzig als neues Bundesland?

Wohin Leipzig austreten sollte, schrieb er in seinem Antrag zwar nicht. Aber das steht im Volksbegehren selbst, für das DIE PARTEI tatsächlich 7.000 Unterschriften in Leipzig und den beiden Landkreisen Leipzig und Nordsachsen sammeln möchte.

„Entgegen landläufiger Annahmen werden wir Leipzig weder raus aus Deutschland, noch nach Tschechien oder auf den Mond verlegen – Leipzig soll schlichtweg ein eigenes Bundesland nach dem Vorbild von Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg oder Bremen werden. Mit den beiden Landkreisen Leipzig und Nordsachsen zusammen erreichen wir die nötige Zahl von mehr als einer Million Einwohner*innen. Genau genommen: 1,05 Millionen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wenn Nordsachsen und der Landkreis Leipzig zum Freistaat Leipzig gehören, bleiben uns kühle Seen, viel unbewohnte Fläche, ein (dann pazifizierter) Flughafen und undemokratische Strukturen zum Entnazifizieren übrig.“

Austritte sind vom Grundgesetz nicht vorgesehen

Das Rechtsamt der Stadt hat vorsichtshalber gleich mal beim Bundesinnenministerium nachgefragt, wo ja bekanntlich auch das Volksbegehren zur Schaffung eines richtig großen Bundeslandes Mitteldeutschland, das der Leipziger Roland Mey und der Hallenser Bernward Rothe gestartet hatten, scheiterte.

Denn der Artikel aus dem Grundgesetz, auf den sich alle berufen können, die Änderungen an den Zuschnitten der Bundesländer wollen, hat auch seine juristischen Tücken. Vor allem ist er ja gedacht, leistungsstarke Bundesländer zu ermöglichen. Der Vorstoß von Mey und Rothe hätte juristisch durchaus Chancen gehabt, wenn sich die beiden nicht vom BMI dazu hätten überreden lassen, die Formulierung ihres Begehrens zu ändern.

PARTEI-Vorstoß scheitert erst recht an Rechtslage

Das von DIE PARTEI initiierte Volksbegehren würde erst recht an der Rechtslage scheitern, wie das Rechtsamt nach Rücksprache mit dem BMI feststellt: „Der von der PARTEI beabsichtigte Antrag auf Durchführung des Volksbegehrens, ist in sei­ner jetzigen Form vom BMI abzulehnen, weil das Gebiet, für das DIE PARTEI die Neurege­lung begehrt, sich bereits nicht über mehrere Bundesländer erstreckt.”

Außerdem: „Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass es sich im Verhältnis zu den angrenzenden Städten und Landkreisen um einen nach Planungsgesichtspunkten zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtmäßigkeit einer Antragsablehnung durch das BMI im Fall der nichterfüllten verfassungsrechtlichen und ein­fach­gesetzlichen Voraussetzungen bestätigt.“

Demokraten reißen nicht aus

Aber dass auch Leipzigs Verwaltung durchaus Humor besitzt und einige der Emotionen, die DIE PARTEI da zum Ausdruck bringt, aus ihrer oft genug schwierigen Zusammenarbeit mit den freistaatlichen Instanzen teilt, wird im letzten Absatz der Stellungnahme aus dem Verwaltungsdezernat deutlich:

„Nicht zuletzt ist der Antrag und dessen Ansinnen auch nachteilig für die Stadt. Ungeachtet möglicher Differenzen mit der Sächsischen Staatsregierung wäre die positive Entwicklung unserer Stadt nicht ohne den Freistaat vonstattengegangen.

Darüber hinaus erfordern Differenzen gerade nicht die politische Kapitulation und das Suchen einer vermeintlich besseren Zukunft in anderen Umständen, sondern vielmehr Aktivität, Diskussion, Engagement und Konstruktivität. Probleme gilt es zu lösen, nicht zu verlagern.

Sachsen kann und soll kreativ, weltoffen, wettbewerbsfähig und sozial sein. Als größte Stadt dieses Landes sehen wir es als unsere Aufgabe an, hieran mitzuwirken. Wir können Demokratie und demokratischen Prozesse nicht stärken, wenn wir vor dieser Verantwortung Reißaus nehmen.

Dass Leipzig indes mehr als eine Stadt im Freistaat Sachsen ist, zeigt sich in den vielfältigen städtischen Aktivitäten zur eigenen lokalen, überregionalen und internationalen Vernetzung. Gerade der vom Antrag umfasste mitteldeutsche Raum steht in u. a. Sachen Wohnen, Verkehr und auch Wirtschaft im Fokus dieser Aktivitäten.“

Lene Voigt wusste es schon genau

Das ist dann sozusagen ein Lene-Voigt’sches „Nu grade!“. Eigentlich eine sehr tapfere Antwort auf den Antrag von Thomas Kumbernuß. Die Lene-Voigt-Gesellschaft hat das Gedicht übrigens auf ihrer Website. Auch dort hat man Erfahrungen gesammelt mit Niederschlägen, Rückschlägen und den elenden Tagen danach, wenn es um das Wiederaufstehen und Sich-Mut-Machen ging. Die zweite Strophe des Gedichts bringt es genau so zum Ausdruck, wie es die Verwaltung hier wohl auch gemeint hat:

„Wenn alles glabbte in dr Welt, so wie mer sich’s hat vorgeschtellt,
’s wär mit dr Zeit rächt fade.
Aus Hindernissen schbät un frieh
wächst frehlich-fräche Enerchie.
‘Nu grade!’“

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