Das eigentliche Problem bei Leipziger Wahlplakaten ist nicht wirklich das, das Kilian Pietsch mit seiner Einwohneranfrage zur jüngsten Ratsversammlung thematisierte, auch wenn er Baubürgermeister Thomas Dienber festzunageln versuchte mit lauter Nachfragen, warum verfrühtes Hängen der Wahlplakate in Leipzig nicht rigoros verfolgt werde. Auch wenn es sich – wie er per Foto festhielt – nur um eine halbe Stunde handelte. War ja dummerweise die politische Konkurrenz.

In diesem Fall zwei Plakate, die für die Linkspartei warben. Während Kilian Pietsch augenscheinlich für die CDU unterwegs war, Wahlplakate zu hängen. Das ist kein leichter Job, denn tatsächlich hängen die Parteien in der Regel hunderte Wahlplakate im ganzen Stadtgebiet. Die Plakate müssen möglichst sicher an den Laternenmasten angebracht werden.

Und normalerweise schiebt das nachfolgende Plakatierteam, das die Masten schon mit dem Plakat einer anderen Partei besetzt sieht, das Plakat einfach höher und hängt das der eigenen Partei darunter. Und normalerweise ist das kein Problem.

Denn die zumeist jungen Helfer der Parteien, die da in der Nacht vom 26. zum 27. April unterwegs waren, um den frühestmöglichen Zeitpunkt zum Aufhängen der Wahlplakate zu nutzen, wissen in der Regel, dass es den anderen Plakatteams genauso geht. Zeit ist kostbar. Und je früher man loslegt, umso früher hat man sein Gebiet behängt.

Zeit der Ellenbogen?

So gesehen klangen schon die Fragen, die Pietsch gestellt hatte, ziemlich eigenartig und erzählen von einer Rigorosität, die es so in Leipziger Stadtratswahlkämpfen noch nicht gab. Worauf am 22. Mai in der Ratsversammlung Grünen-Stadtrat Martin Meißner hinwies. Denn bislang galt da auch unter den Parteien eher Kulanz.

Die Wahlwerbesatzung hat sich ja der Leipziger Stadtrat selbst gegeben, um relativ faire Wahlkampfbedingungen für alle zu schaffen. Worauf auch Baubürgermeister Thomas Dienberg hinwies, dem das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) untersteht, welches wiederum für die Kontrolle der regelkonformen Plakatierung zuständig ist. Anzeigen sammelt hingegen das Leipziger Ordnungsamt.

Und dass das VTA in der ersten Nacht, in der ab Mitternacht plakatiert werden darf, keine Kontrollteams losschickt, um die Einhaltung der Hängezeiten zu kontrollieren, versteht sich eigentlich schon aus Personalgründen. Aber auch aus einem anderen Grund, den Pietschs Einwohneranfrage völlig unterlief: aus dem simplen Vertrauen darauf, dass sich die wahlwerbenden Parteien an die wesentlichen Regeln halten.

Die Fragen von Kilian Pietsch und die Antworten der Verwaltung

Lagen Ausnahmegenehmigungen oder Ähnliches für einzelne Parteien oder Personen vor, welche eine Plakatierung, vor dem 27. April, 0:00 Uhr, rechtfertigen würden?

Nein.

a. Falls nein, welche Konsequenzen wird die Stadt Leipzig ergreifen, um diesen offensichtlichen Verstoß gegen die Wahlwerbesatzung zu ahnden?

Grundsätzlich kann bei Kenntnis der Örtlichkeiten und ausreichender Beweislage ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet werden.

b. Wurde die Einhaltung der Wahlwerbesatzung durch die Stadt Leipzig überhaupt kontrolliert und falls ja, in welcher Weise und mit welchem Ergebnis?

Nein, es wurden diesbezüglich keine Kontrollen am 26.04.2024 vor Mitternacht durchgeführt.

c. Liegen der Stadt Leipzig Hinweise vor, dass es Verstöße gegen die Wahlwerbesatzung der Stadt Leipzig gegeben hat?

Nein, außer dieser Anfrage liegen dem Verkehrs- und Tiefbauamt keine Hinweise auf Verstöße bezüglich der frühzeitigen Anbringung von Wahlplakaten an Stadtbeleuchtungsmasten vor.

Das wachsende Problem der gestohlenen Wahlplakate

Aber ein viel größeres Problem, das Kilian Pietsch gar nicht ansprach, benannte dann die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft. Denn Leipzig leidet eben nicht darunter, dass zu viele Plakate an den Lichtmasten hängen. Im Gegenteil. Aus jedem Ortsteil, wirklich aus jedem wurde berichtet, dass hunderte von Wahlplakaten oft sogar noch in der Nacht, als sie gehängt wurden, heruntergerissen wurden oder komplett verschwunden sind. An den Plakaten tobt sich längst schon dieselbe Unerbittlichkeit aus, die auch den Wahlkampf auf allen Kanälen bestimmt.

Und die Nachfrage und Antworten, die es am 22. Mai zu Pietschs Einwohneranfrage gab, erzählen nicht wirklich davon, dass diese Unerbittlichkeit nachlassen wird. Eher versteht man die Antworten des Baubürgermeisters, der gar nicht die Leute hat, die Einhaltung der Wahlwerbesatzung im ganzen Stadtgebiet zu kontrollieren.

Das wäre dann endgültig der Kindergarten, in dem es dann auch noch für das Handeln der Parteien, die eigentlich den Bürger im Stadtrat vertreten wollen, regelrechte Babysitter braucht, die darauf achten, dass alle sich auf die Minute an die Regeln halten.

Da treffen wohl eher die Einschätzungen von Thomas Dienberg und von OBM Burkhard Jung zu, dass von größeren Verstößen gegen die vom Stadtrat selbst beschlossene Wahlwerbesatzung nicht die Rede sein könne und davon auch nichts zu sehen sei.

Dafür sieht man überall zerknickte, angekokelte und heruntergerissene Plakate. Oder eben gar keine mehr, weil irgendjemand die Plakate flächendeckend entfernt hat. Und das ist tatsächlich ein Problem, mit dem OBM Burkhard Jung auch schon mit Polizeipräsident René Demmler gesprochen hat. Hier geht es um tatsächliche Straftatbestände, die der Leipziger Polizei längst schon große Sorgen bereiten.

Über die Verstöße, die bei der Stadt zur Anzeige kamen, will Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal demnächst im Fachausschuss berichten. Das dürfte sich dann eher um Plakate handeln, die an falsche Masten – z.B. die technischen Masten der LVB – gehängt wurden oder gar an Bundesstraßen wie die Torgauer, wo überhaupt nicht plakatiert werden darf, wo die rechtsextreme Partei „Der dritte Weg“ aber flächendeckend plakatiert hat. Darauf hatte auch Kilian Pietsch hingewiesen.

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