In der Mai-Ratsversammlung soll ein Projekt Thema im Stadtrat werden, das bislang eher durch die Leipziger Randgewässer schwappt: die Touristische Potenzialanalyse des Projektes "Anbindung des Saale-Elster-Kanals an die Saale". Mit Betrachtung der Grobvarianten der Trassen. Seit zwei Jahren geistert diese Potenzialanalyse durch die Gremien. Und wenn es nach dem Leipziger Umweltdezernat geht, wird jetzt einfach abgenickt und weiter gemacht. Mit Motorbooten und Hebewerk.

Oder wie in der am 26. Februar in die Dienstberatung gegeben Vorlage formuliert: “1. Die Stadt Leipzig nimmt die Ergebnisse der Touristischen Potenzialanalyse zur Kenntnis. 2. Die Stadt Leipzig unterstützt und befördert auch zukünftig konzeptionell und ideell die Fortführung des Projektes ‘Anbindung des Saale-Elster-Kanals an die Saale’. Dabei wird sie sich mit der Stadt Halle intensiv abstimmen, um die gemeinsamen Ziele dieser Städtekooperation in das Projekt einzubringen. 3. Vordringlich erfolgt die Stadt Leipzig die Anbindung des Lindenauer Hafens an den Saale-Elster-Kanal, die einschließlich des Baus der Lyoner Brücke 2017/2018 realisiert werden soll.”

Zu sehen bekommen die Stadträte dabei eine Karte mit dem möglichen Trassenverlauf und den recht trockenen Hinweis dazu: “Die Dimensionierung des neu zu bauenden Kanals orientiert sich dabei an der Größe der Saale-Schleusen, so dass Sportboote, Fahrgastschiffe etc. mit einer Länge von bis zu 45 m den Kanal nutzen können. Der Querschnitt des neuen Kanals reduziert sich somit auf rund 43 % des bestehenden Kanals. Für die Überwindung des Höhenunterschieds erachten die Gutachter ein Schiffshebewerk auch aus wasserbaulicher und finanzieller Sicht als sinnvoll …”

Die Gutachter, das ist das von der Stadt Leipzig beauftragte Büro ICL Ingenieur Consult GmbH – in Zusammenarbeit mit DÄRR Landschaftsarchitekten und Project M GmbH. Die Studie wurde im Zeitraum von Dezember 2010 bis November 2011 erarbeitet und im wesentlichen in den Gremien des Grünen Ringes und auf den Seenlandkongressen 2012 und 2013 vorgestellt. Gefördert mit über 90.000 Euro.

Zu sehen bekommen die Stadträte ein 15-seitiges Manifest des Umweltdezernats mit enthaltenen Handlungsempfehlungen. Und sie bekommen ein Blatt mit der Kostenabschätzung zu sehen – für die eine Variante, die die emsigen Gutachter entwickelt haben und für die sie seitdem Werbung laufen.

Was fehlt: Jegliche Überlegung zu anderen Varianten. Jegliche Kostenabschätzung zu einem Kanal, der nicht von Jachten und Fahrgastschiffen befahren wird.
Was fehlt ist die faktische Untersetzung der prognostizierten Umsatzzahlen.

Was drin steht: eine neue Gesamtsumme. Denn bei den bislang verlautbarten 106 Millionen Euro Gesamtinvestitionen wurden doch die “Kosten Ausbau wasserseitige Infrastruktur (Häfen, Liegeplätze)” glattweg vergessen: 45 Millionen Euro. Was die Kosten auf 151 Millionen Euro erhöht. Denn nur wenn über die Anbindung zur Saale auch große Boote und Jachten fahren, kann man am anderen Ende auch einige der Millionen-Einnahmen planen, die die “Jährliche Wertschöpfung aus Kanalnutzung” ergeben. Da werden bestimmt ein paar Leute wieder goldene Dukaten vor Augen sehen: Nettoumsatz 18,5 Millionen Euro im Jahr, 10,2 Millionen allein aus “landseitigem Besucherverkehr”. Womit wohl die Übernachtungseinnahmen aus Hotels usw. gemeint sind.

Aus dem Bootsverkehr selbst kommen diese Summen nicht. Da gehen die Gutachter von 1,5 Millionen Euro aus Bootsausflügen aus, 2,2 Millionen aus Bootsunterhaltung, 1,2 Millionen Euro Liegeplatzkosten, 2,5 Millionen Euro aus Bootskäufen, 750.000 aus Charterboots-Einnahmen. Wobei die Liegeplatzkosten nicht verifizierbar seien: “Für die Liegeplätze konnten keine belastbaren Zahlen errechnet werden”, steht da zu lesen.

Natürlich nicht. Man hat ja nicht mal belastbare Zahlen für den Bootsverkehr, den man generieren kann. Und die Zahlen, die man so hört, haben mit einem nachhaltigen und umweltverträglichen Bootsverkehr nichts zu tun. Denn selbst für die aufgelisteten Einnahmen braucht man einige Hundert bezahlte Bootsbewegungen – pro Tag.
Dazu kommen jährliche Instandhaltungskosten von 1,12 Millionen Euro.

Die Dezernatsvorlage reibt den Stadträten noch einmal so richtig Honig ums Maul: “Dem gegenüber würde sich aus der Nutzung des fertiggestellten Kanals ein jährlicher Nettoumsatz von etwa 19 Mio Euro mit einem regionalen Einkommenseffekt von ca. 9 Mio Euro ergeben, von welchem die einheimische Wirtschaft in hohem Maße profitieren würde. Hinzu kämen weitere knapp 66 Mio Euro Wertschöpfung aus den Investitionen …”

Die 66 Millionen kommen nicht wirklich hinzu – sie sind ein Teil der Investitionskosten. Und somit am Ende, wenn die Städte und Landkreise dieses gewaltige Infrastrukturprojekt tatsächlich wagen – Steuergelder. Und da wird’s spannend. Denn es geht zwar vordergründig um “touristische Infrastruktur”, tatsächlich aber um Wirtschaftsförderung, um eine neue Einkommensgrundlage für allerlei Unternehmen, die dann den angegebenen Nettoumsatz von “19 Millionen Euro” schaffen. Und dabei gleich mal ein “Beschäftigungsäquivalent von 317 Arbeitsplätzen” schaffen – da ist dann die “indirekte Wertschöpfung” schon reingerechnet – das, was die Unternehmen am Kanal dann bei anderen Unternehmen wieder einkaufen.

Vom Wirtschaftlichen Standpunkt betrachtet ein reines Zuschussgeschäft, denn man kann die Wertschöpfung in den angesiedelten Unternehmen nicht auf die Wirtschaftlichkeit des Kanals umrechnen, denn die müssen selbst erst einmal investieren und ihre Wertschöpfung in Gang kriegen. All die Werften und Gästehäuser existieren ja noch gar nicht. Sie sind auch in den Kanalkosten nicht enthalten. Es sind maximal 6 Millionen von den 19 Millionen Euro, die man dem Kanal direkt zurechnen könnte. Wobei noch nirgendwo Personalkosten auftauchen.

Zur Erinnerung: Die Schleusen in Connewitz und am Cospudener See werden von Bürgerdienstlern der Stadt Leipzig betreut – die Kosten laufen also eigentlich übers Jobcenter. Es wäre zumindest seltsam, wenn man die Betreuung des Kanals wieder mit Personen plant, die das Jobcenter entsendet. Die dann das Hebewerk bedienen und die Gebühren kassieren. Und wer kassiert die Liegegebühren? Und was bedeuten die nicht belastbaren 1,2 Millionen Euro Einnahmen aus Liegebühren in Bezug auf die Investition von 45 Millionen Euro für Liegeplätze? Wo wird sich diese gigantische Marina befinden? Im Lindenauer Hafenbecken? Wie viele Boote haben da überhaupt Platz?

“Die Studie verdeutlicht, dass die Kanalfertigstellung aus regionalwirtschaftlicher Sicht ein großer Gewinn für die Region ist und als Leit- und Identifikationsprojekt für den Wirtschaftsraum Halle-Leipzig sowie den gesamten mitteldeutschen Raum dienen kann. Durch die Inwertsetzung der vorhandenen touristischen Potenziale und die Möglichkeit der Entwicklung einer länderübergreifenden, mitteldeutschen Wassersportregion würde die Tourismus- und Freizeitwirtschaft erheblich gestärkt”, meint das Umweltdezernat kühn und kreuzt doch in der Vorlage forsch das Kästchen “Finanzielle Auswirkungen, nein” an. Obwohl darunter in jeder Ratsvorlage steht: “Handelt es sich um eine Investition?”

Mehr zum Thema:

Quo vadis Neuseenland?
Das 1×1 des Wasserwanderns …

Seenlandkongress mit Schiffshebewerk: Ökologisch sensibler Tourismus versus Luftschloss für 38 Millionen Euro
Sie hat tatsächlich ein dickes “Wow!” …

Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung: Ökolöwe kritisiert die Forderung nach einem Schiffshebewerk
Kaum ist Bootsmesse, tragen die Befürworter …

2013 – was kommt? 5. Seenland-Kongress mit gigantomanischem Schiffshebewerk
Wohin es im Leipziger Neuseenland gehen soll …

Die Antwort lautet: Ja. Und zwar in einem gehörigen Ausmaß. Auch dann, wenn es Leipzig, Halle und dem Saalekreis gelingen sollte, für das 151-Millionen-Euro-Projekt Fördergeldgeber zu finden. Die fördern immer nur Anteile. Aber auch die Fördergelder sind Steuergelder.

Dazu kommt: Der Kanal ist immer noch als Bundeswasserstraße eingetaktet, gehört also dem Bund und die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt haben 2003 dankend abgewunken, den Kanal in ihre Hoheit zu nehmen. Die Frage ist immer: Wer bezahlt das Ganze? Die Absicht, das Projekt von Privatinvestoren bauen zu lassen, hat augenscheinlich niemand. Man will also Steuergelder dafür bekommen. Und das Leipziger Umweltdezernat schlägt keineswegs vor, damit sparsam umzugehen oder überhaupt erst einmal sparsamere Varianten zu untersuchen – zum Beispiel solche ohne Jachten und Charterboote. Sondern: “Es wird deutlich, dass hierfür die Initiierung politischer Findungs- und Entscheidungsprozesse notwendig ist, um sich in Sachsen und Sachsen-Anhalt zu einem gemeinsamen politischen Willen zu bekennen, diesen zu stärken und zu kommunizieren …”

Das klingt wie aus dem ND von 1977 zitiert.

Man will also mit diesem Projekt durch die Wand.

So entstehen die beliebten deutschen Großprojekte, von deren finanziellen Folgen vorher immer keiner was geahnt haben will. Am Ende zahlt ja eh der Michel. Auch wenn er sich gar kein Charterboot leisten kann.

Aber so nebenbei gibt das Umweltdezernat mit dem Papier auch schon die erste Bestellung beim Stadtrat ab: “Vordringlich erfolgt die Stadt Leipzig die Anbindung des Lindenauer Hafens an den Saale-Elster-Kanal, die einschließlich des Baus der Lyoner Brücke 2017/2018 realisiert werden soll.”

Und jetzt machen wir noch etwas, was seriöse Planer nach den Erfahrungen mit dem Leipziger City-Tunnel, dem Großflughafen BER, der Hamburger Elbphilharmonie und auch wesentlich simpleren Bauprojekten dieser Dimension empfehlen – einen Kostenaufschlag von 40 Prozent, der bei diesen Projekten eher die Norm als die Ausnahme ist – sei es durch Inflation, Bauunterbrechungen, Unwägbarkeiten im Baugrund … Macht noch einmal 60 Millionen Euro, womit wir bei 211 Millionen Euro wären.

Wenn das Umweltdezernat wirklich etwa Sinnvolles vollbringen will, dann lässt es eine wirklich belastbare Wirtschaftlichkeitsanalyse erstellen. Zeitnah und mit transparenten Zahlen.

Die Kostenschätzungen aus der Vorlage:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/529455CDE143D7ACC1257B1A002B46D1/$FILE/V-ds-2851-anlage2.pdf

Das Plädoyer des Umweltdezernates:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/529455CDE143D7ACC1257B1A002B46D1/$FILE/V-ds-2851-text.pdf

“Finanzielle Auswirkungen: keine”:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/529455CDE143D7ACC1257B1A002B46D1/$FILE/V-ds-2851-bsdbl-rv.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar