Das Thema "Motorboote im Neuseenland" kam in der "Bürgerumfrage 2012" noch nicht vor. Es erreichte die Leipziger Wahrnehmungsschwelle erst mit der Debatte um die geplante Schiffbarkeitserklärung auf Leipzigs Tagebauseen. Und auch da war so mancher Leipziger noch geneigt zu sagen: Was soll's? Das ist irgendwo da hinten, auf dem Hainer See zum Beispiel, wo der Landkreis Leipzig im Februar 2013 schon einmal nonchalant die Genehmigung für 100 Motorboote ausreichte. Sehr zur Freude des Blauwasser Seemanagement.

“Meilenstein”, nannte es Christian Conrad, Geschäftsführer von Blauwasser und Pier 1. Aber erst das Herumgedruckse der Akteure im Gewässerverbund um das “Nautische Gutachten”, das sie im Dezember 2012 vorstellten, und die Projektanalyse für den Elster-Saale-Kanal mit Begutachtung einer einzigen – für Motorschiffe gedachten – Variante, machte ein paar mehr Leipzigern klar, dass das, was man ihnen als Neuseenland versprach und als umweltschonenden Gewässertourismus, nicht das war, woran die Planer im Hintergrund die ganze Zeit bastelten.

Mittlerweile ist zumindest klar, dass es den Kanalausbau in der vom Grünen Ring Leipzig dargestellten Variante unter 151 Millionen Euro nicht geben wird. Da fehlt noch die Gewässerverbindung vom Lindenauer Hafen zum Kanal. Da fehlt auch noch die Marina in Halle. Aber zumindest wurde klarer, was das “Nautische Gutachten” für den Leipziger Gewässerknoten, der eigentlich gar nicht für schiffbar erklärt werden darf, weil hier keine nennenswerten Transportleistungen auf einer Wasserstraße erfolgen, tatsächlich bezweckte. Es war das zweite Vortasten: Wieviel motorisierten Bootsverkehr bekommt man da noch unter? Welche anderen Wassersportangebote werden verdrängt? Und wohin?

Noch nicht abgefragt wurde die Toleranz der Leipziger. Wie auch? Die meisten haben sich mit Motorbootsport auf den Gewässern in und um Leipzig noch nie beschäftigt. Auch wenn sich ein ganzer Fragenkomplex in der Bürgerumfrage 2012 damit zumindest oberflächlich befasste. Es geht um die “Wasserstadt”. Was Vieles ist. Und was es für die Leipziger ist, durften die 3.000 Personen, die 2012 den Fragebogen zugeschickt bekamen, frei aus dem Bauch heraus beantworten. Drei Stichworte durften sie nennen. Ganz ohne Einschränkung und Vorgabe. Und die Hitliste war so eigentlich auch zu erwarten.

48 Prozent der 1.450 Leipziger, die dann wirklich ihre Fragebögen ausgefüllt zurück schickten, nannten “Freizeit, Erholung und Kultur” als Assoziationsfeld für das, was sie zum Thema Gewässerentwicklung denken. 35 Prozent nannten das Image für und in Leipzig. 29 Prozent äußerten sich zur aktiven, sportlichen Betätigung am und auf dem Wasser und 20 Prozent nahmen Bezug auf einzelne Gewässer und Baumaßnahmen. 17 Prozent sahen auch positive ökologische Effekte, die im Leipziger Südraum unbestreitbar sichtbar sind. 9 Prozent erwähnten auch den Tourismus. Ganz wertfrei.

Doch 7 Prozent äußerten auch Kritik für Planung und Umsetzung, 5 Prozent sprachen negative ökologische Aspekte (wie sie zum Beispiel im Auwald sichtbar werden) und die Grundwasserproblematik an.

Das ist alles nicht gewichtet, nicht hinterfragt – aber ein Stimmungsbild. Das, was die Leipziger derzeit als Gewässerverbund und Neuseenland erleben, wird positiv angenommen. Es ist zumindest erstaunlich, dass etliche Befragte trotzdem schon ihre Bauchschmerzen benannten. War ja kein Fragebogen, der direkt an Umweltschützer verteilt wurde. Und für gewöhnlich äußern sich viele Menschen erst dann kritisch, wenn die Schäden für sie sichtbar werden. Drohende Gefahren nimmt man meist gar nicht direkt wahr.

Man möchte ja das Paradies gern bewahrt sehen. Da passt “Schwarzmalerei” nicht so gut ins Bild.Zum Paradies gehört all das, was die Leipziger jetzt schon alles gern tun in der Wasserregion.

65 Prozent machten sich 2012 Bewegung am und im Wasser. Dicht gefolgt vom Strandbesuch: 65 Prozent nannten das. Und das will einiges heißen. Denn befragt wurden 18- bis 80-Jährige. Es ist also eine Freizeitregion für alle Altersstufen. 57 Prozent haben ein Café oder Restaurant am Wasser besucht. So eine Stadt, die das anbieten kann, muss man erst einmal finden. Sogar mit Gondel und echtem Italiener. Das verschafft der Stadt Flair. 26 Prozent der Befragten sind sogar mit einem muskelbetriebenen Boot aufs Wasser gegangen, die Hälfte von ihnen mehrmals. 24 Prozent haben an Festen und Kulturveranstaltungen am Wasser teilgenommen.

Und dann kommt die Aussage, die in der Frage schon eingeschränkt war: “Fahrt mit motorbetriebenem Boot”. Das Amt für Statistik und Wahlen hatte als Orientierungspunkt genannt: “Heroldboot”, MS Weltfrieden, Partyfloß, Segelboot mit Motor u.ä. Man hätte auch die Fahrgastschiffe auf dem Cospudener und dem Markkleeberger See nennen können. 20 Prozent der Befragten machten hier ihr Kreuz. Die meisten von ihnen (84 Prozent) machten so eine motorbetriebene Tour mit einem der Ausflugsboote ein Mal im Jahr 2012. 13 Prozent gaben an, zwei bis drei Mal so eine Tour gemacht zu haben, nur 3 Prozent (also von allen Befragten ganze 0,6 Prozent) machten mehr Motorbootfahrten mit.

Was auch heißt: Es existiert kein nichtkommerzieller Motorbootsverkehr im Neuseenland und im Gewässerknoten Leipzig.

Was interessant an dieser Befragung ist, ist auch der Aspekt der kompetenten Beurteilung. Immerhin sahen zwar die meisten Befragten die “Maßnahmen zur Gewässerentwicklung” positiv – mitsamt Wassersport, Erholung, positiver Wirkung auf die regionale Wirtschaft. Immerhin 60 Prozent der Befragten sahen das mit der Wirtschaftsbedeutung so, 19 Prozent sagten aber auch: Kann ich nicht beurteilen. Ein interessanter Wert, denn darauf spekuliert ja so manche politische Aussage, irgendeine dubiose Entscheidung sei “gut für die Wirtschaft”. Und weil das die meisten dann auch meistens glauben, unterlässt man dann die notwendige Wirtschaftlichkeitsberechnung einfach. Bezahlen muss es ja eh der gutgläubige Michel, wenn es nicht klappt.

Der Anteil derer, die angaben, es nicht beurteilen zu können, lag z.B. bei Ruhe und Erholung und Freizeitgestaltung nur bei 6 Prozent.

Dafür lag dieser Wert bei “Übernutzung der Gewässer” bei 24 Prozent, bei der Gefährdung des ökologischen Gleichgewichts bei 31 Prozent und bei “Nutzung der Gewässer durch Sportvereine” sogar bei 33 Prozent. Was die Perspektive klärt: Nicht über jedes Thema können alle Leipziger gleichermaßen kompetent mitreden. Und auch so manche Diskussion zur Motorbootproblematik in letzter Zeit hat gezeigt: Was der Motorbootbetrieb tatsächlich für Ruderer und Kanuten auf dem Gewässerknoten bedeutet, das können Ruderer und Kanuten am ehesten einschätzen.

Und so sieht der Wert von 13 Prozent derer, die eine Übernutzung der Gewässer befürchten, nur auf den ersten Blick eher klein aus. Aber die Vermutung liegt nahe, dass man es hier mit denen zu tun hat, die direkt betroffen sind. 9 Prozent, die eine Einschränkung für Sportvereine befürchten – da wird es ganz ähnlich sein. Und 14 Prozent der Befragten sehen eine Gefährdung des ökologischen Gleichgewichts. Jetzt schon, muss man hinzufügen.

Und wirklich als Argument für ein “Weiter so” können weder die Steuerungsgruppe Neuseenland noch der Grüne Ring die Umfrage nehmen. Dass die meisten Befragten Erholung und sanften Wassertourismus am häufigsten nannten, sollte auch eine Orientierung sein für das, was die meisten Leipziger sich von der Entwicklung wünschen. Und bislang dominiert das alles auch noch. Es ist dieser jetzige Zustand, den 74 Prozent der Befragten als positiv bewerten. Die Jüngeren noch positiver als die Älteren, die Erwerbstätigen positiver als die Arbeitslosen.

Wohin aber geht die Reise, wenn eine wirklich kleine Handvoll Akteure ihre Interessen mit der Aufmotorisierung durchsetzen? Und sie sind ja hinter den Kulissen eifrig dabei.

Das wird ganz bestimmt Thema künftiger Bürgerumfragen. In dieser hier ging es noch um so täglich brennende Themen wie Radverkehr oder Wohnen in Leipzig. Mehr dazu morgen an dieser Stelle.

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