Deutschland hat ein gemischtes Wahlrecht: Das Direktwahlrecht ist kombiniert mit dem Verhältniswahlrecht. In Sachsen gilt beides eigentlich fifty-fifty. Die Hälfte der Sitze im Landtag wird direkt gewählt. Wer in seinem Wahlkreis die Mehrheit erringt, bekommt den Sitz. So werden 60 Sitze besetzt. Normalerweise werden die restlichen Sitze dann nach der Gesamtstimmverteilung auf alle Parteien, die mehr als 5 % erreichen, aufgefüllt. 60 Sitze wären das. Das klappt immer seltener.

Nicht nur im Bund, wo die Rechnerei mit Überhangmandaten längst gerichtsnotorisch ist und die Regierung aufgefordert ist, baldmöglichst ein neu justiertes Wahlrecht vorzulegen. Auch in Sachsen sind die Webfehler des bestehenden Wahlrechts zu erkennen. Webfehler, die in Zeiten, da in der Regel nur drei oder vier Parteien um das Überspringen der 5-Prozent-Marke kämpften, noch nicht so ins Gewicht fielen. Da fiel der Gewinn des Wahlkreises oft auch mit Wahlergebnissen um 50 Prozent und mehr für den Sieger zusammen. Die gewonnenen Direktmandate entsprachen in der Regel auch der Stärke des Wahlergebnisses.

Doch das hat sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich geändert. Die ersten, die die Gewichte im Wählerverhalten deutlich verschoben, waren in den 1980er Jahren die Grünen. Anfang der 1990er kam die PDS alias Die Linke dazu, mittlerweile spielt auch die Piratenpartei eine Rolle und – man nehme das Beispiel Bayern – auch die Wählervereinigungen kommen auf regionaler Ebene mehr und mehr ins Spiel.

Das führt dazu, dass sich die Stimmergebnisse über mehr Parteien verteilen. Es reichen weniger Stimmanteile, um in einem Wahlkreis das Direktmandat zu erringen. So reichten auch in Leipzig 2009 Anteile um die 30 Prozent, um als Direktkandidat in den Landtag einzuziehen. Die Direktkandidaten waren Robert Clemen (CDU, 29,4 %), Sebastian Gemkow (CDU, 28,5 %), Christine Clauß (CDU, 28,9 %), Ronald Pohle (CDU, 32,1 %), Wolf-Dietrich Rost (CDU, 31,4 %) und Dietmar Pellmann (Die Linke, 31,3 %). Und im halbierten Wahlbezirk im Norden Rolf Seidel (CDU, 39,8 %). Allein mit ihren Direktmandaten besetzte die CDU schon fast 50 Prozent aller Sitze im Landtag. Das Wahlergebnis lag sachsenweit bei 40,2 Prozent für die CDU.

Um am Ende den anderen Parteien (SPD, Linke, Grüne, FDP, NPD) die ihnen nach Verhältniswahlrecht zustehenden Sitze einräumen zu können, begann dann das große Rechnen und das zwangsläufige Einräumen von Überhangmandaten, was den Landtag 2009 regelrecht aufblähte. 2004 waren aus 120 Abgeordneten auf diese Weise nur 124 Abgeordnete geworden, 2009 aber schon 132.

“Wer die Verfassung ernst nimmt, muss nach Wegen suchen, die Mandatszahl, wie in der Verfassung vorgesehen, auf 120 Abgeordnete im Landtag zu begrenzen”, erklärt dazu Eva Jähnigen, die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. “Darum müssen wir überlegen, wie das Entstehen von Überhangmandaten – und damit die nachgelagerten Ausgleichsmandate – verhindert werden können. Legt der Landtag die Hände in den Schoß, drohen auch im Jahr 2014 wieder deutlich mehr Abgeordnete als vorgesehen in den Landtag einzuziehen. Die jüngste Rechtsprechung sieht den Gesetzgeber aber in der Pflicht, Überhangmandate so weit wie möglich einzuschränken.”Die Grüne-Fraktion schlägt darum vor, die Anzahl der Wahlkreise von derzeit 60 auf 48 zu reduzieren, die Regelgröße des Landtages von 120 Abgeordneten aber beizubehalten. – Durch diese Regelung würde sich das Verhältnis von Direktwahlmandaten zu Listenmandaten von derzeit 50 zu 50 auf dann 40 zu 60 verändern. Wenn eine Partei dann immer noch alle 48 Direktwahlkreise gewinnen würde, müsste sie gleichzeitig deutlich unter 40 Prozent der Wählerstimmen erringen, damit Überhangmandate überhaupt entstehen würden.

“Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Partei mit einem Zweitstimmenergebnis von deutlich weniger als 40 Prozent noch alle Direktwahlkreise gewinnt, ist ziemlich gering”, so Jähnigen.

“Um gleichzeitig eine bessere und nicht-verzerrende Transformation des Zweitstimmenergebnisses auf die Sitzverteilung im Sächsischen Landtag zu ermöglichen, muss das gegenwärtig zur Anwendung kommende Höchstzahlverfahren nach d’Hondt, was tendenziell starke Parteien bei der Sitzzuteilung bevorteilt, durch ein möglichst neutrales Sitzzuteilungsverfahren ersetzt werden”, fordert Jähnigen. “Wir sollten uns dem bei der Bundestagswahl und für zahlreiche Landtage angewandten sogenannten ‘Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers’ anschließen.”

In der jüngeren Rechtsprechung durch den Verfassungsgerichtshof des Landes Schleswig-Holstein wurde betont, dass eine Abweichung von der Regelzahl der in der Verfassung vorgesehenen Anzahl der Abgeordneten nach Möglichkeit zu vermeiden ist. So heißt es im Urteil des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein vom 30. August 2010 (LVerfG 3/09 unter RN 128): “Um diese Regelgröße [der Landtagsmandate] möglichst genau zu erreichen, hat der Gesetzgeber daher das Entstehen von Überhangmandaten so weit wie möglich einzuschränken und darf nicht vorrangig die Ausgleichsmandate begrenzen. Dem Gesetzgeber stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl, um die wahlrechtlichen Verhältnisse so zu ändern, dass einerseits die Entstehung ungedeckter Überhangmandate (Mehrsitze) für die Zukunft ausgeschlossen werden kann und andererseits ein unzuträgliches Anwachsen des Landtags vermieden wird. Im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden verfassungsrechtlichen Gestaltungsrahmens bleibt es ihm überlassen, in welcher Weise er von den oben aufgezeigten Möglichkeiten Gebrauch macht (vgl. Urteil vom 26. Februar 2010 – LVerfG 1/09 – NordÖR 2010, 155 ff. = Die Gemeinde SH 2010, 79 ff. = SchlHA 2010, 131 ff., Juris Rn. 147-152 m.w.N.).”

Durch die Absenkung der Zahl der Wahlkreise wäre in der Folge ein Neuzuschnitt der einzelnen Wahlkreise notwendig. Eine Orientierung für den zukünftigen Neuzuschnitt der Wahlkreise nach diesem Vorschlag bilden die aktuellen Überlegungen der Wahlkreiskommission für eine Reduzierung der Wahlkreise auf 45 Direktwahlkreise (Drs. 5/8146).

Nach dem Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen würde jeweils noch ein Wahlkreis in Dresden, Bautzen und Leipzig dazu kommen.

Nach dem Vorschlag der Wahlkreiskommission hätten die beiden Großstädte Dresden und Leipzig bei 45 Wahlkreisen rechnerisch je 5,5 Wahlkreise, was dann bei der Wahl 2014 jeweils 5 Direktmandaten entspräche – mit dem Grünen-Vorschlag also je 6.

Positionspapier der Grünen-Fraktion “Überhangmandate abschaffen, Wahlrecht reformieren”: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Positionspapiere/2012-09-20_wahlgesetz_ej.pdf

Der Vorschlag der Wahlkommission als PDF zum download.

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