Seit dem 13. Oktober beschäftigt eine neue Vokabel die Abgeordneten, die in Sachsen versuchen, Licht ins Dunkel um die Ermittlung zur in Zwickau abgetauchten "NSU"-Zelle zu bringen: Terzett. Bislang sprachen die Medien einvernehmlich von einem Trio. Doch die sächsischen Ermittler wählten 2000 zur Beobachtung der drei abgetauchten Rechtsextremisten das Codewort "Terzett". Ganz musikalisch. Nur brachte ein Artikel in der "Welt" da ein paar schräge Töne in die sächsische Abwiegelungspolitik.

Am Montag, 15. Oktober, forderten die drei Fraktionsvorsitzenden von Linken, SPD und Grünen, Rico Gebhardt, Martin Dulig und Antje Hermenau, in einem gemeinsamen Brief von Innenminister Markus Ulbig (CDU) Aufklärung über die “Operation Terzett”, die erst im Jahr 2010 und damit ein Jahr vor der Enttarnung formell wieder eingestellt worden ist, ohne dass durch diese Maßnahme verwertbare Informationen gewonnen werden konnten.

Dabei war nicht die Erfolglosigkeit Thema ihrer Beschwerde, sondern das Verschweigen der Operation.

“Wenn der Bericht der ‘Welt’ zutreffend ist, ist es für uns unverständlich, warum Sie diese Maßnahme und den damit verbundenen eigenen sächsischen Ermittlungsansatz gegen den NSU verschwiegen haben. Weder die Öffentlichkeit, der Landtag und seine Gremien und die Untersuchungsausschüsse in den Ländern und im Bund waren oder sind darüber informiert. Auch in Ihrem Untersuchungsbericht ist von diesen Maßnahmen nicht die Rede”, kritisieren die drei in ihrem Brief. “Überall in Deutschland macht man sich daran, im Angesicht einer beispiellosen Mordserie Versäumnisse im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den NSU aufzuarbeiten und Transparenz zu schaffen. Offenbar ist das in Sachsen noch nicht in ausreichendem Maß geschehen. Eine Informationspolitik, die mit dem Hinweis auf Geheimhaltung wichtige Fakten unter den Tisch fallen lässt, halten wir deshalb für völlig verfehlt. Wir fordern Sie deshalb auf, am kommenden Mittwoch im Plenum des Sächsischen Landtags dazu eine Erklärung abzugeben.”

Aber Briefeschreiben wird ja augenscheinlich zur modernen Kommunikationsform in der sächsischen Politik. Auch der sächsische Innenminister antwortete per Brief. Darin versuchte er die Nichtinformation zu relativieren, erklärte auch, dem “NSU”-Untersuchungsausschuss lägen die Akten zur “Operation Terzett” längst vor. Dass am 5. Oktober 2010 nur an vier von der Abhöraktion Betroffene eine Mitteilung erfolgte, begründete er damit, dass der Aufenthalt von Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt ja nicht hatte ermittelt werden können.Aber so recht stimmten auch diese Erklärungen des Innenministers nicht, stellte dann wieder Uwe Müller, einer der Autoren des am 13. Oktober in der “Welt” erschienen Artikels “Die heikle Verfassungsschutz-Operation “Terzett” fest. Und weil man ja nun einmal beim Briefeschreiben war, schrieb auch er einen Brief – quasi als seinerseitige Antwort an den Innenminister.

Darin weist er auch recht deutlich darauf hin, dass eine Presseanfrage vom Ministerium einfach nicht beantwortet worden war: “Eine Antwort innerhalb der erbetenen Frist ging jedoch bei uns nicht ein. Nicht einmal der Eingang unseres Schreibens wurde bestätigt. Offenbar ist dem SMI das Sächsische Pressegesetz nicht vollständig geläufig. Dort heißt es in Paragraph 4 (‘Informationsrecht der Presse’): ‘Alle Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse […] die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen […].’ Dem ist das SMI nicht nachgekommen.”

Auch das mit der Benachrichtigung der vier zusätzlich zur “NSU” Abgehörten sei nicht 2010 erfolgt, sondern schon ein Jahr zuvor. Und die Abhörmaßnahme sei auch nicht die einzige eingeleitete Maßnahme gewesen. Noch im Dezember 2003 hatte das Landesamt für Verfassungsschutz in einem Schreiben erklärt, dass man eine weitere Beobachtung der sieben Personen beabsichtige. Irgendwo in dem großen Kosmos der sächsischen Ermittlungsbehörden versuchten also weiterhin ein paar Leute, den Abgetauchten auf die Spur zu kommen, auch wenn die öffentliche Fahndung beendet war. Bislang hatte Ulbig immer betont, nach 2002 habe es keine Maßnahmen in Bezug auf die rechtsextreme Terrorzelle gegeben.

Der Brief ist – da er auch an die Fraktionen und an die Presseagenturen ging – auch ein großer Rüffel für den sächsischen Innenminister. Der noch größer hätte sein können, wenn zum Beispiel “Welt”-Herausgeber Thomas Schmid und Chefredakteur Jan-Eric Peters den Brief mit unterschrieben hätten. Not getan hätte es. Denn was sich Sachsen in Sachen Erhellung seines eigenen Umgangs mit der rechtsextremen Terrorzelle leistet, hat mit transparenter Informationspolitik nichts zu tun.

So sehen es auch die Politiker der Oppositionsparteien, die seit Monaten versuchen, Klarheit in die sächsischen Vorgänge um das Terror-Trio zu bringen.Miro Jennerjahn, Obmann der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss im Sächsischen Landtag, erklärt: “Wie die Zeitung ‘Die Welt’ mitteilt, ist das Antwortschreiben von Innenminister Markus Ulbig auf einen Brief der Fraktionsvorsitzenden Antje Hermenau (Grüne), Rico Gebhardt (Linke) und Martin Dulig (SPD) grob fehlerhaft in der Darstellung. War schon die Verweigerung des Innenministers, vor dem Plenum die Vorgänge rund um die G10-Maßnahme ‘Terzett’ aufzuklären, an sich fragwürdig, gibt es nun neuerliche Fragezeichen bezüglich des (Des)Informationsverhaltens des Innenministers.”

Er erwartet vom Innenminister nun eine lückenlose Stellungnahme: “Ich fordere den Innenminister erneut auf, von sich aus in der Plenarsitzung des Sächsischen Landtags diese Woche umfassend über die G10-Maßnahme zu informieren und insbesondere aufzuklären, wie die fehlerhaften Aussagen im Antwortschreiben an die Fraktionsvorsitzenden zu Stande kommen. Alles andere als eine umfassende Stellungnahme von Ulbig vor dem Sächsischen Landtag wäre eine Bankrotterklärung.”

Ähnlich hat sich schon am 13. Oktober Kerstin Köditz, Obfrau der Linken im “NSU”-Untersuchungsausschuss, geäußert: “Die Linksfraktion erwartet deshalb in der Plenarsitzung des Landtages in der kommenden Woche eine Erklärung des Innenministers zu diesem Vorgang, in der er den im Raum stehenden Verdacht entweder widerlegt oder seine bisherigen Darstellungen ergänzt und erklärt. Sollte sich herausstellen, dass die G 10-Kommission durch falsche Angaben getäuscht worden sind, um die Zustimmung zum Eingriff in Grundrechte zur erlangen, kann dies eigentlich nur in der Dienstentfernung des oder der Verantwortlichen münden. Auf jeden Fall werden wir im Untersuchungsausschuss am 19. Oktober beantragen, die Vernehmung des oder der verantwortlichen Beamten vorzuziehen.”

Aber die “Operation Terzett” ist ja nicht der einzige Beobachtungskomplex, bei dem der Innenminister ausweicht und die Abgeordneten nur mit halben Informationen abspeist.

Schon am 11. Oktober hatte sich Miro Jennerjahn über den Auftritt des Innenministers im Innenausschuss geärgert, als es um das 2000 verbotene Netzwerk “Blood & Honour” ging, das wohl das abgetauchte Terror-Trio in den ersten Jahren unterstützt hat.

“Das Wirken von ‘Blood & Honour’ in Sachsen seit den neunziger Jahren zu verstehen, ist ein zentraler Baustein, wenn man es mit der umfassenden Aufklärung der Morde des NSU ernst meint”, sagte Jennerjahn. “Daher ist die Stellungnahme von Innenminister Markus Ulbig zum vorliegenden Antrag, dass ein ausführlicher Bericht zu ‘Blood & Honour’ ‘zu Lasten der aktuellen Prioritäten ginge’, ein bodenlose Frechheit. Die Anhörung hat erneut gezeigt, wie wenig das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) über das Wirken von ‘Blood & Honour’ in Sachsen weiß. In seinen Ausführungen fokussierte LfV-Abteilungsleiter Dr. Olaf Vahrenholt weiterhin auf die Musik- und Musikvertriebsstrukturen, obwohl doch mindestens seit dem Aufdecken des ‘Nationalsozialistischen Untergrunds’ (NSU) offensichtlich ist, dass es sich um ein militantes Netzwerk handelte, das zur Bildung bewaffneter kampfbereiter Zellen aufrief. Einige der Sachverständigen legten auch anschaulich dar, dass dies bereits in den späten 1990ern deutlich erkennbar war.”

Der “Welt”-Artikel: www.welt.de/politik/deutschland/article109806231/Die-heikle-Verfassungsschutz-Operation-Terzett.html

Der Brief von Markus Ulbig als PDF zum download.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar