Johannes Lichdi (B90/Die Grünen) ist wohl neben Klaus Bartl (Die Linke) längst der versierteste Kritiker sächsischer Juristereien geworden. Und um rockige Namen bei öffentlichen Aussprachen zu aktuellen Themen selten verlegen. Während derzeit bei der L-IZ zur Debatte "Prozess gegen Pfarrer König: Anklagen wie es politisch gefällt? Geht so sächsisch?" noch keine CDU-Stimmen eingetroffen sind, ging Lichdi heute sprichwörtlich in die Vollen und sprach von Konsequenzen und einem politisch längst heiklen Prozess. Die Grünen bitten den Innenminister zum Tanz.

Es ist das von Regierungsseite oft ungeliebte Recht, Themen, die ein Versagen von rechtsstaatlichen Institutionen aufzeigen, in die öffentliche Debatte zu tragen. Und mit Fingern auf jene zu zeigen, welche in den vergangenen Monaten und Jahren in politisch schwierigen Zeiten zum beliebten Mittel der Versetzungen, Entlassungen oder Weglobungen griffen.

Doch diesmal kamen Ross und Reiter gemeinsam galoppiert: “Herr Minister Ulbig, Sie tragen die Verantwortung für schlampige Arbeit der Soko 19/2 und Sie, Herr Justizminister Martens: Sie kannten die Anklage und tragen die Verantwortung dafür, dass die Staatsanwaltschaft Dresden entsprechend der Strafprozessordnung ordentlich ermittelt”, so Lichdi im hier vorgezogenen Fazit seiner Rede in der heutigen Landtagsaussprache.

Beide Minister können in der Tat wohl kaum mit gutem Gewissen Unkenntnis zu einem Vorgang erklären, der zu einer sächsischen Razzia im Nachbarland Thüringen, Protesten bis in Kirchenkreise und zum Briefwechsel zwischen dem Jenaer SPD-Bürgermeister Albrecht Schröter, dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und dem amtierenden Generalstaatsanwalt Sachsens, Klaus Fleischmann, führte. Auch wenn Stanislaw Tillich die Antwort an Schröter an Klaus Fleischmann übertrug, so dürften doch höchste Kreise der sächsischen Politik bei der Strafverfolgung Königs informiert gewesen sein.

Was die bisherigen Ergebnisse, heute von Johannes Lichdi nochmals aufgezählt, zu einer sehr dünnen Ausbeute eines Falles von sächsischer Strafverfolgung zusammenschnurren lässt.

“Erstens: Eine Aussetzung auf unbestimmte Zeit, der ja auch die Staatsanwaltschaft zugestimmt hat, ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Zweitens: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat vorhandenes Videomaterial nicht zu Kenntnis genommen und damit mehrere Pflichten verletzt: nämlich zur Leitung des Ermittlungsverfahrens, zur vollständigen Vorlage aller Ermittlungsunterlagen und zur Ermittlung nicht nur der belastenden, sondern auch der entlastenden Umstände.”

Hier ein kurzer Stopp, bevor drittens folgt. Natürlich hat die Dresdner Staatsanwaltschaft von der Existenz des Materials nichts gewusst. Dann kann sie ihren Job nicht. Oder sie haben es gewusst. Dann tut sie etwas anderes, als dass wofür sie da ist.
“Drittens: Polizeibeamte haben teils nachweislich die Unwahrheit gesagt, teils bestehen erhebliche Anhaltspunkte für Absprachen zu Lasten Lothar Königs. Die Verteidigung hat daher folgerichtig die Einstellung des Verfahrens wegen Verletzung des Grundsatzes des fair trial beantragt.” Das allerdings würde nun konsequenterweise, so es stimmt, die Strafverfolgung der Polizeibeamten nach sich ziehen. Und die Frage, warum sie diese wenig karriereförderliche Idee hatten? Ob hier eine “Einzeltätertheorie” und menschliches Versagen als weitere Variante folgt, bleibt derzeit offen.

Zeit für Spaß, wo keiner mehr für König war, hatte Lichdi angesichts der obskuren Ermittlungsergebnisse gerade in Zeiten eines nach wie vor schwelenden Verdachts jahrelanger geheimdienstlicher Verwischung von Spuren in Richtung NSU dann doch noch. “Damit steht fest: Pfarrer Lothar König wurde 2 Jahre lang in der Öffentlichkeit und der sächsischen Justiz wie ein Schwerverbrecher behandelt, obwohl Polizei und Staatsanwaltschaft nach jetzigen Kenntnisstand nichts in der Hand hatten! Dies reicht von der berüchtigten “Sachsenrazzia” in Jena mit der Durchsuchung seiner Dienst- und Privaträume, über die Beschlagnahmung des Lautsprecherwagens und des “Tatwerkzeugs” einer St-Pauli-Fahne.”

Dass der Vorgang rings um Lothar König auch die evangelisch-lutherische Kirche gespalten hätte, lässt er nicht unerwähnt. Während sich die Meisten für Lothar König stark gemacht hatten, sieht Lichdi an der Spitze der klerikalen Macht in Sachsen eine alte Regel neu auferstanden. “Ein besonders bedrückendes Kapitel ist es, dass gerade aus den Spitzen der evangelisch-lutherischen Landeskirche bösartige Spitzen gegen Lothar König kommen. Ich erinnere an die Aussagen des stellvertretenden Verfassungsrichters Schurig oder des Polizeipfarrers Werneburg. Wer sich etwas umhört, erfährt, dass die Unterzeichner des Bickhardt-Aufrufs keine Freude beim Landesbischof ausgelöst haben.”

Er hätte sich eher gewünscht, so Lichdi, “dass sich die Landeskirche in alter schlechter Tradition mal nicht auf die Seite der Mächtigen im Land gestellt hätte, sondern in Solidarität zu ihrem Amts- und Glaubensbruder gestanden hätte.”

Die Konsequenzen, welche der Grünen-Politiker hingegen aus all den Vorgängen ableitet, lassen wir jetzt einfach mal so stehen. Denn das Träumen gehört durchaus auch zum Recht einer Opposition.

“1. Wir brauchen das bürgerschaftliche Gespräch, wie wir gemeinsam den Nazis entgegentreten können, anstatt der Kriminalisierung breiter Schichten im Interesse der herrschenden Geschichtsideologie. Wir begrüßen sehr, dass seit 2012 und 2013 die Polizei den Protest in Sicht- und Hörweite nicht mehr verhindern will, sondern gewährleistet.

2. Wir brauchen wie in anderen Bundesländern endlich die Anerkennung der Platzbesetzung als legitime Form der Versammlungsfreiheit, die nur im Einzelfall dem Versammlungsrecht anderer zu weichen hat.

3. Wir brauchen eine effektive Kontrolle der Polizei, auch um sie aus den Fängen politischer Instrumentalisierung durch die herrschende Partei zu befreien. Wir brauchen eine Kennzeichnung und eine Polizeikommission.

4. Wir brauchen dringend eine Reform der Justiz. Dies bedeutet eine Beendigung der Kumpanei zwischen Richtern und Staatsanwälten durch gemeinsame Karrierewege. Dies heißt Selbstverwaltung der Justiz und gleiche Bezahlung aller Richterinnen und Richter, damit die Karrierechancen nicht mehr vom Wohlverhalten gegenüber dem Personalreferenten im Justizministerium abhängen.”

Den Punkt 4 darf man gern zweimal lesen. Es klingt nach Mühlen, in die man nicht geraten möchte. Und deren Wirkungsweisen an die hohe See und Gottes Hand gemahnen.

Gleich auf L-IZ.de: Was fragt sich alles Klaus Bartl (Die Linke) rings um den Prozess und die Folgen für Sachsen? Und wie kommt es eigentlich zu all den Pannen?

Teil 3:
In Gottes Hand (3): Die Linke zu Erwartungshaltungen staatlicher Führungsebenen

Zum Bickhardt-Aufruf im Netz
http://demokratiebrauchtuns.de/blog/solidaritat-mit-lothar-konig/

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar