Auf einer Pressekonferenz der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag im Vorfeld der Anhörung des Gesetzentwurfes von CDU- und FDP-Fraktion zur Änderung von Polizei-, Verfassungsschutz-, Versammlungsgesetzes sowie zur Änderung weiterer Gesetze am Donnerstag, 14. November, bekräftigte der von der Grünen-Fraktion als Sachverständiger benannte Berliner Verfassungsrichter und Rechtsanwalt, Meinhard Starostik, die verfassungsrechtlichen Bedenken der Grünen an der geplanten Neuregelung der Bestandsdatenabfrage für Sachsens Polizei und Verfassungsschutz.

Meinhard Starostik verwies darauf, dass der Zugriff auf Bestandsdaten weit mehr als die Kenntnis von Name und Anschrift des Anschlussinhabers erlaubt, vielmehr gehe es auch um Bankverbindungsdaten und etwaige Rechnungsdaten Dritter.

Hinsichtlich der geplanten niedrigen Eingriffsschwellen äußerte er verfassungsrechtliche Bedenken wegen fehlender Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit. Neben dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung seien auch das Telekommunikationsgrundrecht und – angesichts der üblich gewordenen Tagebuchfunktion unserer Handys – das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme betroffen. “Handys enthalten oft persönliche Daten, die zum absolut geschützten Kernbereich eines Menschen gehören. Hierauf ist jeder Zugriff verboten”, so Starostik.

Gerade hinsichtlich Zugangssicherungen wie PIN und PUK seien die Eingriffsvoraussetzungen des Gesetzentwurfs viel zu weit gefasst.

“Die Regelung des Paragraf 42, Absatz 2 trägt das erhebliche Risiko der Aufhebung durch Verfassungsgerichte in sich”, so Starostik. “Derartige Grundrechtseingriffe würden damit auch für leichte Ordnungswidrigkeiten erlaubt werden.”

Die Bewältigung der in der Begründung angegebenen konkreten Gefahrensituation für Leib und Leben, etwa von Suizidankündigungen, wäre auch durch eine Beschränkung der Befugnisse auf konkrete Gefahren für hochrangige Rechtsgüter gewährleistet, wie etwa die Gesetzesänderung der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zeigt (Paragraf 20a Polizeigesetz NRW (NRWPolG)).

Aber der Umgang sächsischer Behörden mit den im Februar 2011 in Dresden gesammelten Daten zeigt freilich auch, dass einige Instanzen in Sachsen sehr daran interessiert sind, Zugriffe auf Daten zu bekommen, die ihnen nach der Sächsischen Verfassung aus gutem Grund verwehrt sind.

Johannes Lichdi, rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, dazu: “Der vorliegende Gesetzentwurf von CDU und FDP ist ein Angriff auf unsere Privatsphäre und ist verfassungsrechtlich bedenklich. Es ist Treppenwitz, dass ausgerechnet die Versagerbehörde vom Verfassungsschutz weitere Befugnisse zum Zugriff auf Telekommunikationsdaten zur Durchführung von Strukturermittlungen bekommen soll, also fernab von Gefahrenlagen im Einzelfall. Dies beschreibt die beschränkte Reichweite der Liberalen als angebliches Rechtsstaatskorrektiv in dieser CDU-geführten Staatsregierung.”

Was da 2011 in Dresden passierte, ist da wohl nichts anderes als ein großer Pilottest gewesen. Lichdi: “Wohin die Reise gehen soll, zeigt die Massenbestandsdatenabfrage nach dem 19. Februar 2011, von der mehr als 55.000 Menschen betroffen waren. Gerade bei der Zuordnung von IP-Adressen hatte das Bundesverfassungsgericht angesichts technischer Entwicklungen und über die Wirkung eines traditionellen Rufnummernregisters hinausgehenden Informationspotentiales darauf hingewiesen, dass die Ermöglichung der Identifizierung von IP-Adressen nur unter engeren Grenzen verfassungsrechtlich zulässig ist. Genau diese Grenzen will die CDU/FDP-Koalition nicht setzen. Es fehlen qualifizierte Eingriffsschwellen, um die Angemessenheit der heimlichen Datenabfragen sicherzustellen.”

Da dürfte die Frage berechtigt sein, ob in Dresden nicht längst am Modellfall eines neuen Überwachungsstaates gearbeitet wird, der dann nur noch ein rechtsstaatliches Mäntelchen trägt. Vorsichtig spricht Lichdi noch von Defiziten: “Diese Defizite können auch nicht durch den Richtervorbehalt kompensiert werden, den die Koalition vorsieht, um dem Gesetzentwurf einen rechtsstaatlichen Anstrich zu geben. Durch die weit gefasste Ermächtigung droht dieser leer zu laufen.”

Das Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen, zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes und zur Änderung des Sächsischen Versammlungsgesetzes sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Gesetzentwurf CDU- und FDP-Fraktion, 26.09.2013, Drs 5/12799):
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=12799&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1

Paragraf 20a Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW)
www.bundesrecht24.de

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