Kurz und trocken kommentierte die Stadt Leipzig am 29. Januar: "Das sächsische Innenministerium hat festgelegt: Im Leipziger Süden soll eine neue Erstaufnahmeunterkunft für Asylbewerber entstehen. In dem ehemaligen Studenten- und Lehrlingswohnheim in der Friederikenstraße sollen laut Ministerium ab Juli für eine Übergangszeit bis zu 350 Personen untergebracht werden." So klingt es, wenn eine Stadtverwaltung so richtig sauer ist.

Denn am Objekt Friederikenstraße 37 war auch die Stadt Leipzig schon lange dran. Sie hat ja selbst genug Probleme, ausreichend Unterkünfte für die zugewiesenen Asylbewerber zu finden. Und das, obwohl sie nun seit zwei Jahren intensiv nach Wohnobjekten sucht, die für die Unterbringung von Asylbewerbern geeignet sind. Deren Zahl hat sich binnen drei Jahren vervierfacht. Das schafft Handlungsdruck. Das zwingt die Stadt nicht nur, die ungeliebte Unterkunft in der Torgauer Straße 290 zu sanieren und wieder zumutbare Wohnverhältnisse für bis zu 500 Asylbewerber zu schaffen. Das zwingt sie auch zur Suche nach größeren Ausweichquartieren. Allein für 2015 beziffert die zuständige Amtsleiterin Martina Kador-Probst den zusätzlichen (bis Januar noch nicht gedeckten) Bedarf auf rund 600 Plätze.

Die Friederikenstraße 37, ein ehemaliges Lehrlingswohnheim, hätte Leipzig zur Absicherung des nötigsten Bedarfs schon dringend gebraucht. Doch Leipzig hat es auch mit einer Landesregierung zu tun, die ihre eigenen Pläne hat und mit den Kommunen darüber nur spricht, wenn alles schon entschieden ist. Das betrifft nicht nur die Neuorganisation von Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber. Bislang gibt es nur die eine in Chemnitz, die in den letzten Jahren öfter mal für Schlagzeilen sorgte, weil sie längst zu klein und überfüllt ist. Der Freistaat hat das Problem lange – viel zu lange – ignoriert. Und als man dann auch Leipzig eine Erstaufnahmeeinrichtung in der Max-Liebermann-Straße zuwies, kochten die Gemüter hoch. Auch die von Angestellten des Freistaats, die sich auf einmal im eigenen Wohnumfeld mit einer solchen Einrichtung konfrontiert sahen.

Die Stadt konnte nur mit den Schultern zucken und im Nachhinein die öffentliche Kommunikation etwas steuern. Was sie engagiert getan hat.

Das Ergebnis ist: Der Freistaat hat schnell mal umgedacht und am 29. Januar per Pressemitteilung informiert: Jetzt kommt noch schnell eine Zwischenlösung, bis man sich im Leipziger Norden ausgemärt hat.

Da konnte Leipzigs Verwaltung nur noch ruhig bleiben und erklären: “Die Stadt Leipzig nimmt diesen Beschluss des Ministeriums zur Kenntnis. Da die Erstaufnahmeeinrichtung jedoch in der vollen Zuständigkeit des Landes Sachsen liegt, können momentan keine konkreten Fragen zur Planung, der Zeitschiene, eventuellen Umbaumaßnahmen oder der sozialen Betreuung vor Ort durch die Stadt beantwortet werden. Die Stadt geht davon aus, dass der Innenminister persönlich, so wie er das in Dresden auch getan hat, den Anwohnerinnen und Anwohnern auf einer Informationsveranstaltung Rede und Antwort stehen wird. Presseanfragen beantwortet das Innenministerium in Dresden, eine Kontaktmöglichkeit für Bürgerinnen und Bürger hat das Ministerium bisher nicht genannt.”

Davon ist noch nichts eingeläutet. Dabei laufen die Ausbauarbeiten im Gebäude schon. Ab Juli 2015 soll in der Friedrikenstraße die Interims-Erstaufnahmestelle für Asylsuchende eingerichtet werden. Irgendwann in nächster Zeit soll es auch eine Informationsveranstaltung für Anwohnerinnen und Anwohner des Stadtteils geben.

Doch die Zusammenarbeit zwischen der Staatsregierung und der Stadt Leipzig scheint stark verbesserungswürdig, stellt nun Dr. Claudia Maicher, Landtagsabgeordnete der Grünen, fest, die diese hoheitliche “Wir machen mal”-Mentalität nicht akzeptieren kann. Denn der Freistaat hat die Stadt Leipzig am Ende ausgebootet bei den Verhandlungen um die Friederikenstraße. Er hat seine eigenen – seit Jahren aufgeschobenen Probleme – schnell mal auf Kosten Leipzigs gelöst.

Wird als Interim-Erstaufnahmeeinrichtung vorbereitet: Friederikenstraße 37. Foto: Ralf Julke
Foto: Ralf Julke

Am 28. Januar klang das bei Staatssekretär Dr. Michael Wilhelm so: „Mit der Interimslösung möchten wir die Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz entlasten. So schaffen wir weitere Kapazitäten für die erste Unterbringung von Asylbewerbern.“

Interimslösung klingt gut. Aber solche Lösungen erweisen sich im Freistaat ja oft als dauerhafte. 300 bis 350 Asylsuchende sollen in der Friederikenstraße vorübergehend untergebracht werden.

Auf dem ca. 16.000 Quadratmeter großen Grundstück in der Friederikenstraße befindet sich ein Gebäudekomplex, der in der Vergangenheit als Lehrlings- und Studentenwohnheim genutzt wurde. Und wie es dazu kam, dass man Leipzig einfach mal nach der Sitzung des Lenkungsausschusses Asyl unter Vorsitz der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, Petra Köpping, am 28. Januar die lange Nase zeigen konnte, liest sich in der Mitteilung des Innenministeriums so: “Über den Verlauf der Verhandlungen war bis zum Abschluss absolute Vertraulichkeit vereinbart worden.”

Vertraulichkeit auf die sächsische Art: Man spricht auch mit der Stadtverwaltung nicht drüber, die es eigentlich angeht.

Berechtigterweise hat Claudia Maicher da ein paar Fragen zum Kommunikationsverhalten der Regierung: “Deshalb will ich wissen: Hat das sächsische Innenministerium eigentlich ein Kommunikationskonzept für die Einrichtung von Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen? Welche Schritte hat die Staatsregierung unternommen, um sich bei ihrer Suche nach einem geeigneten Standort mit der Stadt Leipzig abzustimmen? – Offensichtlich war die Stadt Leipzig beim Standort Dölitz nicht oder nicht ausreichend über die Standortsuche informiert. Auch das  aktuelle Anwohnerinformationsangebot des Innenministeriums wirkt nur reaktiv. Aktives Zugehen sieht anders aus. Es scheint, als sei das Staatsministerium bereits damit überfordert, die bloße Aufnahmekapazität für ankommende Asylsuchende bereitzustellen. Der Weg hin zu guten Unterbringungsbedingungen ist aber noch länger.”

Mit einer anderen Kommunikation wären in Sachsen viele Probleme früher zu klären. Auch die Schnellschusslösung in Böhlen zeugt nicht davon, dass Sachsens Verantwortliche überhaupt geneigt sind, Kommunen und Bürger in eine so wichtige Thematik einzubinden. Das ist der Stoff, aus dem die Konflikte der Gegenwart gemacht werden. Doch statt draus zu lernen, macht man mit der alten”Vertraulichkeits”-Politik immer weiter.

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