Für FreikäuferWenn man keine gesetzlichen Grundlagen hat, dann nennt man die Anwendung neuer Mittelchen eben einfach mal Pilotprojekt. Im Mai hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig schon mal angekündigt, dass er Bodycams bei der Polizei in Dresden und Leipzig schon mal testen wolle. Im September wurde es dann konkret, obwohl sich an der gesetzlichen Grundlage nichts geändert hatte.

Innenminister Markus Ulbig hat auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann auch genauere Auskunft über den Einsatz und die technischen Details von Bodycams gegeben, die ab November in den Polizeidirektionen Dresden und Leipzig erprobt werden sollen. Danach sollen die Kameras an sogenannten gefährlichen Orten eingesetzt werden.

Wozu Markus Ulbig in Leipzig gleich mal vier Plätze zählt:

1. Teilbereiche der Eisenbahnstraße
2. den Bereich Schwanenteich neben der Leipziger Oper
3. den Bereich Kleiner-Willy-Brand-Platz mit dem angrenzenden „Bürgermeister-Müller-Park“
4. einen Teilbereich der Fußgängerzone Stuttgarter Allee in Leipzig

In Dresden wurden sechs solcher Orte klassifiziert. Nämlich:

1. Freifläche Ferdinandstraße im Bereich St. Petersburger Str. 18 – 22
2. Teilbereiche der Reitbahnstraße
3. Bereiche des Wiener Platzes
4. Bereich Albertplatz, Kreuzung Alaunstraße und Teilbereiche der Königsbrücker Straße
5. Bereich Scheunevorplatz
6. Bereich Alaunpark und Alaunplatz, Teilbereiche des Bischofsweg und der Tannenstraße

„Die groß als Pilotprojekt bezeichnete Einführung von Bodycams für die sächsische Polizei soll darüber hinwegtäuschen, dass diese derzeit in Sachsen schlicht unzulässig sind. Ich halte deren Einsatz daher für rechtswidrig“, kommentiert Valentin Lippmann, Sprecher für Datenschutz der Grünen-Fraktion, den Vorgang.

„Es fehlt an einer speziellen Rechtsgrundlage im Polizeigesetz. Die in Rede stehenden Bodycams verfügen über die Möglichkeit der Tonaufzeichnung, das sogenannte Pre-Recording, also die Möglichkeit der verdeckten Aufnahme und können mit WLAN verbunden werden. Die Nutzung dieser Features sind entweder unverhältnismäßig und gehen weit darüber hinaus, wofür Bodycams angeblich angeschafft werden sollen. Unsere Befürchtung, dass in Sachsen ausgerechnet die Variante der Bodycams genutzt werden soll, die am größtmöglichsten in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger eingreift, hat sich bestätigt.“

Wegen des starken Grundrechtseingriffs durch Bodycams, insbesondere durch Aufnahmen im Nahbereich eines Polizeieinsatzes, reichen aus seiner Sicht die allgemeinen Regelungen des Sächsischen Polizeigesetzes zum Einsatz von Videoüberwachung an sogenannten gefährlichen Orten nicht aus.

„Eine Experimentierklausel, die den Einsatz solcher Technik erlauben würde, kennt unser Polizeigesetz nicht. Zudem sind offenbar keinerlei Analysen und Begleitforschung des Pilotprojekts vorgesehen“, wundert sich Lippmann. Was man ja bei einem Pilotprojekt erwarten müsste. Nach einem klar definierten Zeitraum muss es eine transparente Auswertung geben, ob die Dinger was genützt haben oder nicht. Und wenn: was.

Aber das will der Innenminister so genau augenscheinlich nicht wissen. „Welches Ergebnis am Ende einer solcher ‚Erprobung‘ stehen soll, ist auch klar: Es geht nur um die Handhabbarkeit für die Polizeibediensteten, nicht auch um die Auswirkungen, die die permanente Überwachung an bestimmten Orten auf die Bürgerinnen und Bürger hat“, sagt Lippmann.

„Darüber hinaus habe ich Zweifel daran, ob es sich bei den genannten gefährlichen Orten tatsächlich um solche handelt, die nach dem Polizeigesetz durch die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen überwacht werden können. Diese setzen voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass an diesen Orten Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen, Sach- oder Vermögenswerte gefährdet werden. Dies hat der Innenminister trotz meiner Nachfrage nicht anhand der polizeilichen Kriminalitätsstatistik belegen können. Er bleibt den Nachweis schuldig, dass etwa an allen drei Bereichen der Dresdner Neustadt eine vergleichbar hohe Anzahl Straftaten begangen wurde, sich dort verhältnismäßig viele Straftäter aufhalten oder zu Straftaten verabreden oder eine hohe Anzahl von Polizeieinsätzen zu verzeichnen sind. Offenbar wurde im Innenministerium auf ‚Teufel komm raus‘ versucht, eine Rechtsgrundlage für die Bodycams zu finden und diese anschließend solange zurechtgebogen, dass ein Scheitern vorprogrammiert ist.“

Ähnliches gilt für Leipzig. Einige der ausgewählten Orte sind lediglich gekennzeichnet durch vermehrtes Auftreten von Junkies, Trinkern, aber auch einfach jungen Männern, die sich in Gruppen in der Öffentlichkeit aufhalten. Mal werden sie von dem einen Platz vertrieben, mal von dem anderen vergrämt. Aber eine rechte Handhabe, sie vom Aufenthalt an diesen Plätzen abzuhalten, hat auch die Polizei nicht.

Aber nun werden die dort patrouillierenden Polizisten eine kleine Kamera an der Ausrüstung haben, die alle ihre Bewegungen aufzeichnet und damit vor allem die dort Kontrollierten in Bild und Ton festhält, ohne dass es dafür eine Grundlage im Polizeigesetz gibt.

„Ich fordere den Innenminister auf, das sogenannte Pilotprojekt zur Einführung der Bodycams sofort zu stoppen“, betont Lippmann. „Es steht juristisch auf tönernen Füßen und ist in dieser Form ein massiver Eingriff in unser aller Grundrechte.“

Kleine Anfrage: Einführung von Bodycams im Freistaat Sachsen – Nachfrage zu Drs. 6/9173

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Das sich ein Innenministerium und der entsprechende Minister an rechtliche Grundlagen halten muss, das sollte eigentlich selbstverständlich sein!
Wenn das in diesem Fall nicht so ist, kann ich die Kritik verstehen.

Aber die Befürchtung des Herrn Lippmann: “… die die permanente Überwachung an bestimmten Orten auf die Bürgerinnen und Bürger hat“, fällt mir schwer nachzuvollziehen.

Wird denn nicht gerade festgestellt, dass an vielen Orten der “einfache Polizeibeamte” fehlt!?
Wenn diese Kameras durch Polizisten getragen werden und in bestimmten Situationen aktiviert werden sollen (so verstehe ich das zumindest), dann kann ja wohl in Sachen kaum von “permanenter Überwachung” die Rede sein.

Aber noch ein anderer Punkt fällt mir ein.

Die “l-iz” hat vor kurzer Zeit über einen Vorfall berichtet, in welchem sich dunkelhäutige Männer wohl “rassistischer Polizeigewalt” ausgesetzt sahen.

Ich hoffe, ich habe das jetzt nicht über- oder untertrieben ausgedrückt – aber ich glaube, diese Vorwürfe standen im Raum und die betroffenen Menschen, hatten wohl sogar über rechtliche Schritte nachgedacht (wurde zumindest berichtet).

Weiterhin gibt es ja wohl auch oft Anlass zu Beschwerden oder gar Strafanzeigen gegen Polizisten, die dann irgendwie nicht verfolgt werden, weil es keine Beweise gibt.

Jetzt meine, vermutlich wieder ganz naive Denkweise.

Wenn es Bild- und Tonaufnahmen gäbe, könnte das doch durchaus im Sinne der Bürger sein, um genau ein solches Verhalten nachzuweisen – oder auch festzustellen, dass es nicht ganz so war, wie anschließend dargestellt.

Könnte also vielleicht im Sinne beider “Seiten” sein, wenn solche Kameras eingesetzt werden – natürlich nur, mit konkreter gesetzlicher Grundlage.

Schreiben Sie einen Kommentar