Wegen Versäumnissen bei der Ausweisung und Umsetzung der Natura 2000-Gebiete (FFH-Gebiete und EU-Vogelschutzgebiete) geht die EU-Kommission jetzt gegen Deutschland vor, so liest man das in einem Mahnschreiben vom 24. Januar 2019 an den Umweltminister der BRD. Deutschland hat 787 von 4.606 Natura 2000-Gebieten nicht rechtzeitig unter Schutz gestellt und generell nicht hinreichend detailliert Ziele für die Schutzgebiete festgelegt.

Dass der Freistaat Sachsen seinen Verpflichtungen zum Schutz der Gebiete nicht nachgekommen ist, verwundert nicht wirklich, erweist sich Sachsen doch ständig als absolutes Schlusslicht in Sachen Naturschutz. Bekanntermaßen sind auch die sogenannten Grundschutzverordnungen für die Natura 2000-Gebiete kaum das Papier wert, worauf sie geschrieben sind. Normalerweise müssen in solchen Verordnungen Erhaltungs- und Entwicklungsziele ganz konkret formuliert werden, Verbote benannt werden, damit sich Verbesserungen der ökologischen Situation auch tatsächlich umsetzen lassen.

In Sachsen indes ist dies anders gelaufen: Für kein einziges Schutzgebiet sind Verbote benannt worden, Schutzziele sind bis zur Unkenntlichkeit verwässert formuliert worden, ohne konkrete Raumbezüge oder Ähnliches; ein offenes Geheimnis, dass die LTV (Landestalsperrenverwaltung), Land- und Forstwirtschaft kräftigst mitgeschrieben haben, damit ein tatsächlicher Schutz möglichst effektiv unterlaufen werden kann.

In dem EU-Mahnschreiben steht dann auch richtigerweise für den Freistaat: „Die Prüfung der gebietsbezogenen Erhaltungsziele für die Gebiete hat gezeigt, dass die wesentlichen Anforderungen und detaillierten gebietsbezogenen Erhaltungsziele systematisch nicht erfüllt wurden.“

Kritikbeispiel Sachsen im Mahnschreiben der EU-Kommission. Screenshot: L-IZ
Kritikbeispiel Sachsen im Mahnschreiben der EU-Kommission. Screenshot: L-IZ

Ein besonders „schönes“ Beispiel hierfür ist das FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“, ein in besonders starke Not geratenes ehemaliges Auengebiet, wo der Handlungsbedarf immens ist (die L-IZ berichtet regelmäßig darüber). In der sogenannten Grundschutzverordnung für dieses Gebiet vom 19. Januar 2011 ist konkretes dann folgerichtig auch so gut wie nicht zu finden.

Lapidare Formulierungen wie „Erhaltung der mitteleuropäisch bedeutsamen Flussauenlandschaft…“, „Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse…“ zeigen, dass man sich über die tatsächlichen Erfordernisse für eine Redynamisierung der Aue keine großen Gedanken gemacht hat, oder dies auch gar nicht wollte.

Genauere Ideen oder gar Festlegungen, durch welche Maßnahmen der Hartholzauwald effektiv geschützt und entwickelt werden soll und muss, sodass aus den intensiv genutzten Forsten wieder natürliche dynamische Wälder entstehen können, Fehlanzeige! Forderungen nach Aufhöhung der Sohle der Neuen Luppe (die das ganze Gebiet tiefgreifend entwässert) oder gar ein unmissverständlicher Prüfauftrag für den Rückbau der unsinnigen Deiche, die immer höher und höher werden, Fehlanzeige. Verbote, ebenso Fehlanzeige. Nicht einmal eine Forderung nach der Wiederherstellung auetyischer Wasserverhältnisse ist in dieser sogenannten Grundschutzverordnung enthalten. Ein Armutszeugnis sondergleichen.

Nahle mit Nahleauslassbauwerk. Foto: Ralf Julke
Nahle mit Deich und Nahleauslassbauwerk, die das Wasser aus der Burgaue aussperren. Foto: Ralf Julke

Da überrascht dann auch nicht, dass der Managementplan, der im Jahr 2012 fertiggestellt wurde, die gleichen eklatanten Defizite aufweist wie die dazugehörige Grundschutzverordnung. Auch hier augenscheinlich, dass die Akteure aus der Deichbaufraktion und der Forstwirtschaft entscheidend mitgewirkt haben, um ihre jeweiligen Pfründe zu sichern. Und so taucht in dem Managementplan zielsicher unter dem Kapitel Planungen die berühmt-berüchtigte Mittelwaldnutzung auf, und zwar auf einer Fläche von mehr als 13 ha als sogenannte „Versuchsfläche“.

Es wird sogar zugegeben, dass es sich bei der Mittelwaldumgestaltung um einen sehr intensiven Eingriff in die gesamte Waldstruktur handelt, liest dann aber: „Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass eine eventuelle Abwertung der betreffenden Hartholzauwald-Fläche alleine aufgrund des Flächenzuschnitts sehr unwahrscheinlich ist“. Sehr unwahrscheinlich?

Im Managementplan wird auch durchaus erwähnt, dass es sich bei dem Lebensraumtyp um einen vom Verschwinden bedrohten handelt (das ist wohl richtig), andererseits wird aus unerfindlichen Gründen an anderer Stelle im Text ein Erhaltungszustand B (gut) vergeben, vermutlich (oder sicher) damit der Handlungsbedarf nicht allzu dringlich erscheint …

Femelloch im Waldgebiet Die Nonne. Foto: Ralf Julke
Kahlschlag im Auenwald, Femelloch im Waldgebiet Die Nonne. Foto: Ralf Julke

Ein Besuch in der Burgaue zeigt (auch für einen Nicht-Sachverständigen), dass in den bereits erstellten Mittelwaldflächen die vormals intakte Waldstruktur völlig zerstört wurde, die meisten alten Bäume (Eschen, Eichen, Höhlenbäume …) wurden gerodet und haben Platz gemacht für einen Ahorndickicht, der auch bei aller Fantasie nach den einschlägigen Kartieranleitungen (auch die von Sachsen) nicht mehr als Lebensraumtyp Hartholzauwald kartiert werden kann (nur zur Information: Die gesamte geplante Mittelwaldfläche ist im Managementplan als Lebensraumtyp Hartholzauwald mit dem Erhaltungszustand B erfasst worden!). Die Mittelwaldumgestaltung ist also als Komplettverlust auf 13 ha zu werten.

Nach der sogenannten Fachkonvention des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zur Bestimmung der Erheblichkeit bei FFH-Verträglichkeitsprüfungen aus dem Jahr 2007, die auch eine wesentliche Grundlage für Urteile des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig darstellt, ist indes bereits ein Verlust von 50 Quadratmetern als erheblich einzustufen (in der Fallkonstellation der 13 ha großen Planung), eine Fläche also, die um den Faktor 2.600 (in Worten: Zweitausensechshundert!) kleiner ist als die geplante Mittelwaldfläche. Eine krassere Fehleinschätzung kann man sich kaum ausdenken. Es ist sicherlich nicht ganz überraschend, dass das damals beauftragte Institut und kooperierende Wissenschaftler der Uni Leipzig vom Stadtforst Leipzig regelmäßige und gut dotierte Kartierungs- und Forschungsaufträge bekommen.

In anderen Passagen des Managementplans liest sich das Ganze durchaus auch anders. So werden in einer Tabelle Maßnahmenvorschläge für die betroffene Hartholzauwaldfläche (ID 11301) vernünftigerweise gefordert: Biotopbäume anreichern, starkes stehendes oder liegendes Totholz belassen. Hier hat der Stadtförster dann wohl vergessen mitzuschreiben. Grundschutzverordnung und Managementplan, zwei Seiten einer Medaille, für einen wirksamen Schutz des FFH-Gebietes völlig ungeeignet und in Teilen in starkem Maße kontraproduktiv, zumindest für den Naturschutz.

Für den Leipziger Auwald ist es mittlerweile 5 vor 12, nicht mehr viel Zeit, um eine Kehrtwende schaffen zu können, weg von immer mehr technischem Hochwasserschutz und zunehmender Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft, hin zu einer dynamischen Flussauenlandschaft mit natürlichen oder wenigstens naturnahen Gewässern und Wäldern, die ihrem Namen tatsächlich gerecht werden kann.

Die deutliche Mahnung der EU-Kommission zeigt den Handlungsbedarf deutlich und schonungslos auf: Es muss eine neue und geeignete Verordnung für das FFH- und EU-Vogelschutzgebiet des Leipziger Auwaldes geschrieben werden, und es muss darauf basierend ein neuer Managementplan erarbeitet werden; und zwar von unabhängigen Naturschutzfachleuten, die sich nicht von der Deichbau, Land- und Forstwirtschaftslobby reinreden und reinschreiben lassen, wie dies hier andauernd und offensichtlich geschieht.

Was für den Leipziger Auwald gilt, trifft sicherlich auch auf viele, wenn nicht die meisten Natura 2000-Gebiete in Sachsen zu.

Auch im Kanitzsch bei Gundorf hat Sachsenforst ungenehmigt wertvolle Altbäume gefällt

Auch im Kanitzsch bei Gundorf hat Sachsenforst ungenehmigt wertvolle Altbäume gefällt

 

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