Der Kampf um den Deponieberg in Seehausen geht weiter. Die Stadtwerke Leipzig und die WEV wollen hier eine richtig große Solaranlage auf dem inzwischen begrünten Deponieberg errichten. Doch die Bewohner von Seehausen und Naturschutzverbände laufen Sturm. Denn hier hat sich über die Jahre ein artenreiches Biotop entwickelt. Das gehört unter Naturschutz gestellt, findet die „Initiative Stadtnatur“.

Die „Initiative Stadtnatur“ beantragt jetzt eine einstweilige Sicherstellung des auf der Deponie Seehausen entstandenen Biotopmosaiks bei der Stadt Leipzig als Naturschutzgebiet. Der Antrag wird unterstützt vom NABU-Regionalverband Leipzig und dem Landesverein Sächsischer Heimatschutz (LSH).

Status als Schutzgebiet soll geprüft werden

Die von der „Initiative Stadtnatur“, einem partei- und verbandsunabhängigen Zusammenschluss Leipziger Bürgerinnen und Bürger, Fachkundiger und Mitgliedern von Parteien und Naturschutzverbänden, beantragte und von Umweltverbänden unterstützte einstweilige Sicherstellung als Naturschutzgebiet soll ökologisch wertvolle Flächen sichern und den Ämtern Zeit geben, zu prüfen, ob das auf der Deponie entstandene Mosaik an verschiedenen Lebensräumen und den darin lebenden, teilweise bereits sehr bedrohten Tier- und Pflanzenarten einer Ausweisung als Schutzgebiet würdig ist.

Intensiv bewirtschaftete Agrarlandschaften, Autobahn, Gewerbe- und Industriegebiet, Sachsenpark und die Neue Messe, auf den ersten Blick scheint die Deponie Seehausen im Norden von Leipzig, als ehemalige Müllhalde für Restmüll perfekt in die menschengemachte Tristesse hineinzupassen.

Rückzugsort für seltene Arten

„Weit gefehlt! Auf dem Deponieberg Seehausen und in seinem Umfeld finden viele Tier- und Pflanzenarten einen Rückzugsraum. Bei einem nicht unerheblichen Anteil handelt es sich um teilweise stark bedrohte Arten. Zum Beispiel finden gefährdete Brutvogelarten wie Heidelerche, Grauammer, Sperbergrasmücke, Wendehals und Neuntöter hier einen Unterschlupf.

Aber auch über 50 verschiedene Wildbienenarten, die Zauneidechse, die Blauflügelige Ödlandschrecke und gefährdete Orchideenarten wie Bienenragwurz und Purpurknabenkraut können auf der Deponie beobachtet werden“, erläutert Dipl. Biol. Wiebke Engelsing von der Initiative Stadtnatur. Hier konnte sich 25 Jahr lang Natur ungestört entwickeln.

Bei dem für die Sicherstellung vorgesehenen Gebiet handelt es sich um eine 60 Hektar große Fläche, bestehend aus zwei Deponiebergen von 40 Meter Höhe und dem näheren Umfeld. Auf dem Bereich des Altberges konnte sich seit ca. 25 Jahren ein zum Teil forstlich begründeter vitaler Wald ungestört entwickeln. Mit der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 454 „Energieberg Leipzig-Seehausen“ werden nun jedoch durch die Stadtwerke Leipzig insbesondere die Offenflächen, aber auch sechseinhalb Hektar des Waldes mit einer Freiflächenfotovoltaikanlage überplant.

„Auf dem Deponiegelände ist ein ökologisch wertvolles Mosaik an Wald-, Halboffenland und Offenlandlebensräumen entstanden. Dieses Mosaik bietet vielfältige Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten und stellt einen lokalen Hotspot der Biodiversität dar. Die Deponie bietet zusätzlich einen besonderen Trittstein im Leipziger Biotopverbund, der insbesondere in einer so stark von Menschenhand überprägten Landschaft absolut notwendig ist“, erläutert Dr. Karolin Tischer von der Initiative Stadtnatur.

Leipzig verliert Naturräume

In Leipzig gehen in immer kürzerer Zeit immer mehr Naturlebensräume verloren. Über 100 Hektar und mehr als 300 Grünflächen dokumentierte der NABU in den Jahren 2016 bis 2019 und das Tempo der Überbauung steigt weiter. Die Stadt Leipzig hat die Deponie in ihrem Flächennutzungsplan, in ihrem Landschaftsplan sowie in der Biotopverbundplanung zum Erhalt als Grünfläche vorgesehen.

Auch der Regionalplan Westsachen (2021) hat den Erhalt des Waldes auf der Deponie als regionales Ziel festgesetzt. Darüber hinaus ist die Deponie gemäß Stadtklimauntersuchung (2021) eine Fläche mit hoher Priorität für den Klimaschutz (Frischluft- und Kaltluftentstehung), die von „Bebauung freizuhalten“ ist.

„Und gleichzeitig sind in Leipzig immer noch kaum Fotovoltaikanlagen auf den geeigneten Dach- und Verkehrsflächen zu sehen. Das Fraunhofer-Institut, das sich seit über 40 Jahren mit Fotovoltaik beschäftigt, hat ausgerechnet, dass Fotovoltaik auf einem Bruchteil der geeigneten Dachflächen und Ackerflächen in Verbindung mit Windkraft (für strahlungsarme Intervalle) völlig ausreicht, d.h. den Bedarf decken kann. Zudem ist nicht erforderlich, dass die Stadt in ihrer Energieversorgung autark ist“, gibt Tony Kremser von der Initiative Stadtnatur zu bedenken.

Aufgrund der aktuellen Gefährdung der naturschutzfachlich wertvollen Arten und Lebensräume einschließlich des Waldes durch die geplante Fotovoltaikanlage ist nun aus Sicht der Initiative Stadtnatur eine rechtzeitige Sicherung des Gebietes durch eine einstweilige Sicherstellung dringend erforderlich. Teile von Natur und Landschaft können für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren einstweilig sichergestellt werden, wenn zu befürchten ist, dass durch Veränderungen oder Störungen der beabsichtigte Schutzzweck gefährdet ist.

Klimaschutz: Wiesen und Wälder müssen bleiben

Auch die Naturschutzverbände NABU Leipzig und LSH befürworten die einstweilige Sicherstellung. Eine langfristige Begehbarkeit der Deponie (nach der Nachsorgephase der Deponie) wird ebenfalls befürwortet, so ist z.B. die Anlage eines Naturlehrpfades denkbar. Dadurch wäre neben dem Schutz der wertvollen Flora und Fauna auch Naturerfahrung auf der Deponie möglich.

Die Initiative Stadtnatur begreift den Erhalt der Flächen nicht zuletzt als wichtigen Baustein eines naturschutz- bzw. ökosystembasierten Klimaschutzes („nature-based solutions“). „Klimaschutz funktioniert nur, wenn wir Wälder und Wiesen als Kohlendioxidsenken und Frischluft- und Kaltluftentstehungsgebiete konsequent erhalten.“

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