Am 15. Juni war ein weiteres Mal der geplante Energieberg Seehausen Thema in der Ratsversammlung. Seit 2020 sorgt dieses Projekt der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft mbH (WEV) als Antragstellerin und der Westsächsische Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG (WEE) als Projektjägerin für heftige Diskussionen. Denn seit Schließung der riesigen Deponie Seehausen ist hier ein Wald gewachsen. Zumindest ein kleiner.

Am 15. Juni ging es gar nicht darum, dass die Stadt hier selbst plant oder irgendwelche Pläne ändert, sondern schlicht um eine Stellungnahme der Stadt Leipzig zum Zielabweichungsverfahren „B-Plan Nr. 454 Energieberg Leipzig-Seehausen“ zur Errichtung einer Freiflächenfotovoltaikanlage auf der Deponie Seehausen. Das Verfahren führt die Landesdirektion Sachsen. Und eigentlich ist Leipzig ja dafür.

Schon mit dem Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) wurde der Bau einer 30-MW-Photovoltaik-Anlage beschlossen als wesentlicher Baustein für die künftige Energieversorgung der Stadt aus Erneuerbaren Energien. Viele andere mögliche Standorte für so eine große PV-Anlage gibt es im Stadtgebiet nicht.

Stellungnahme der Stadt zum Zielabweichungsverfahren zum Energieberg Seehausen.

Das Problem ist ein anderes – und das brachten insbesondere SPD-Stadtrat Andreas Geisler und Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek zum Ausdruck. Es sollen zwar Ausgleichsmaßnahmen für die notwendig zu fällenden Bäume und den Verlust von Lebensräumen geschützter Arten geschaffen werden – aber eben nicht im Leipziger Stadtgebiet und schon gar nicht im Ortsbild von Seehausen.

Wo bleibt der Ausgleich für die Seehausener?

Geisler wurde dabei sehr emotional. Denn faktisch zahlen die Seehausener besonders drauf für die forcierte Entwicklung des Leipziger Nordens. Mittlerweile liegen drei verschiedene Gewerbegebiete in Seehausen. Dazu kommt die Autobahn. Platz für Natur, Grün, gar Wasserrückhalt ist kaum noch welcher vorhanden.

Aber Ausgleichsmaßnahme nützen letztlich nichts, wenn sie nicht dort stattfinden, wo die Hauptbetroffenen leben. Und auch Seehausen leidet unter Hitze und Dürre. Zweimal an diesem Tag kam der Golfplatz Seehausen ins Wort, der eine erhebliche Fläche am Fuß der Deponie einnimmt und ökologisch – wie alle Golfplätze – eine Katastrophe ist.

Hier wäre natürlich der ideale Ort, einen wirklich sinnvollen Ausgleich für die Eingriffe in den bewaldeten Deponieberg zu schaffen. Nur ist der Golfplatz in Privatbesitz. Die Spielräume der Stadt sind begrenzt.

Aber dass zumindest einige Ämter gewaltige Bauchschmerzen hatten, grünes Licht für das Zielabweichungsverfahren zu geben, ist auch aus der Vorlage zu entnehmen. Da liest man:

„Die Stadt Leipzig begrüßt u. a. aufgrund des Beschlusses des Sofortmaßnahmenprogramms zum Klimanotstand in der Stellungnahme grundsätzlich die Errichtung einer PV-Anlage auf der Deponie Seehausen, gibt aber gleichzeitig fachliche Hinweise. Diese betreffen zum einen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Landschaftsbild- und Artenschutz, da die Deponie hier auch wichtige Funktionen übernimmt.

Zum anderen läuft durch die geplante Rodung von mehreren Hektar Wald das Vorhaben den 1996 vom Stadtrat beschlossenen Umweltqualitätszielen und dem Stadtratsbeschluss ‚Lasst Bäume wachsen‘ vom 13.07.2022 entgegen, da diese Waldfläche nicht im Stadtgebiet ausgeglichen werden kann und dadurch die Gesamtfläche des Waldes in Leipzig reduziert wird.

Aufgrund des Beschlusses des Sofortmaßnahmenprogramms zum Klimanotstand und der Dringlichkeit des Aufbaus von Energieerzeugungsleistung durch Erneuerbare Energien wird allerdings in diesem Fall das Ziel der Waldmehrung auf dem Stadtgebiet aus gesamtstädtischer Sicht als weniger bedeutsam angesehen. Ein Waldausgleich an anderer Stelle in der Region ist jedoch zwingend erforderlich.“

Kein Platz für Wald

Nur zu verständlich, dass die Initiative Stadtnatur auf die Stadtratsentscheidung dann sehr kritisch reagierte.

„Wir haben im Vorfeld der Ratsversammlung alle Stadträt/-innen in einem ausführlichen Video über die sehr hohe Klimaschutz- und Naturschutzfachliche Relevanz der Fläche im jetzigen Zustand und den enormen Verlust und die Beeinträchtigung, die durch die Errichtung der PV-Anlage entstehen würde, informiert“, brachte die Initiative ihre Kritik zum Ausdruck.

„Es gab im Vorfeld reichlich Pressemitteilungen, offene Briefe, Austausch, Diskussionen und Informationen und Positionierungen von Umweltverbänden und Ortsansässigen der Ortslage Seehausen zum Thema. Und es liegt ein Antrag auf einstweilige Sicherstellung der Deponie und ihres Umfeldes als Naturschutzgebiet aufgrund der besonders wertvollen Artenausstattung vor.

All diese Informationen und darüber hinaus viele eigene Beschlüsse wurden von den Stadträt/-innen ignoriert. Der Antrag zur Waldmehrung ‚Lasst die Bäume wachsen‘, der Flächennutzungsplan, der Landschaftsplan, die Biotopverbundplanung, der Masterplan Grün, die Klimaanalyse Stadt Leipzig – alle fokussieren auf den ‚Erhalt und die Entwicklung‘ des Waldes bzw. des Biotopmosaiks auf der Deponie Seehausen. Nun wurden die verbindlichen Ziele der Regionalplanung für die Deponie Seehausen, die für Biodiversität und Klimaschutz stehen, geschliffen. Das können wir nicht unkommentiert lassen und da können wir auch nicht ruhig bleiben!“

In einem Video auf ihrer Homepage versucht die Initiative, ihre Kritik zu verdeutlichen.

Ein Widerspruch zu mehreren Stadtratsbeschlüssen

Wobei Linke-Stadtrat Michael Neuhaus das Dilemma benannte, in dem Leipzig inzwischen steckt. Denn es fehlt im Stadtgebiet nicht nur an – stadteigenen – Flächen zur Waldmehrung. Es fehlt auch an Flächen für größere Fotovoltaikanlagen. Die Schaffung einer klimaschonenden Energieversorgung steht in direktem Konflikt mit den mindestens genauso wichtigen Zielen von Umweltschutz und Artenerhalt.

Und Andreas Geisler hat durchaus recht, wenn er darauf hinweist, dass gerade in den Gewerbegebieten noch immer riesige Flächen versiegelt sind und riesige Hallendächer weder begrünt, noch mit Fotovoltaik bestückt.

Während wichtige Projekte – wie die Revitalisierung des Mühlgrabens in Seehausen – nicht angepackt werden. Beim Golfplatz mit seinem englischen Rasen erwähnte er auch noch die riesigen Bewässerungsmengen, die hier nötig sind, um dieses Spielfeld der Reichen grün zu erhalten.

„Golfplätze haben keinen ökologischen Wert“, sagte Kasek.

Welche Spielräume die Stadt tatsächlich hatte, ihr Ok zum Zielabweichungsverfahren zu verweigern, blieb in der Diskussion am 15. Juni in der Ratsversammlung freilich ungeklärt.

Denn ein Passus in der Vorlage der Stadt deutet darauf hin, dass die Zustimmung deutlich mehr war als ein Biss in den sauren Apfel. Da steht zu lesen: „Die mit dem Bau der PV-Anlage geplante Rodung von Wald widerspricht mehreren Stadtratsbeschlüssen. Den klimapolitischen Zielen und dem Aufbau von erneuerbarer Energieerzeugungsleistung wird aber in diesem Fall größeres Gewicht gegeben.“

Entsprechend enthielten sich dann auch einige Stadträte, die sonst nur zu gern einer großen Photovoltaik-Anlage in Leipzig zugestimmt hätten. Trotzdem gab es ein positives Abstimmungsergebnis für die Vorlage der Stadt mit 35:12 Stimmen bei zehn Enthaltungen.

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Es gibt 5 Kommentare

Einzig Herr Geisler und Frau Böhm von den demokratischen Stadtratsfraktionen haben gegen die Stellungnahme der Verwaltung zum Zielabweichungsverfahren gestimmt.
Unstrittig ist NICHT, dass der Standort für PV auch sehr gut geeignet ist, jedoch ist der Standort auch für eine gemischte Nutzung m.E.n. SEHR GUT geeignet. Man sollte nur gewillt sein ergebnisoffen Varianten zu betrachten.
Den Golfsport als elitär wegen seinem Jahresbeitrag von Höhe von 1.500€ / 4,10 €/Tag zu verteufeln, wie dies Herr Kasek versucht hat schört nur weiter die Feindschaften untereinander. Für eine Ferienfreizeit im Pferdesport werden 62,50 €/Tag verlangt.
Wenn Herr Neuhaus erklärt, dass lebensgefährliche Gase austreten fördert auch diese Behauptung die Feindschaften.

Die Kernforderung ist der ERHALT des Waldes und der Artenvielfalt, nicht die Kompensation; das geht zwar aus dem Video der Initiative Stadtnatur klar hervor, in dem Artikel wird jedoch meines Erachtens etwas zu viel von “Ausgleich” geschrieben. Vermeidung geht vor Ausgleich, so steht es auch ganz ausdrücklich im Bundesnaturschutzgesetz. Zur Abstimmung: Tatsächlich haben gerade einmal 3 Stadträtinnen/Stadträte sich enthalten – was ja letztendlich auch nur ein “Ja” bedeutet – und alle anderen zugestimmt. Bei den Linken 100 % Ja-Stimmen. Damit haben die Grünen und Linken mit Abstand am entschiedensten für die Wald- und Naturzerstörung plädiert. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Agri PV über Nutzflächen, oder auf Gebäudedächern würde ich lieber haben, aber die Lage der Deponie ist für PV schon nicht schlecht.

Aber erst dann nutzen, wenn alle Dächer und Parkplätze mit PV voll sind.

Überraschung: Auch Luft, sogar gekühlte, lässt sich durch Leitungen transportieren!

Eine Nur-Photovoltaik-Nutzung, die nicht dringlich erforderlich ist, kann nicht als Grund für die Rodung für Grünflächen dienen, welche wir in oder in unmittelbarer Nähe einer Großstadt benötigen.
Photovoltaik kann gern als Zweitnutzung auf Dachflächen oder anderweitigen Gebäudestrukturen installiert werden, sozusagen als Doppelnutzung.
Aber dafür einen Wald / gewachsene Grünfläche zu demontieren, ist hirnlos und dumm.

Großstädte benötigen vor allem Grün, um mit der fehlenden Frischluft und der Klimaerwärmung zurecht zu kommen. Viel zu hoch ist die Überhitzung in den versiegelten Stadtbereichen; Kaltluftschneisen und -erzeuger werden benötigt.

Photovoltaik kann man auch entfernt auf Ackerflächen o.ä. Grundstücken errichten.
Strom lässt sich bekanntlich einfach durch Leitungen transportieren.
Frischluft und Abkühlung nicht.

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