Nach scharfer Kritik am Vorwurf vom angeblichen „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge ist CDU-Chef Friedrich Merz nun zurückgerudert – der angerichtete Schaden aber dürfte nicht so einfach verschwinden. An den beiden Ostsee-Pipelines Nordstream 1 und 2 besteht nach einem heftigen Druckabfall und Detonationen der Verdacht der Sabotage. Und: Ein angesetzter Bund-Länder-Treff zur Kostenfrage beim Entlastungspaket 3 ist wegen der Corona-Infektion des Kanzlers verschoben worden. Die LZ fasst zusammen, was am Dienstag, dem 27. September 2022, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.

Merz lenkt ein und bedauert Wortwahl

Am Tag nach seinen Äußerungen über ukrainische Flüchtlinge in Deutschland und ihren vermeintlichen „Sozialtourismus“ ruderte CDU-Parteivorsitzender Friedrich Merz jetzt zurück: Er bedaure die Verwendung des Wortes „Sozialtourismus“, das eine nicht zutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems gewesen sei, schrieb der Oppositionsführer auf Twitter.

Hintergrund: Am Montagabend hatte der 66-Jährige bei „Bild TV“ von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in Deutschland gesprochen, die sich das Sozialsystem angeblich in größerer Zahl zunutze machen würden, indem sie Gelder abgriffen und munter zwischen der Bundesrepublik und der Ukraine pendelten.

„Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge“, behauptete Merz und spielte auf den Umstand an, dass geflohene Menschen aus der Ukraine in der Bundesrepublik seit Mitte des Jahres sofort Sozialleistungen statt die geringer bezifferten Sätze für Asylbewerber beziehen können.

Die Ampel-Regierung hätte sich trotz aller Warnungen vor dem Problem taub gestellt. Konkrete Belege oder Zahlen nannte Merz in der Sendung nicht. Auch die Rechercheplattform „Correctiv“ fand keinen Nachweis für die These von Merz.

Schäbig und falsch: Heftige Kritik an Merz

Merz’ Äußerungen zogen heftige Kritik nach sich, unter anderem seitens der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang (28), der Juso-Chefin Jessica Rosenthal (29), der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52, SPD) und des scheidenden Ukraine-Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk (47). Von einem schäbigen Wahlkampfmanöver angesichts der bevorstehenden Niedersachsen-Wahl, Profilierung ohne moralischen Kompass und geheuchelter Solidarität mit den Opfern eines Angriffskrieges war die Rede.

Selbst Merz’ Parteifreund Thorsten Frei (49) versuchte nur unbeholfen und halbherzig, den CDU-Chef zu verteidigen.

Der Begriff „Sozialtourismus“ tauchte in Deutschland erstmals im Kontext der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen ab 2014 auf, unter anderem seitens des damaligen CDU-Fraktionsvizes im Bundestag, Günther Krings. Eine Jury wählte den Terminus für 2013 zum „Unwort des Jahres“, weil er eine durch Not getriebene Flucht fälschlicherweise als Urlaubsvergnügen hinstelle.

Merz, der sich gern seriös und pragmatisch als „besserer Kanzler“ in Szene setzt – und immerhin forderte er schon früh Waffenlieferungen an die Ukraine und reiste Wochen vor Olaf Scholz (64, SPD) persönlich nach Kiew – dürfte sich und der Union mit seinem Kommentar trotz Entschuldigungsversuch ein heftiges Eigentor verpasst haben.

Lecks in Ostsee-Pipelines: Steckt ein Anschlag dahinter?

Eine weitere Nachricht ließ heute aufhorchen: An den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wurden insgesamt drei Lecks festgestellt. Fest steht aktuell, dass die Leitungen massiv beschädigt sind, nun wird fieberhaft nach den Ursachen gefahndet.

Zwei Lecks befinden sich an Nord Stream 1 nordöstlich der Insel Bornholm, ein weiteres südöstlich davon an der neueren Pipeline Nord Stream 2. Da angesichts der aktuellen Kriegssituation keine der Leitungen, die eigentlich russisches Erdgas gen Europa leiten sollen, in Betrieb ist, gibt es keine direkten Auswirkungen auf die Energieversorgung.

Bereits in der Nacht zum Montag hatte sich ein heftiger Druckabfall in einer der beiden Röhren von Nord Stream 2 ereignet, die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine nie in Betrieb gegangen war.

Montagabend geschah Gleiches in den zwei Rohren von Nord Stream 1, die noch bis Ende August lief, ehe Russland den Hahn zudrehte. Auch von heftigen Detonationen ist die Rede. Bilder der dänischen Marine zeigen riesige Blasenteppiche auf dem Meer, die durch ausströmendes Gas entstehen. Schnell wurden Krisenstäbe einberufen – doch vielen gilt es schon jetzt als gewiss, dass ein gezielter Akt der Sabotage hinter den Vorfällen steckt. An Zufall mag in der jetzigen Situation, nicht zuletzt wegen der engen zeitlichen Abfolge, kaum glauben.

Bund-Länder-Treff erst am 4. Oktober

Wegen der Corona-Infektion des Bundeskanzlers ist das für morgen angesetzte Bund-Länder-Treffen um eine Woche verschoben worden und soll dementsprechend am 4. Oktober nachgeholt werden. Das gab der Vorsitzende der Ministerpräsidenten-Konferenz, Hendrik Wüst (47, CDU) am Dienstag bekannt. Ein reines Ländertreffen dagegen werde wie geplant abgehalten, sagte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen weiter. Dort soll es um die Energiekrise und ihre Folgen gehen.

Olaf Scholz wurde kurz nach der Rückkehr von seiner Reise in die Golf-Region positiv auf COVID-19 getestet und führt die Regierungsgeschäfte derzeit aus der Wohnung im Kanzleramt weiter. Er soll nur leichte Symptome haben. Bei den Bund-Länder-Beratungen, die nun für nächste Woche terminiert sind, soll über die Kostenaufteilung beim dritten Entlastungspaket des Bundes diskutiert werden. Wegen der Differenzen mit den Länderchefs dürfte hier jedoch ein „dickes Brett“ zu bohren sein.

Naturschutz, Demokratie-Monitor und Kunst

Worüber die LZ heute berichtet hat: Es gibt Neuigkeiten vom Energieberg Seehausen – hier soll ein Naturschutzgebiet entstehen, außerdem schildert Ralf Julke anhand dieses Beispiels die vielen Zwickmühlen im Widerstreit zwischen Naturschutz und geplanter Energiewende. Der grüne Anteil am Entstehen der Revolution 1989 in der DDR wird bisher noch viel zu wenig beachtet, findet die gleichnamige Partei. Auch damit setzt sich Ralf Julke auseinander. Außerdem wird der Demokratie-Monitor für Leipzig vorgestellt.

Und für die Kunstfreunde: Ein renommierter Literaturpreis geht an eine Wahl-Leipzigerin und in zwei Tagen öffnet eine neue Ausstellung ihre Pforten.

Scheinreferenden angeblich mit hoher Zustimmung und Aufruf zum Protest gegen rechts in Leipzig

Was sonst noch wichtig war: Große Überraschung – nach Abschluss sogenannter Referenden in vier russisch kontrollierten Gebieten der Ostukraine wird offiziell eine hohe Zustimmung für einen Beitritt der Regionen zu Russland verlautbart. Einmal mehr scheint der Kreml mit Gewalt und Scheindemokratie vollendete Tatsachen schaffen zu wollen.

Einen Tag nach rechtsgerichteten Demos unter anderem in Leipzig gegen die Energiepolitik der Bundesregierung wird für den Tag der Deutschen Einheit am Montag, dem 3. Oktober, zum Protest aufgerufen: Das Aktionsbündnis „Leipzig nimmt Platz“ will ab 18:30 Uhr auf dem Augustusplatz gegen die Bedrohung von rechts mobil machen.

Am gestrigen Abend hatte es in Leipzig gewalttätige Übergriffe von Demo-Teilnehmern auf Angehörige des Gegenprotestes gegeben. Auch Vorwürfe gegen die Polizei wurden laut, diese sei brutal mit Gegendemonstranten umgegangen, habe die Angreifer nicht festgesetzt und selbst gegen Verletzte noch Gewalt angewandt.

Ländertreff findet wie geplant statt

Was morgen wichtig wird: Es kommt zum Treffen der deutschen Bundesländer, bei dem es um Fragen der Energiekrise und die Folgen gehen wird – die Beratungen mit dem Bund verschieben sich um eine Woche (siehe oben).

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Keine Kommentare bisher

Die US Administration sprengt die Röhren weg- aber das ist kein Wirtschaftskrieg.
Hui wird das kalt und depressiv. Trampolinspringen hält sicher warm.
Endlich geht es den verbleibenden Menschen in de Ukraine besser.

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