Die Oppositionsbewegung in der DDR hatte viele Seiten. Denn es gab auch genug, was im vormundschaftlichen Staat zum Himmel stank. Und einer der Gründe, dass Leipzig zum Zentrum der Protestbewegung wurde, war auch die Umweltverschmutzung im Mitteldeutschen Revier. Hier war die chemische Industrie zu Hause, qualmten die Schlote und die Flüsse waren Kloaken. Auch die Pleiße. Die Umweltbewegung sollte also nicht vergessen werden, findet Leipzigs Grünen-Fraktion.

Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Leipziger Stadtrat hat deshalb einen neuen Antrag zur Würdigung der Geschichte der Umweltbewegung und der Bedeutung des fossilen Energieträgers Kohle eingereicht. Als wesentlicher Teil der Friedlichen Revolution soll die Geschichte der Umweltbewegung der DDR stärker auch im öffentlichen Raum Repräsentation finden. Als herausragende Beispiele soll dabei insbesondere an den Pleißegedenkmarsch als erste illegale Umweltdemonstration und der Initiative „Stop Cospuden 1990“ gesondert gedacht werden.

„Die jüngere Geschichte der Stadt Leipzig ist zum einen untrennbar mit dem Energieträger Kohle verbunden, wie viele Tagebaufolgeseen zeigen, und zum anderen auch mit der Umweltbewegung der DDR. 1982 wurde unter dem Dach des Jugendpfarramtes eine der ersten Umweltgruppen in der DDR überhaupt gegründet, die sich später nicht nur den Fragen des Umweltschutzes widmete, sondern auch das System infrage stellte. Damit wurden die Umweltbewegung der DDR und ihre Protagonist/-innen eine der Triebfedern der Friedlichen Revolution“, erklärt Stadtrat Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion.

„Dabei ist auch daran zu erinnern, dass aus der Vereinigung der Umweltgruppen mit dem Leipziger Ökolöwen und der Umweltbibliothek deutschlandweit etwas Einmaliges entstanden ist, was mit dazu beigetragen hat, dass der Tagebau Cospuden sich nicht weiter in den südlichen Auwald hineingefressen hat. Dass 1990 weit mehr als 10.000 Menschen gegen die weitere Ausbreitung des Tagebaus demonstrierten und diese damit auch stoppten, muss gewürdigt werden!“

Eine Stele in der KarLi

Leider finde man weder auf den Seiten der Stadt, noch im öffentlichen Raum Hinweise zum „Pleißegedenkmarsch“ oder der Initiative „Stop Cospuden 1990“. Die App „Leipzig 89“ sei nicht mehr in den App-Stores zu finden. Auch eine Übersicht über die vorhandenen Stelen der Friedlichen Revolution oder mehrere thematische Rundgänge zum Thema würden fehlen.

Aber das liegt wohl eher daran, dass das Projekt „Orte der Friedliche Revolution“ eine Open-Air-Ausstellung der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ist. Weshalb man auf leipzig.de und herbst89.de nur auf summarische Texte zu diesem Projekt stößt.

Die vollständige Liste der Stelen findet man auf der Homepage des Bürgerkomitees Leipzig. Und dort auch einen Eintrag zur Stele für den Pleißepilgerweg am 4. Juni 1989. Die steht an der Karl-Liebknecht-Straße, Höhe Gustav-Freytag-Straße.

Aber es stimmt schon: Wer nicht direkt dran vorbeikommt, wird auch nicht daran erinnert, wie sehr Leipzig 1989 unter den Folgen der massiven Umweltbelastungen und des Kohlebergbaus litt. In gewisser Weise erinnern auch die Tafeln des aufgelösten Vereins Neue Ufer mit der Forderung „Pleiße ans Licht!“ an den rücksichtslosen Umgang mit den Flüssen um Leipzig. Denn der Pleißemühlgraben verschwand ja in einer Hauruckaktion unter der Erde, weil die chemiebelasteten Wasser zum Himmel stanken.

Die Umweltbewegung gehört zur Friedlichen Revolution

„Weder das Engagement der Umweltbewegten noch ihre Bedeutung innerhalb der Friedlichen Revolution und für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen spiegelt sich aktuell auf den Seiten der Stadt als auch in der Erinnerungskultur der Stadt in ausreichendem Maße wider“, kritisiert die Grünen-Fraktion.

„Den Zeitzeug/-innen von damals eine angemessene Würdigung zuteilwerden zu lassen und die Bedeutung der Umweltgruppen deutlich zu machen, ist für Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution unabdingbar“, findet Jürgen Kasek. Und das soll auch Orte einbinden, denen man heute nicht mehr ansieht, dass sie Folge der Umweltzerstörungen in der DDR waren. Nach Vorstellungen der Grünen sollte dabei so eine Art „Spur der Leipziger Umweltschutzgeschichte“ entstehen.

Was so abwegig nicht ist in einer Zeit, in der in Leipzig der Klimanotstand ausgerufen ist und die Stadt in einer wegschmelzenden Zahl von Jahren endlich die Energiewende und die Klimaneutralität schaffen muss. Also zu vollenden hat, was 1989 schon eines der wichtigsten Themen der Friedlichen Revolution war. Ein Thema, das schon immer weit über den kommunalen Rahmen hinausging.

Der Grünen-Antrag: Die Spur der Kohle und der Umweltbewegung in der DDR

Beschlussvorschlag:

Die Geschichte der Umweltbewegung der DDR ist wesentlicher Teil der Geschichte der Friedlichen Revolution und soll künftig als Teil der Leipziger Stadtgeschichte präsentiert werden.

Dazu wird der Oberbürgermeister beauftragt, analog zur Leipziger Notenspur, eine Spur der Umweltschutzgeschichte in der DDR und insbesondere die Geschichte der Umweltbewegung hinsichtlich des Energieträgers Kohle in Leipzig zu fördern und im öffentlichen Raum abzubilden. Als wesentliche Stationen sind dabei der Kulkwitzer See, die Großwohnraumsiedlung Grünau, die Umweltbibliothek Leipzig und das Leipziger Neuseenland sowie die Paul-Gerhardt-Kirche in Connewitz und die Pleiße einzubauen. Als herausragende Beispiele des Engagements der Umweltbewegung soll im öffentlichen Raum an den „Pleißepilgerweg 1988“ (Rio Phenole) und der Initiative „Stop Cospuden 1990“ gedacht werden.

Begründung: Die jüngere Geschichte der Stadt Leipzig ist untrennbar mit dem Energieträger Kohle verbunden, seien es früher die Schlote von Thierbach, Böhlen oder Espenhain oder heute das Kohlekraftwerk Lippendorf. Auch die zahlreichen Tagebaufolgeseen künden davon.

Dennoch erfährt die Umweltbewegung in der DDR in der Gesamtbetrachtung der Geschichte der Friedlichen Revolution zu Unrecht nur eine untergeordnete Rolle.

Seit dem Beschluss des Ministerrats 1982 wurde in der DDR nicht mehr über Umweltprobleme berichtet und Umweltdaten wurden unter Verschluss gehalten, es formierten sich auch in der DDR und insbesondere in Leipzig Umweltgruppen.

Die Umweltbewegung der DDR gabelte sich im Wesentlichen in zwei Bereiche auf: die Umweltgruppen unter dem Dach der Kirche und die Umweltgruppen unter dem Dach des Kulturbundes, die beide erst im Zuge der Friedlichen Revolution zueinander fanden und letztlich am 23. November 1989 in der Gründung des Leipziger Ökolöwen gipfelten. Ein Bestandteil des Ökolöwen ist die gegründete Umweltbibliothek, sie entstand innerhalb der 1981 gegründeten „AG Umweltschutz“ des Leipziger Jugendpfarramtes. Sowohl Verein als auch Bibliothek und ihre Bedeutung sind deutschlandweit einmalig und werden bislang nicht im ausreichenden Maße wertgeschätzt.

Der Ökolöwe arbeitete an den Runden Tischen beim Rat des Bezirkes und der Stadt mit. Im Januar 1990 bezog der Verein eigene Räume im Haus der Demokratie und erreichte im ersten Jahr gemeinsam mit der Bürgerinitiative „Stop Cospuden 1990“ das Ende des Braunkohlenabbaus im Tagebau Cospuden. So wurden große Teile des südlichen Auwaldes gerettet.

Das Verständnis der Umweltarbeit in Leipzig und auch die Bedeutung der Kohle für Leipzig ist bislang jedoch nicht ausreichend erinnerungspolitisch berücksichtigt. Dabei hatten auch die Umweltgruppen maßgeblich mit Einfluss auf den Zusammenbruch der DDR. 1981 etwa wurde die Arbeitsgruppe Umweltschutz als eine der ersten Ökologiegruppen in der DDR gegründet. Während sich die sogenannte AGU anfangs noch mit Einzelproblemen des Umweltschutzes befasste, wurden ab 1988 weitere gesellschaftliche Aspekte wie etwa Demokratiedefizite zur Sprache gebracht und das System grundlegend hinterfragt.

Anlass für die Gründung der AGU war insbesondere auch die Situation der Pleiße. Der Fluss Pleiße galt ursprünglich als Lebensader der Stadt Leipzig. Die Pleiße wurde „verrohrt, verschüttet, abgedeckt und unterirdisch abgeleitet“, weil sie biologisch tot war und eine enorme Geruchsbelästigung darstellte. Im Volksmund als “Rio Phenole” bezeichnet, stand der Fluss beispielhaft für die Umweltsituation der Stadt und der geschundenen Region rings um Leipzig.

Der zunehmende Protest gipfelte im Pleißegedenkmarsch, der zu einer Welle von Repressionen führte und später auch in dem Buch „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ von Peter Wensierski und im gleichnamigen Film seinen Niederschlag fand. Der Pleißegedenkmarsch war dabei die erste große illegale Demonstration.

Auch die Großwohnraumsiedlung Grünau, die für die Menschen aus den devastierten Dörfern bei Leipzig gebaut wurde, und der benachbarte Kulkwitzer See als einer der ersten Tagebaufolgeseen sind in das Erinnerungskonzept mit einzubeziehen.

Weder das Engagement der Umweltbewegten, noch ihre Bedeutung innerhalb der Friedlichen Revolution und für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen spiegelt sich aktuell auf den Seiten als auch in der Erinnerungskultur der Stadt in ausreichendem Maße wider.

Den Zeitzeug/-innen von damals eine angemessene Würdigung zuteilwerden zu lassen und die Bedeutung der Umweltgruppen deutlich zu machen, ist für Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution unabdingbar.

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