Der 6. Juni 1993 ist als historischer Tag in die Leipziger Fußballgeschichte eingegangen. Im letzten von 46 Spielen einer 11-monatigen Mammutsaison besiegte der VfB Leipzig den FSV Mainz mit 2:0 und machte damit den Aufstieg in die 1.Bundesliga perfekt. 38.000 Zuschauer im Zentralstadion und über 10.000 Fans auf dem Marktplatz feierten ihre Aufstiegshelden. "Wir haben die ganze Saison herausragend gespielt, das hätte vorher keiner gedacht!", erinnert sich der damalige VfB-Keeper Maik Kischko.

Grund für Aufstiegsträumereien hatte es im Vorfeld wahrlich keinen gegeben, liefen doch die drei vorangegangenen Spielzeiten durchaus suboptimal. In der letzten DDR-Meisterschaft 1990/91 verpasste der 1.FC Lok mit Platz 7 den direkten Sprung in die gesamtdeutsche 2.Bundesliga wegen des um 2 Treffer schlechteren Torverhältnisses hauchdünn. Über den Umweg der Aufstiegsrunde wurde diese Scharte jedoch ausgewetzt. Leipzig war – nun unter dem Namen VfB – 1991/92 im Profifußball dabei. Fast wäre dies aber schon die vorerst letzte Saison im bezahlten Fußball geworden, musste man doch erneut nachsitzen und in die Abstiegsrunde. Mit einem Punkt mehr über dem Strich hielt der VfB letztlich die Klasse und kam folglich als Wackelkandidat in die 1992/93 nun eingleisig laufende 2.Liga. Ein Moloch, bestehend aus 24 (!) Mannschaften. Die drei Besten würden in die 1. Bundesliga aufsteigen und gleich sieben Teams am Ende in die Amateur-Oberliga runter müssen. Leipzig wurde gemeinhin mit der zweiten Variante in Verbindung gebracht.

Doch der VfB verblüffte mit einem Traumstart, kassierte in den ersten fünf Spielen keinen einzigen Gegentreffer. Dabei knöpfte man auch vermeintlichen Schwergewichten wie dem MSV Duisburg (H/0:0), FC St.Pauli (A/0:0) und Hertha BSC (H/2:0) fleißig Punkte ab. Als am 7. Spieltag auch die Braunschweiger Eintracht mit 2:1 nach Hause geschickt werden konnte, fand sich der von Jürgen Sundermann trainierte VfB auf dem 2. Tabellenplatz wieder – punktgleich mit dem neuen Spitzenreiter SC Freiburg. Dieser übrigens sollte seine Führung bis zum Saisonende nicht mehr abgeben.
Leipzig hingegen ereilte ein Zwischentief. Am 8. Spieltag setzte es in Wuppertal die erste Saisonniederlage (0:1), und auch die drei folgenden Partien wurden alle verloren. Statt auf einem Platz an der Sonne fanden sich die Sundermann-Schützlinge nun auf Platz 9 wieder. Eine kleine Talfahrt, die sich auch in den Zuschauerzahlen widerspiegelte. Kamen zu den bisherigen Heimspielen im Schnitt etwa 3.000 Menschen – was auch nicht gerade überwältigend war – fanden sich gegen Osnabrück (13. Spieltag/0:0) lediglich noch 1.000 Hartgesottene ein. Geisterkulisse im riesigen Rund des Zentralstadions. Doch die Mannschaft fing sich bald wieder, kassierte in den verbleibenden zehn Begegnungen der Hinrunde lediglich gegen Ligaprimus Freiburg eine Niederlage (A/0:1). Im Tableau verbesserten sich die Leipziger während dieser Zeit auf den 4. Platz.

Am Ende der Hinrunde war es an der Tabellenspitze vor allem eines: Verdammt eng. Oben thronte recht komfortabel der SC Freiburg (36 Punkte), doch auf den Rängen 2 bis 4 drängelten sich mit Fortuna Köln, MSV Duisburg und VfB Leipzig gleich drei Vereine mit 31 Punkten. Für Spannung im zweiten Teil der Saison war also gesorgt. Doch zur Winterpause musste sich der VfB von seinem Knipser Bernd Hobsch trennen. Dieser wechselte direkt in die 1.Liga und heuerte beim SV Werder Bremen an. Sein Abschiedsgeschenk im Abschiedsspiel gegen Meppen: Der 1:0-Siegtreffer. Dieser hievte die Leipziger wieder in die Aufstiegszone, wo sich die Blau-Weißen nun förmlich festtackerten und bis zum Ende der Saison nicht mehr weg zu kriegen waren.

Allmählich fanden auch die Fans den Weg zurück ins Stadion. Gegen Wuppertal (32. Spieltag/3:0) kamen 4.000 Zuschauer, ein Heimspiel später gegen Unterhaching (34. Spieltag/2:1) waren es schon 5.400 und beim nächsten Mal sahen gegen Düsseldorf (36. Spieltag/0:0) immerhin 6.100 Menschen zu. Im Heimspiel gegen den Spitzenreiter aus Freiburg (40. Spieltag/2:0) wurde es mit 10.200 Zuschauern sogar erstmals zweistellig.
Ob dem VfB der Aufstieg ins Oberhaus tatsächlich gelingen würde, blieb bis zum letzten Spieltag ungewiss. Die Leipziger lieferten sich mit dem SV Waldhof Mannheim wochenlang einen packenden Zweikampf um den letzten zu vergebenden Aufstiegsrang. Es passte ins Drehbuch, dass es ausgerechnet im vorletzten Saisonspiel zum Showdown zwischen beiden Mannschaften kommen sollte. Der VfB ging mit einem Punkt Vorsprung in diese Begegnung, könnte sich also mit einem Unentschieden schadlos halten und am letzten Spieltag mit einem Heimsieg gegen Mainz alles klar machen. Besondere Brisanz: Es war bereits bekannt, dass VfB-Coach Sundermann in der kommenden Saison den Trainerposten bei Waldhof Mannheim übernehmen wird. Rund 1.000 VfB-Fans nahmen den Weg nach Mannheim auf sich, um ihrem Verein den Rücken zu stärken. Mit Erfolg, die Partie endete torlos und Leipzig feierte das Remis bereits als heimlichen Aufstieg.

Der 6. Juni 1993 sollte ein Fußball-Festtag für Leipzig werden. Die im Tabellen-Mittelfeld eingekommenen Mainzer waren ein dankbarer Gegner, um an die Mission Aufstieg den grünen Haken zu setzen. 38.000 Zuschauer strömten in die “Schüssel” und entfachten eine erstligareife Atmosphäre. Auch die Mannschaft auf dem Rasen ließ keine Fragen mehr aufkommen. Nach einer gespielten Stunden köpfte Jürgen Rische den 1:0-Führungstreffer, während Dirk Anders nur acht Minuten danach auf 2:0 erhöhte. Damit war der Aufstieg sowohl im Sack als auch in den Tüten. Tausende Fans klettterten über die Zäune, säumten – während das Spiel noch lief – den Platz, tanzten, sangen, lagen sich in den Armen und warteten nur auf eines: Den Abpfiff. Als dieser schließlich ertönte, war nur noch Jubel, Jubel und noch viel mehr Jubel.

“Dann ging es mit Cabrios vom Zentralstadion zum Rathaus”, blickt Torhüter Kischko zurück. “Die Spielerfrauen kamen in einer historischen Straßenbahn hinterher, die von Manager Klaus Dietze gefahren wurde”. Über 10.000 Fans empfingen die Erstliga-Aufsteiger frenetisch. “Der ganze Marktplatz war voll”, so Kischko. Gefeiert wurde vor allem einer: Trainer Jürgen Sundermann, der seine Truppe so lange stark geredet hatte, bis sie selbst glaubte, stark genug für den Aufstieg zu sein. “Wir hatten einen unheimlichen Zusammenhalt, fast ein familiäres Verhältnis und den für damals optimalen Trainer”, beschreibt Kischko das Erfolgsgeheimnis dieser verrückten Saison. Grundlage auf dem Platz dürfte vor allem die Betonabwehr mit Lindner, Edmond, Kracht und Kischko gewesen sein. Immerhin beendete der VfB 20 der 46 Saisonspiele ohne Gegentor!

Diese VfB-Kicker kamen in der Aufstiegssaison zum Einsatz:
Kischko, Liebers, Kracht, Lindner, Edmond, Heidenreich, Bredow, Hecking, Däbritz, Rische, Hobsch, Anders, Trommer, Gabriel, Engelmann, Turowski, Grischin, Bittencourt, Gyamfi. Trainer Sundermann.
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