Der Leipziger Traditionsfußball spielt sich seit Jahren nur in tiefen Gefilden ab. Der 1. FC Lokomotive ist in der abgelaufenen Spielzeit von der Regionalliga in die fünftklassige Oberliga abgestiegen. Die BSG Chemie tritt eine Spielklasse weiter unten an. Trotz anhaltender Tristesse herrscht bei beiden Clubs Aufbruchstimmung.

Vor 27 Jahren stand der 1. FC Lokomotive im Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger. Im Athener Olympiastadion traf die “Loksche” auf Ajax Amsterdam. Der Außenseiter aus Probstheida verlor denkbar knapp mit 0:1. Weltstar Marco van Basten erzielte in der 21. Minute den Siegtreffer. Heute schwelgen Lok-Fans gerne in Erinnerungen. Ihr Hoffnungsträger heißt Heiko Scholz. Im einzigen Europapokal-Finale der Vereinsgeschichte stand der heutige Cheftrainer in der Startelf. In der abgelaufenen Saison konnte Scholz den Abstieg der Blau-Gelben nicht verhindern. Jetzt soll der 48-Jährige die Probstheidaer zurück in die Regionalliga führen.

Trotz sportlichem Niedergang ist die Stimmung im Bruno-Plache-Stadion dieser Tage prächtig. Der Vorstand um Präsident Heiko Spauke packt seit rund einem Jahr Baustellen an, die unter seinen Vorgängern entstanden waren. Stand der Club Anfang 2013 noch kurz vor der Insolvenz, sieht die Zukunft heute rosiger aus. Die Verantwortlichen krempelten das festgefahrene Image des Traditionsclubs um. Galt die Fankurve lange Zeit als Tummelplatz von Rechtsextremen, fühlen diese sich bei Heimspielen zunehmend unwohl. Spauke und Co. setzten gegen bekannte Neonazis Hausverbote inkraft.

Die Ultra-Gruppe “Scenario”, die unter Beobachtung des sächsischen Verfassungsschutzes steht, erhielt vor einem Jahr ein Erscheinungsverbot. Nahmen die Rechten bis dahin eine Scharnierfunktion zwischen Fanszene und organisiertem Rechtsextremismus wahr, müssen sie ihre Aktivitäten heute stark einschränken. Einige “Scenario”-Aktivisten dürfen zwar noch Lok-Spiele besuchen, ihre Gruppensymbolik müssen sie aber daheim im Kleiderschrank lassen. Tabu sind in Probstheida auch sämtliche Bekleidungsstücke, die mit dem Nazi-Milieu in Verbindung gebracht werden. Darunter fallen laut Stadionordnung auch einschlägige Modemarken wie “Thor Steinar” oder “Consdaple”.

Mittlerweile hat sich im Vereinsumfeld eine neue Ultra-Gruppe gegründet. Die “Ultras Fankurve 1966” positionieren sich öffentlich gegen Diskriminierung und menschenverachtendes Gedankengut. “Jegliche Formen von Diskriminierung und sonstigem menschenverachtendem Gedankengut haben in unseren Reihen definitiv keinen Platz”, schreiben die neuen Lok-Ultras auf ihrer Homepage.
Zum Leitbild der Gruppe zähle eine bunte Fankultur, die aufzeigt, was Lok-Kenner schon lange wissen: Dass Lok Leipzig und seine Anhängerschaft bedeutend vielschichtiger ist, als es vorherrschende Stereotype oftmals ahnen lassen würden. Denn ein Außenbild, einmal erworben, ist hartnäckig und hatte sich auch bei Lok über Jahre verfestigen können.

Noch wollen sich die verbannten “Scenario”-Anhänger offenbar nicht geschlagen geben. Unbekannte drangen in der Nacht vor dem ersten Punktspiel am 8. August ins Stadion ein, beschmierten die Anzeigetafel mit “Scenario”-Graffiti. Außerdem zerstachen mutmaßlich dieselben Täter die Reifen zweier Autos. Damit nicht genug: In der Nacht zum 19. August zerstachen Unbekannte erneut Reifen eines Kleinbusses, der auf dem Stadiongelände geparkt war. Die Verantwortlichen des Vereins möchten sich zu dem Thema derzeit nicht äußern. Die Polizei ermittelt. Für sachdienliche Hinweise hat Lok Leipzig 500 Euro Belohnung ausgesetzt.

Euphorisch ist auch die Stimmung bei der BSG Chemie. Die Leutzscher bewirtschaften nach der Pleite der SG Sachsen Leipzig im Alleingang den altehrwürdigen Alfred-Kunze-Sportpark. Hinzu kommt, dass der Verein ab dieser Spielzeit wieder in der Sachsenliga kickt. Neben Fußball gehören den Leutzschern zwei Handball-Teams und eine Kegel-Abteilung an.

Die Betriebssportgemeinschaft begreift sich als Mitgliederverein. Die Hierarchien sind flach. Ultras und Vorstand kennen sich persönlich. Den Nachwuchs-Bereich verantworten die Leutzscher erstmals seit der (Wieder-)Aufnahme des Spielbetriebs 2008 komplett in Eigenregie. Die Spielgemeinschaften mit benachbarten Clubs, etwa TuS Leutzsch, sollen der Vergangenheit angehören.

Mit sieben Junioren-Teams in allen Altersklassen möchten die Chemiker an den Start gehen. Interessierte Nachwuchs-Kicker dürfen gerne bei den Leutzschern vorstellig werden. Außerdem suchen die Chemiker neue Schiedsrichter. Die Schiri-Ausbildung erfolgt durch den Fußballverband Stadt Leipzig an drei Sonntagen im September. Die Lehrgangsgebühren übernimmt der Verein.

Im Laufe der Rückrunde konnten die Chemiker erstmals Hand an ihrer Spielstätte anlegen. Sanierungsarbeiten waren zuvor von der SG Sachsen durchweg blockiert worden. Fans und Mitglieder hübschten gemeinsam den Familienblock auf. Finanziert wurden die Bauarbeiten teils durch Crowdfunding. Anfang August verpassten Engagierte den Sitzschalen des Dammsitzes eine Frischzellenkur. Saniert werden müssen auch Mannschaftskabinen, Funktions- und Geschäftsräume.

Wer mit anpacken möchte, findet aktuelle Termine unter www.chemie-leipzig.de

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