8. Dezember, gefühlt vorgestern: Ich klettere in den Flieger, steige nach rund fünf Stunden wieder aus und blicke auf den Atlantik an der Südküste von Teneriffa. Es ist warm und erste Weihnachtsdekorationen fallen in mein Blickfeld - irgendwie komisch, wenn man doch gleich im Hotel eine kurze Hose anziehen wird. Nach zehn Tagen hartem Training auf der Kanareninsel, geht es wieder nach Hause - und schon ist Weihnachten.

Hektisch werden online noch ein paar Geschenke gebucht und fleißig weiter trainiert, über die Festtage ist das ja nur eingeschränkt möglich. So wurde der Heiligabend auf der heiligen Nordanlage verbracht, 10 Grad Außentemperatur und Sonne sei dank, man stelle sich vor es läge Schnee. Doch diese Zeit ist auch irgendwie willkommen, um den Akku aufzuladen, zu regenerieren, denn ich habe Großes vor: Deutsche Hallenmeisterschaften in Leipzig, zwei Monate Training in den USA, Team-EM in Braunschweig, Deutsche Meisterschaften in Ulm und als großer Knaller die EM in Zürich.

Zu allererst gibt es das große Heimspiel, ein Höhepunkt und doch nur Durchgangsstation. Vor drei Jahren waren die Spikesträger zuletzt in der Arena zu Gast und leider stellt das auch den letzten wichtigen Höhepunkt in Leipzigs Leichtathletikwelt dar.

2003 wurde die Arena eingeweiht, die hellblaue Gummipiste unter dem regelmäßig aufgetischtem Parkett bekommen wir Athleten nur selten zu sehen. Statt auf der 200m langen Runde zu trainieren, laufen wir wie Laborratten den Sprintschlauch hin und her. Dank der frisch gestrichenen Wände, wird man gerade so nicht depressiv, doch die beengte Atmosphäre und der wehmütige Gedanke an die Bahn eine Etage höher sind nicht gerade motivierend. Da lobe ich mir die routinemäßigen Ausflüge auf die Insel, die letztlich der Weg zum erfolgreichen Heimspiel ebnen sollen.

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Ein Rückblick: Februar 2011. Die letzte Leipziger Hallen-DM. Ich noch als Chemnitzer Athlet am Start. Christian Blum der Gegner um den Titel über 60 Meter. Winzige 2/100 Sekunden ist der Wattenscheider eher im Ziel und holt bei seinem dritten DM-Auftritt in Leipzig sein drittes Gold. 2014 könnte es wieder zu diesem Zweikampf kommen. Alle guten Dinge sind 3 und ich finde, (s)eine Serie ist da, um gebrochen zu werden. Wäre das genial? Meine Stadt, meine Halle, mein Sieg – vor Leipzigs Augen!

Doch was zählt all das noch, wenn ich 400 Meter entfernt wieder in meine Wohnung zurückkomme? Es ist dann schon wieder der Schnee von gestern, Kurzweiligkeit in unserem Leben sei dank. Durchatmen und weitermachen, denn der große Traum, eine (deutsche) Legende zu werden, lebt. Jeder Mensch hat das Streben etwas zu hinterlassen, das ewig währt.

Darf ich vorstellen: Mein Traum davon ist meist rot, gelegentlich blau und selten grün, ziemlich genau 100 Meter lang, beginnt mit einem Knall und endet sobald wie möglich. Der letzte Punkt ist dabei ganz entscheidend. Unzählige Male stand bei mir die 10 vor dem Komma. Mancher Hobbyathlet träumt von so einer Zeit, doch ich träume eine Etage und vielleicht sogar einige Welten höher: Meine Traum-Zahl ist einstellig und nur 80 Menschen auf diesem Planet sahen Sie hinter ihrem Name, die in Sprintkreisen magische Zahl 9.

Der Traum: 81. Mensch auf Erden – drüber gelacht, 10. Europäer – naja wird zur Kenntnis genommen, zweiter weißer Athlet – tja, der Zweite ist der erste Verlierer, aber: Erster Deutscher unter 10 Sekunden! Das ist mein großer Traum, der greifbar nah ist. Jeden Tag habe ich es vor Augen. Im Kopfkino läuft täglich der gleiche Film, ohne langweilig zu werden. Jetzt gilt es, ihn filmreif zu machen.

Viele andere Athleten setzen sich keine Zeiten als Ziel, sie wollen um Medaillen kämpfen und Siege erringen, das Ergebnis ist ihnen zweitranging. Grundsätzlich sehe ich das auch so, aber wenn es darum geht, etwas historisch als Erster zu erreichen, dann geht es ja auch irgendwie um den Sieg. Niemand spricht von Buzz Aldrin, dem zweiten Mann auf dem Mond. Aber Neil Armstrong, der erste Mensch, der seinen Fuß auf den Mond setzte, ist eine Legende. Beispiele dafür gibt es genügend: Kolumbus – Amerika, Oliver Bierhoff – Golden Goal oder auch nur Phillip Lahms “Eröffnungstor” bei der Fußball-WM 2006.

Betrachtet man nun die 80 Herren unter 10 Sekunden, fällt auf, dass ein Großteil in wärmeren Gefilden hausiert oder zumindest dort die Trainingsplätze unsicher macht. Wäre doch gelacht, wenn man das nicht auch haben könnte. Und so geht es für mich Anfang April für zwei Monate nach Florida. Training, Regeneration und Motivation laufen dank 30 Grad auf Hochtouren. So soll die beste Form meines bisherigen Sportlerlebens generiert werden. Hoffentlich vorläufig, denn mit 27 Jahren wähne ich mich im Bestalter und 2018 steht mit der Europameisterschaft wieder ein Heimspiel im Berliner Olympiastadion an.

Doch wer bezahlt den ganzen Spaß? Alles wird durch klamme Kassen auf Kante kalkuliert und auch private Zuschüsse sind nicht ausgeschlossen. Mal so nebenbei: Wir reden hier über Beträge, die bei den Kollegen des Fußballs wohl in der Schublade der Sekretärin zu finden sind und die durch unser – nicht gerade von Sponsoren gesegnetes – LAZ und das Budget des Bundestrainers zusammenkommen.

Dem Männersprint im Deutschen Leichtathletikverband geht es so gut wie nie zuvor und doch wurde ein Förderverein gegründet, um die nötigen Mittel herbei zu karren. Erfolgreichere Disziplingruppen wie Kugelstossen oder Stabhochsprung bekommen an ihren Erfolgen gemessene Möglichkeiten. Aber sollte es nicht andersrum sein? Wer nichts leistet wird gekürzt und so jede Möglichkeit einer Leistungsrevolution im Keim ertränkt. Die, die erfolgreich sind können aus dem Vollen schöpfen.

Ich träume davon, dass ich alles, was ich mir vornehmen, auch realisieren kann. Es keimt die Idee, mich für lange Zeit einer amerikanischen Trainingsgruppe anzuschließen, doch dafür fehlt noch lange das Kleingeld. Daraus ergibt sich in meinen Augen auch der kleine, feine Unterschied von Leistungssport und Höchstleistungssport.

Mein Traum ist, dass sich mehr Unternehmen und Personen dafür interessieren, was ich mache und mich auf diesem Weg unterstützen. Denn ich möchte mir später nicht vorwerfen, nicht alles versucht zu haben. Apropos Traum: Wäre es nicht eine gute Idee, wenn ein deutsches Unternehmen 1 Million Euro für den ersten hiesigen Sprinter unter 10 Sekunden ausschreiben würde?

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