Das große Problem an der Wachstumsphilosophie ist, dass die ganze Garde der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute Entwicklung gar nicht anders interpretieren können als über "Wachstum". In diesem Fall in Gänsefüßchen, denn tatsächlich geht es nur um das Wachstum einer Zahl, die man so landläufig Bruttoinlandsprodukt (BIP) nennt. Auch wenn sie gar nichts aussagt über Wohlstand, Einkommen oder gar Verteilungsgerechtigkeit. Oder Nachhaltigkeit.

Und so klingt dann auch das, was das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) nun meldet zu den möglichen Prognosen der weiteren Aussicht, eher so ratlos wie eine Börsenprognose.

“Im Jahr 2014 expandiert die deutsche Wirtschaft in mäßigem Tempo. Der hohe Produktionszuwachs vom Jahresanfang hat sich nicht fortgesetzt, und die Unternehmen schätzen ihre Aussichten nicht mehr ganz so günstig ein, denn eine kräftige Erholung des Euroraums lässt weiter auf sich warten”, formuliert das Institut in seiner Meldung vom 12. September. Stimmt also auch gleich mal die Molltöne an, obwohl die eigenen Zahlen sagen: Die Steuereinnahmen steigen, die Einkommen steigen, das Arbeitsvolumen steigt.

Aber man ist mittlerweile völlig auf den Export fixiert. Und da ein Wirtschaftsdenken in Deutschland ohne hohe Exportquote nicht mehr zu existieren scheint, schwant den Rechnern nun mal wieder Flaues: “Zudem verunsichert der Konflikt zwischen Russland und dem Westen.” Was ja bekanntlich einige Wirtschaftsgrößen schon wieder zu hohen Warnungen verleitet, die Sanktionen gegen Russland würden der “deutschen Wirtschaft” schaden.

Dabei sollte der Blick eigentlich auf eine nachhaltige Entwicklung im Inland liegen. Was nutzt die ganze hohe Exportquote, wenn die Infrastrukturen im Land kaputtgehen, weil zu wenig in Bestand investiert wird? Selbst dem “Spiegel” war das ja in der letzten Woche mal einen Aufmacher wert.

“Die binnenwirtschaftlichen Bedingungen sind aber weiter günstig”, so stellt das IWH fest. “Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im Jahr 2014 um 1,5 % zulegen (Prognoseintervall: 1,3 % bis 1,7 %).”

Jetzt schaut alles wie gebannt nach Russland. Dabei gibt es die selben Probleme mit einer zunehmend marodierenden Infrastruktur im ganzen Euro-Raum. Doch der kann unter den Folgen der Finanzkrise kaum japsen.

“Im Euroraum ist aber die zaghafte konjunkturelle Belebung erst einmal wieder zum Erliegen gekommen”, stellen die Hallenser Forscher fest. “Alles in allem dürfte die Weltproduktion in diesem Jahr um 2,6 % und damit etwas langsamer als im Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte expandieren.”
Da ist sie, die fast närrische Fixierung auf schieres BIP-Wachstum, obwohl die Wirtschaftstheoretiker eigentlich wissen, dass keine Wirtschaft über eine erste Wachstumsphase hinaus noch prozentuale Zuwachsraten von 8, 10 oder mehr Prozent erreichen kann, wie es China nun ein paar Jahre lang gezeigt hat. Das hat dem deutschen Export extrem genützt. Aber man kann eine Wirtschaft nicht für immer und ewig über hohe Export-Quoten finanzieren. China ist mittlerweile an vielen Punkten an die Grenzen seines Wachstums gelangt und korrigiert sinnvollerweise seine “Wachstumsraten” nach unten. Irgendwann werden auch hier Raten zwischen 1 und 2 Prozent normal sein. Wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Dieses “Wachstum” schlägt sich dann in der Regel in höheren Preisen nieder. Aber gerade vor der Haustür der Bundesrepublik gibt es unübersehbar mehr Angebot als Kaufkraft. Ergebnis: “Im Euroraum ist die Verbraucherpreisinflation sehr niedrig. Seit Anfang 2012 ist sie auf 0,3 % (August 2014) gefallen.”

Und die Warnung aus Halle an den obersten Währungshüter, der gerade das Kunststück fertig brachte, den Leitzins für die Euro-Zone auf lächerliche 0,05 Prozent zu drücken: “Sollte die Inflationsrate so niedrig bleiben, riskiert die Europäische Zentralbank (EZB), dass die langfristigen Inflationserwartungen unter den geldpolitischen Zielraum von etwas unter 2 % fallen.”

Und jetzt hoffen die Forscher in Halle ganz innigst, dass die im Juni und September von der EZB beschlossenen “recht weitreichenden expansiven Maßnahmen” helfen, die Risiken mindern, die dieses Null-Zins-Spiel in sich birgt. Aber: “Die realwirtschaftlichen Effekte dieses neuen Instruments dürften aber zumindest in diesem und im nächsten Jahr noch gering bleiben.”

Das könnte sich ändern, wenn Deutschland auch aus den EU-Staaten mehr importieren würde. Denn die Bundesrepublik profitiert bislang davon, dass andere Staaten mehr deutsche Produkte importieren als nach Deutschland importiert werden. Das taucht im Tabellenwerk als “Außenbeitrag” auf: Zwischen 163 und 175 Milliarden Euro erwirtschaftet die Exportnation Deutschland in den drei betrachteten Jahren als Gewinn, als positiven “Rest”, wenn man die Importsummen von den Exporteinnahmen abzieht.

Ein Land mit so einem Exportüberschuss müsste im Grunde spielend leicht auch Überschüsse im Staatshaushalt erwirtschaften. Was ja Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vielleicht auch schaffen könnte. Aber in einer Zehnerpotenz niedriger. 12,9 Milliarden Euro und 15,7 Milliarden Euro Überschuss sagen die IWH-Rechner für 2014 und 2015 in den Staatskassen voraus.

Und wo wird der Mindestlohn sein Plätzchen finden, wenn er ab 01.01.2015 seine Wirkung entfaltet? – Die IWH-Forscher meinen, er wird vor allem ein paar Preise zum steigen bringen: “Die Verbraucherpreise dürften im Jahr 2014 mit einer Rate von 1,1 % zunehmen. Im kommenden Jahr wird sich der Anstieg der Verbraucherpreise wohl auf 1,5 % beschleunigen, auch aufgrund der beginnenden Überwälzung eines vom Mindestlohn ausgehenden Lohnanstiegs.”

1,5 Prozent Inflation? Da ist man noch weit entfernt von den politisch erwünschten 2 Prozent. Aber es ist zum Glück nicht die einzige Variable im Rechenwerk, die der Mindestlohn verändert, denn er wird auch die Bruttolohnsumme im Land steigen lassen. In Halle nimmt man an, dass es in der Größenordnung von 1,21 Billionen Euro auf 1,28 Billionen Euro passieren wird, also in etwa in der Steigerungshöhe wie im Vorjahr. Wenn das tatsächlich so ist, dann ist das ganze Gerede um den Mindestlohn einfach heiße Luft, dann haben nur einige der unteren Verdienstgruppen endlich ein bisschen Teil am ganz normalen Lohnzuwachs, den ganze Branchen in Deutschland sowieso haben.

Dafür sehen die Rechner aus Halle auch eine Zunahme beim Konsum – von 2,16 Billionen Euro auf 2,23 Billionen. Aber das alles sind nur gemutmaßte Zahlen. Niemand weiß, wie der Mindestlohn dann tatsächlich wirkt, den er kommt ja vor allem Beschäftigten zugute, die bislang weniger konsumieren konnten als andere. Und das Arbeitsvolumen soll trotzdem wachsen, denn es gibt da – ganz losgelöst vom Export – auch einen Berg von gesellschaftlicher Arbeit, der abgeleistet werden muss, weil das Land sonst in die Binsen geht. Das betrifft Lehrer, Polizisten, Hochschuldozenten, Kindergärtnerinnen, Pflegekräfte usw. Die eigentlich wachsenden Branchen sind auch in Deutschland die Dienstleistungssektoren. Neuerdings – wie die Bildung – auch zaghaft als Investition begriffen.

Höchste Zeit, vom exportorientierten Denken so langsam umzuschalten auf eine Gesellschaft, die nicht nur Autozusammenschrauben als Arbeit begreift.

Das ganze Zahlenwerk zum Nachlesen:

www.iwh-halle.de/d/publik/presse/22-14.pdf

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