Friedrich Merz sagte, dass im Koalitionsvertrag keine automatische Erhöhung des Mindestlohnes festgeschrieben ist und der Sturm der Entrüstung bricht los. Mit Recht? Ja, die Entrüstung ist berechtigt, der Adressat ist aber der Falsche. So leid es mir tut, rein vom Wortlaut des Koalitionsvertrages her muss ich Merz recht geben. Was steht dort wirklich?

„Wir stehen zum gesetzlichen Mindestlohn. Die Entwicklung des Mindestlohns muss einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten. An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“

So zu lesen auf Seite 20 des Vertrages.

„Ist erreichbar“, kann man diese Formulierung als Automatismus bezeichnen? Tatsächlich haben sich hier wohl die Verhandlungsführer der SPD über den Tisch ziehen lassen. Oder haben sie gehofft, dass es erst bemerkt wird, wenn die Mindestlohnkommission andere Vorschläge macht?

Ist der Mindestlohn in Höhe von 15 Euro damit vom Tisch? Nein, definitiv nicht.

Wenn aber Dagmar Schmidt für die SPD, laut Spiegel, sagt: „Man habe sich im Koalitionsvertrag entsprechend geeinigt und der Mindestlohnkommission eine Richtung vorgegeben“, dann stimmt das so nicht ganz.

Einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission kann man Richtungen vorgeben, man kann sie aber nicht auf ein Ergebnis festlegen.,

Auch die Aussage „Der Mindestlohn wird sich dynamisch bis 2026 in Richtung 15 Euro entwickeln“ ist unklar. Wir haben April 2025, die Regierung ist noch nicht gebildet und im Amt, die Mindestlohnkommission hat nach den Koalitionsverhandlungen noch nicht getagt.

Was ist die „dynamische Entwicklung“, wenn nicht eine schrittweise Erhöhung? In welchen Schritten soll der Mindestlohn, von jetzt 12,82 Euro, auf 15 Euro angehoben werden? Bis wann soll er dort angekommen sein, Anfang, Mitte oder Ende 2026?

Die wichtigste Frage ist aber: Was veranlasste Friedrich Merz diese Aussage zum jetzigen Zeitpunkt zu machen?

Hie kann man nur spekulieren.

Will Merz das Mitgliedervotum der SPD torpedieren? Dann stünde er ohne Koalitionspartner im demokratischen politischen Spektrum da. Das weiß er natürlich, also bleibt die zweite Möglichkeit.

Friedrich Merz lässt die Muskeln spielen, er will die SPD von vornherein klein halten. Er verlässt sich darauf, dass die SPD-Mitglieder zähneknirschend dem Koalitionsvertrag zustimmen, weil ansonsten erneute Verhandlungen des Koalitionsvertrages, Neuwahlen oder eine schwarz-blaue Regierung drohen.

Aber, wer weiß schon, wie Friedrich Merz tickt? Im Koalitionsvertrag sind jedenfalls noch viele Absichtsbekundungen zu finden, die man jederzeit als solche bezeichnen kann und damit den Koalitionspartner vor sich hertreiben kann. Vielleicht ist das aber ein schlechtes Signal für die künftige Regierungszusammenarbeit.

Jedenfalls leuchtet mir jetzt ein, warum Markus Söder bei der Pressekonferenz so gut gelaunt war. Er war vorbereitet.

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