Es scheint so, als könnten nur Überstunden, besser gesagt die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu deren Ableistung, die deutsche Wirtschaft retten. Mit markigen Worten wollen CDU/CSU und FDP die Deutschen motivieren und werfen mit Nebelkerzen im Wahlkampf um sich. So Christian Lindner am 16. Januar in Leipzig, als er die rührende Geschichte vom Baggerfahrer erzählte, der gern mehr Überstunden machen möchte und das wegen des bösen Arbeitszeitgesetzes nicht darf.

Die CDU will dem jetzt entgegensteuern und hat das in ihrem Sofortprogramm aufgenommen. Zwei Punkte sind darin wichtig, wenn man mehr Überstunden haben will:

3. Wir legen anstelle der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit fest. So ermöglichen wir flexibleres Arbeiten für Beschäftigte und Unternehmen.

4. Wir stellen Überstundenzuschläge steuerfrei. Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben.

Chapeau, das wird die wirtschaftlichen Herausforderungen der Volkswirtschaft und die der abhängig Beschäftigen nachhaltig nicht lösen. Warum?

Chapeau, das wird die wirtschaftlichen Herausforderungen der Volkswirtschaft und die der abhängig Beschäftigen nachhaltig nicht lösen. Warum?

Arbeitszeitregelung

Was sagt das Arbeitszeitgesetz?

§ 3 Arbeitszeit der Arbeitnehmer: „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“

§ 5 Ruhezeit: „(1) Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.“

Dazu gibt es im Gesetz Ausnahmen, geregelt in den Einzelparagrafen und in § 7 „Abweichende Regelungen“.
Will man mehr, wie die CDU, muss man § 3 und § 7 ändern. Besonders an die Ruhezeiten müsste man herangehen. Das bedeutet: Die Werktätigen kommen eventuell unausgeruht zur nächsten Schicht. Es scheint, als wäre die Produktivität, also der heilige Gral der Marktwirtschaft, egal. Hauptsache, die Leute sind anwesend.

Das Ganze nennt sich „Flexibilisierung der Arbeitszeit“. Diese Flexibilität hat aber in erster Linie noch nichts mit Überstunden zu tun. Allein die Arbeitgeber bestimmen über diese Regelungen zur Arbeitszeit. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich dann fügen und die Betriebsräte und Gewerkschaften müssen Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit und Tarifverträge neu verhandeln, wenn die Arbeitgeber beziehungsweise die Tarifpartner das fordern.

Wissenschaftliche Studien zur Effektivität der Arbeit in Abhängigkeit von der Arbeitszeit können wir bei dieser Betrachtung außen vor lassen. Um diese geht es scheinbar nicht mehr. Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes ist aber trotzdem auch notwendig, wenn man mehr Überstunden will, das versteht sich. Mehr Überstunden, dann muss man Menschen motivieren, wie mit diesem „Mehr Netto vom Brutto“ im Programm.

Überstunden steuerfrei?

Denkste, auch wenn es in Wahlkampfreden oft so klingt. Es geht, zumindest bei der CDU, um steuerfreie Überstundenzuschläge. Wir haben gewartet, bis das Sofortprogramm vorliegt, es hätte ja sein können, dass wir uns verhört haben und wirklich Überstunden gemeint waren.

Eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht für abhängig beschäftigte Menschen. Die gute Nachricht: In Branchen mit Tarifverträgen oder in Betrieben mit Betriebsvereinbarungen zu Überstundenzuschlägen haben die Menschen tatsächlich etwas mehr Netto vom Brutto. Die schlechte Nachricht: Es gibt keine gesetzliche Regelung zu Überstundenzuschlägen, alle Beschäftigten außerhalb dieser Betriebe sind vom Goodwill der Arbeitgeber abhängig.

Es gibt noch eine ganz schlechte Nachricht. Selbst bei den erstgenannten (also quasi bevorzugten) Menschen ist die Sache nicht ganz klar.

Nicht überall, wo Schichtzuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit und ähnliches geregelt sind, entsteht automatisch ein Anspruch auf Zuschläge für Mehrarbeit. Sind also Zuschläge für Arbeit zwischen 20.00 und 6.00 Uhr (Spät- und Nacht) vereinbart, entsteht für Überstunden beispielsweise zwischen 17.00 und 20.00 Uhr kein Anspruch auf einen Zuschlag. Das nur zur Erklärung.

In seiner früheren Tätigkeit als Betriebsrat ist der Autor dieses Kommentars oft mit diesem Missverständnis konfrontiert worden. Die Zuschläge für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit sind übrigens auch jetzt schon steuerfrei, das nur zur Ergänzung. Es ist aber wirklich, selbst bei denen, wo es zutrifft, nur ein bisschen mehr Netto vom Brutto. Vereinbarte Überstundenzuschläge bewegen sich meist zwischen 10 und 25 %.

Konkret heißt das im Mindestlohnbereich: Eine Überstunde wird, wenn es in dem Bereich überhaupt Zuschläge gibt, mit 12,83 € + 10 %, also 1,28 €, gesamt 14,11 € bezahlt. Davon sind exakt 12,83 € lohnsteuerpflichtig und 1,28 € steuerfrei. Wie viele Überstunden man machen muss, um spürbar mehr Netto vom Brutto zu haben, kann man sich ausrechnen.

Fazit: Die beiden Punkte im Sofortprogramm sind Nebelkerzen, besonders für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Längere Arbeitstage, weniger Ruhezeiten und bei Überstunden nicht wirklich mehr auf dem Konto. „Mehr Netto vom Brutto!“, und „Damit sich Leistung wieder lohnt!“ klingt beides schön, ist aber bei diesen geplanten Maßnahmen der blanke Hohn.

Es bleibt auch abzuwarten, ob mit einer generellen Aushebelung des Acht-Stunden-Tages auch andere Beschränkungen (beispielsweise die Regelungen zur Lenkzeit von LKW-Fahrern oder andere aus Arbeits- und Gesundheitsschutzgründen entstandene) infrage gestellt werden. Das wäre fatal.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar