Am heutigen Samstag, 25. April, hat die Industriegewerkschaft IG BCE zu einer Großdemonstration in Berlin aufgerufen. „Wir kämpfen für eine sozial gerechte Energiewende, für Wachstum und gute Arbeit“, erklärte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE. Mehr als 10.000 Demonstranten werden erwartet, um gegen Pläne des Bundesumweltministers Sigmar Gabriel (SPD) zu demonstrieren, Kohlekraftwerke mit einer zusätzlichen Abgabe zu belasten.

“Von den 38 Braunkohle-Kraftwerksblöcken würden nach Einführung des Klimabeitrags 85 bis 95 Prozent sofort unprofitabel”, warnt die IG BCE und verweist dabei auf eine “Studie” der Investmentbank Lazard. Was schon erstaunlich genug ist, ein Schulterschluss zwischen einer deutschen Industriegewerkschaft und einer von ganz anderen Interessen geleiteten Investmentbank. Aber ganz so zufällig ist der Schulterschluss dann doch nicht, denn die Investment-Leute von Lazard interessiert natürlich vom Fach her, ob sich Investments in Kraftwerke und Tagebaue überhaupt noch lohnen.

Immerhin stehen einige derzeit zum Verkauf. Die von Vattenfall in der Lausitz zum Beispiel. Für die Gewerkschaft bedeutet das immer nur eins: bedrohte Arbeitsplätze.

Und am 17. April bekamen sie dabei auch breitbrüstige Unterstützung von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD).

„Sollten die Vorschläge aus dem Baake-Papier realisiert werden, hätte dies ungeahnte negative Auswirkungen auf die Braunkohleregionen Sachsens. Aber auch die Versorgungssicherheit und Preisstabilität des Stromes würden gefährdet werden“, sagte der. Und bekam gleich noch am selben Tag Beistand von Thomas Baum, Sprecher für Wirtschaftspolitik der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag und Abgeordneter aus der Oberlausitz: “Ich begrüße die klare Haltung des sächsischen Energieministers Martin Dulig zum Braunkohlebergbau in der Lausitz. Das Gutachten der IG BCE hat gezeigt, dass das Eckpunktepapier des Bundeswirtschaftsministeriums (‘Baake-Papier’) auf betriebswirtschaftlich falschen Daten beruht und damit im Ergebnis zu falschen Annahmen führte. Die Konsequenzen aus diesem Papier sind für die betroffenen Unternehmen nicht realisierbar, so das Gutachten. – Es ist für mich völlig unverständlich, wie das Bundeswirtschaftsministerium in einer für die Lausitz so zentral bedeutsamen Frage ein Konzept mit falschen Annahmen auf den Weg bringen kann. Hier geht es um die Zukunft einer ganzen Region und solche Fehler dürfen wir uns einfach nicht leisten. Ich teile jede Kritik an diesen Vorschlägen und die damit verbundenen Sorgen in der Lausitz. Für mich kann es daher nur eine Konsequenz geben: Das Papier muss so schnell wie möglich wieder verschwinden. Diese Position teile ich auch ausdrücklich mit dem sächsischen Wirtschafts- und Energieminister Martin Dulig. Das habe ich in der letzten Woche Bundesminister Gabriel auch in einem persönlichen Brief mitgeteilt.“

Veröffentlicht hat die IG BCE die zitierte “Lazard-Studie” nicht. Was auch egal ist. Denn auch ohne diese Studie wird etwas eintreten in der deutschen Kohlewirtschaft, vor dem Gewerkschafter und einige Politiker immer noch die Augen verschließen. Da braucht es nicht einmal das von Gabriel vorgelegte Eckpunktepapier und mögliche Strafpunkte für die ältesten Kohlekraftwerke. Die Strafpunkte würden den Prozess nur noch beschleunigen.

Das “Baake-Papier” ist sogar von etwas ausgegangen, woran die Börsenexperten in Deutschland schon lange nicht mehr glauben: Dass der Börsenpreis für die Megawattstunde Strom wieder steigen wird von 32 auf 44 Euro.

Klammer auf: Mit den höheren Abgaben für ältere Kohlemeiler wollte Gabriel unter anderem dafür sorgen, dass ein Teil der alten Kraftwerke sehr bald vom Markt verschwindet und die verbleibenden Kraftwerke ihren Strom dann teurer verkaufen könnten. Aus dieser Warte heraus ist das Papier ein Versuch, einen Teil der moderneren Kraftwerke noch für ein paar Jahre rentabel zu halten. Klammer zu.

Aber die Lazard-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Kapazitäten von erneuerbaren Stromanlagen mittlerweile so groß sind, dass der Strompreis an den Terminmärkten auf Jahre hinaus niedrig bleiben wird und auch in fünf Jahren noch bei 32,50 Euro je Megawattstunde hängt.

Ein Blick an die Strombörse der EEX in Leipzig: In den letzten zwei Tagen wurde der Strom hier zwischen 20 und 35 Euro je Megawattstunde gehandelt.

Und die knallharte Feststellung der Investment-Leute: Bei diesem Preis sind neun von zehn deutschen Kohlekraftwerken unrentabel.

Jetzt schon.

Deswegen betreibt ja Vattenfall seit Herbst 2014 den Versuch, einen Käufer für seine Braunkohlesparte zu finden. Nicht das von der IG BCE so heftig bekämpfte “Baake-Papier” gefährdet die Existenz der Kohlekraftwerke und der daran hängenden Arbeitsplätze, sondern der schlichte Verkaufspreis für Strom an den Terminbörsen. Und zwar jetzt schon. Auch wenn die IG BCE jetzt meint, von “den 38 Braunkohle-Kraftwerksblöcken würden nach Einführung des Klimabeitrags 85 bis 95 Prozent sofort unprofitabel” sein. Die Interpretation ist einfach falsch. Die schlichte Wahrheit ist: Neun von zehn deutschen Kohlekraftwerken arbeiten jetzt schon an der Grenze ihrer Rentabilität.

Ein Land wie Sachsen wäre gut beraten, sich der Realität zu stellen und ein echtes Ausstiegszenario zu entwickeln, das davon ausgeht, dass die ersten Blöcke bis 2017 vom Netz gehen und danach weitere folgen, wenn Vattenfall keinen Käufer für seine Anlagen findet, möglicherweise schneller, als es sich der kühnste Wirtschaftsminister träumen lassen kann. Und während die IG BCE die Kohle-Beschäftigten zur Demo nach Berlin getrommelt hat, protestieren Naturschützer heute am Tagebau Garzweiler in NRW mit einer Anti-Kohle-Kette gegen die weitere Verwüstung der Landschaft.

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