Man kann sich durchaus streiten. Auch über die Thesen, die „hej/AFP“ im Artikel „Wirtschaft in Ostdeutschland spürt Folgen von Fremdenhass“ am 23. Februar auf „Spiegel Online“ aufgestellt hat – oder besser: zitiert. Der Text ist ja nur ein Sammelsurium diverser Zitate, die alle irgendwo schon mal veröffentlicht waren. Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin der Linksfraktion für Mittelstand, Handwerk und Tourismus, dient der Artikel trotzdem als Mahnung.

Aber auch ihr ist die These des „SPON“-Autors zu billig: Wer die Gründe nur im offenkundigen Fremdenhass sucht, der verwechselt wahrscheinlich die Folgen mit den Ursachen, die Folgen einer falschen Infrastrukturpolitik mit den rüden Emotionen auf den Straßen des Freistaats.

„Es ist traurig, aber keineswegs verwunderlich, dass namhafte Akteure der ostdeutschen und sächsischen Wirtschaft Alarm schlagen müssen. Das kontinuierliche Kaputt-Sparen der Infrastruktur, die Kürzungen im kulturellen Bereich gerade auf dem Land oder das bewusste Aussterben von Bildungsangeboten sind gravierende Punkte, die Menschen davon abhalten, nach Sachsen zu ziehen. Nicht zuletzt das jahrelange Werben der CDU-geführten Staatsregierungen für das Niedriglohnland Sachsen macht es den Unternehmen schwer, Fachkräfte anzuwerben“, benennt Neuhaus-Wartenberg ein ganzes Bündel der Ursachen, die dazu geführt haben, dass Arbeitsplatzangebote in Sachsen von außen gesehen überhaupt nicht so toll aussehen, wie sie von innen wirken. „Warum sollten gut ausgebildete Menschen nach Sachsen ziehen, wenn neben einem attraktiven Einkommen vielerorts auch die kulturellen Angebote fehlen?“

Das ist – um es einfach noch mal zu betonen: verfehlte Infrastrukturpolitik.

Und dass der Fremdenhass in einigen sächsischen Regionen derart offenkundig ist, hat ebenfalls eine Menge mit einer verfehlten sächsischen Politik zu tun. Man hat lieber jahrelang linke Phantome gejagt und eine sächsische Heimattümelei betrieben, statt wirklich zukunftsfähige Entwicklungsprogramme für die Regionen zu entwickeln. (Oder gar eine Vision für ein wirklich weltoffenes und lebenslustiges Sachsen zu entwickeln.) Eine Eiapopeia-Welt, in der gerade rechtsextreme Akteure ein ideales Biotop fanden, ihre Deutungshoheit auf lokaler Ebene durchzusetzen. (Das ganze Heimat-Gedudel war Wasser auf ihre Mühlen.) Und weil alles so hübsch national und konservativ war, tauchte die Staatsregierung regelrecht ab und ignorierte die rechten Umtriebe weitgehend.

Dass sich das nun so offen auf den Straßen zeigt, ist die Folge.

Luise Neuhaus-Wartenberg: „Dazu kommt die äußere Wahrnehmung des Freistaates. Wir wissen seit geraumer Zeit um die tiefe Verankerung von Fremdenfeindlichkeit und rassistischen Tendenzen im ostdeutschen und insbesondere im sächsischen Raum. Nur wird und wurde diese Gefahr durch die Staatsregierung strikt ignoriert, kleingeredet und eher noch diejenigen kriminalisiert und verteufelt, die sich tatsächlich für Weltoffenheit und Toleranz einsetzen. In dieser gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Lage des Freistaates fürchten gut ausgebildete Menschen aus anderen Regionen der Welt hier um ihre Sicherheit. Weshalb sollten sie sich hier eine neue Heimat suchen? Es ist eben auch ein Standortmerkmal, ob sich eine Gesellschaft kulturell, sozial und religiös offen präsentiert oder ob Ausgrenzung dominiert.“

Was übrigens an die so gern verkannte Tatsache erinnert, dass es die weltoffenen und toleranten Länder sind, die in der Geschichte nicht nur den Wettbewerb um die besten Fachkräfte, um Wissenschaftler und kreative Köpfe gewonnen haben, sondern die auch für Unternehmensansiedlungen besonders attraktiv sind. Unternehmen wehren sich zwar immer gern gegen staatliche Restriktionen – aber sie bevorzugen nun einmal auch Regionen, denen nicht schon morgen wieder die Abschottung von den Weltmärkten droht.

Wie dramatisch so etwas werden kann, ist ja derzeit schon in ersten Auswirkungen in England zu sehen, wo der Bexit langsam Konturen annimmt. Und Donald Trump wird mit seiner „America first“-Politik in den USA ganz Ähnliches bewirken.

Stanislaw Tillich beklagte ja jüngst erst, dass einige größere Unternehmen ihre Niederlassungen in Sachsen dichtgemacht hätten – und sang gleichzeitig wieder das Lied von der Kohle. Womit er eigentlich deutlich machte, dass sein Wirtschaftsverständnis in keiner Weise modern ist, auch nicht weltoffen. Was in Sachsen nun einmal auch heißt: metropolitan. Denn die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen finden derzeit gänzlich und allein im Umfeld der Großstädte statt. Und dass dabei derzeit Leipzig die Nase vorn hat, könnte auch mit der gelebten Weltoffenheit und Wehrhaftigkeit der Stadtgesellschaft zu tun haben. Während Dresden bei der Berichterstattung über Pegida wie ein duldsames Schaf wirkte, das alles mit sich geschehen lässt, wurde bei der Berichterstattung über Leipzig sehr wohl registriert, dass sich hier etliche Bürger gegen das dumpfe Maulen der Rechtspopulisten engagierten. Was sich so nicht in den meinungsführenden Medien spiegelte – keine Frage. Die werden nur munter, wenn wieder mal über Randale berichtet wird. Was das Bild natürlich auch verzerrt.

(Und was erst recht bedeuten müsste, dass sächsische Politik andere Signale sendet. Aber sie kommt aus dem Ja, aber-Drucksen nicht heraus. )

Die einäugige Sicht auf den Osten hat nicht nur in Dresden Methode. Sie wirkt auch auf Bundesebene, wie Neuhaus-Wartenberg feststellt: „Natürlich reden wir in diesem Zusammenhang von einem Eindruck verschiedener Akteure. Wenn sich die Ostbeauftragte der Bundesregierung aber schon vor Veröffentlichung ihres Berichts in ähnlicher Form äußert, sollte man anfangen, sich Gedanken zu machen. Feststeht nur schon jetzt, dass von dieser Staatsregierung keinerlei Umdenken zu erwarten ist.“

Iris Gleicke wurde mit einer Stellungnahme aus dem „Handelsblatt“ zitiert: „Es ist ein Irrsinn, dass Positionen in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und im kulturellen Bereich nicht besetzt werden können, weil die Wunschkandidaten nicht nach Ostdeutschland ziehen wollen.“

Ob das wirklich so ist, weiß niemand. Das muss auch der „SPON“-Artikel feststellen. Der auch kein einziges Wort über die Bezahlung im Osten verliert und auch nicht über das komplette Fehlen einer Metropolenpolitik in den ostdeutschen Bundesländern – mit Ausnahme Berlins. Die Landschaft sieht erst auf den zweiten Blick so leicht braungefärbt aus. Auf den ersten wirkt sie provinziell, kleinkariert und verdruckst – so, wie die sächsische Politik, die gern groß tönt, aber dann den Geldhahn zudreht, wen es um die Stärkung der Infrastrukturen geht.

Und nicht zu vergessen die fatale Botschaft, die die sächsische Landesregierung immer wieder sendet: Dass dieses verlorene Sachsen auch noch ein schreckliches demografisches Problem hat, völlig überaltert ist und künftig traurig vor sich hinschrumpfen wird.

Solche Bilder wirken. Die Nazis bekommt man für eine solche Jammerpolitik quasi obendrauf geschenkt. Damit ja keiner übersieht, wie schrecklich hier alles ist.

Und das wird dann durch die kitschigen Bilder der „So geht sächsisch“-Kampagne auch noch dupliziert, mit der eine Provinzialität bebildert wird, die jeden intelligenten Bewerber schwer ins Grübeln bringt, ob er nun in dieser weltverlorenen Ecke seine Zukunft finden möchte.

Da wirken viele Dinge zusammen. Der Fremdenhass aber ist nicht der Grund für das Wegbleiben potenzieller Fachkräfte. Er ist nur eins der Ergebnisse einer hochgradig freud- und visionslosen Heimatpolitik.

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