Zur weltweit wichtigsten jährlichen Diskussionsplattform des Verkehrssektors - dem Weltverkehrsforum (International Transport Forum ITF) - werden vom 2. bis 4. Mai hunderte Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Leipzig erwartet. Das Weltverkehrsforum, das von dem International Transport Forum der OECD veranstaltet wird und in diesem Jahr unter japanischer Präsidentschaft steht, findet zum fünften Mal in Folge in Leipzig statt.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und sein japanischer Amtskollege Takeshi Maeda eröffnen die dreitägige Konferenz am 2. Mai im Congress Center Leipzig.

Im Fokus des Weltverkehrsforums steht in diesem Jahr das Thema „Nahtloser Verkehr – Verknüpfungen schaffen“. Es ist einer der beiden Schwerpunkte des Forums, die eng mit Leipziger Themen verbunden sind: die E-Mobilität und eben der Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsmittel. Schwerpunkt: Transport. In den meisten Beiträgen zum Thema geht es um den reibungslosen Ablauf von Transportströmen. Beginnend beim „Logistics Performance Measurement“ über „Side Events Seamless Urban Freight Transport“ bis zu „From Supply Chain to Supply Stream: Creating Seamless Logistics“.

Ein bisschen städtische Mobilität kommt auch drin vor.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung dazu: „Wir haben für eine derartige Vernetzung wie der Nutzung von Straßenbahn mit Angeboten öffentlich zugänglicher Mietfahrräder oder Carsharing bereits einige zukunftsweisende Konzepte entwickelt, die wir gerne auch den internationalen Gästen präsentieren. Bei einer Fahrradtour in den Leipziger Westen werden deshalb neben den Themen der Stadterneuerung auch diese Aspekte beleuchtet werden.“

Das ganze Veranstaltungsprogramm der Tagung liest sich, als fänden hier zwei Tagungen parallel statt, die nichts miteinander zu tun haben. Eigentlich sogar drei. Das eine sind – neben den Entwicklern der E-Mobility – die großen Logistiker, die auch im Leipziger Netzwerk Logistik den Ton angeben, und denen es vor allem um die reibungslose Abwicklung grenzenloser Verkehrsströme geht.

Die anderen sind die Leute, die sich mit der Mobilität der Menschen in der Stadt beschäftigen und mit dem großen Ziel, das sich auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) zu eigen gemacht haben: den Personentransport von Haustür zu Haustür zu organisieren („Urban Connectivity: Improving the Door-to-Door Journey“). Möglichst smart, wie das heute so schön heißt. Meistens ist damit nur gemeint, dass irgendjemand in den Chefetagen gern diese ganzen neuen elektronischen Spielzeuge zum Verkauf von Tickets nutzen möchte – „The Future of Travel: e-Ticketing, Smart Phones, Data Sharing How are real-time information and integrated ticketing changing passenger transport?“

Und eben nicht ein wirklich „smarter“ Stadtverkehr, der alle unnötigen Motorisierungen und Überlastungen des städtischen Raumes rausschmeißt aus der Stadt. Sind eben wieder lauter Verkehrsexperten unter sich. Hochkarätige, wie die Meldung der Stadt zum Thema betont. Hochkarätige Experten und Expertinnen aus allen Bereichen des Verkehrswesens. Sowie Verkehrsminister aus 53 Mitgliedsstaaten.

Wir haben hier mal die Punkte am Satzende gesetzt. Aber die Einsicht erschüttert uns nicht: Verkehrsminister sind keine Verkehrsexperten.

Wäre eigentlich höchste Zeit, dass sie welche werden.Das Forum will nicht nur aktuelle Themen diskutieren und neue Ideen präsentieren. Auch Themen wie Lehren aus den Vulkan-Aschewolken oder Bekämpfung der See-Piraterie werden Gegenstand der Diskussion sein.

Man sieht: Man übernimmt sich. Man will wirklich alles in die drei Tage hineinstopfen.

Unter anderem auch wieder eine Veranstaltung im Rahmen der Kinderuniversität KUNI. Thema: „Sicherheit im Verkehr“. Dazu haben sich insgesamt 500 Kinder angemeldet, die beispielsweise den ehemaligen französischen Automobilrennfahrer Jean Todt befragen können sollen. Weitere Aktivitäten mit Bezug zu Fahrrad und Sicherheit laden zum Ausprobieren ein.

„School children talk with politicians and industry experts about road safety“, heißt der Titel der seltsamen Kinderuniversität. Nur ja kein wirklich wichtiges Thema mit den Kindern diskutieren. Es könnte ernsthaft werden. Zum Beispiel: „Wie kann Verkehr sicherer organisiert werden“? Von vornherein?

Die Podiumsdiskussion „Gemeinsame Verbindungen schaffen: Regionen im Blickpunkt“ am dritten Konferenztag eröffnet Oberbürgermeister Jung mit einem Grußwort. Im Anschluss werden die Politiker und Fachleute aus Belgien, Indien, USA ihre Erfahrungen und Visionen diskutieren.

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Und das von der OSCE herausgegebene „Handbook of Best Practices at Border Crossings: A Trade and Transport Facilitation Perspective“ wird vorgestellt. Indem es auch um nahtlose Transporte geht und eine bessere Balance zwischen der Gewährleistung sicherer Grenzen, effizienten Transporten, Zeitersparnis und – als wäre das eine nicht das Stiefkind des anderen – „den Möglichkeiten, Korruption, illegale Transporte und internationales Verbrechen und Terrorismus“ zu verringern. OSCE (oder OSZE) ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Doch so denken Experten. Sie sehen die Dinge nie im Zusammenhang und ihren Druck, immer größere Warenströme immer schneller und nahtloser um den Erdball zu jagen, nicht als Türöffner zum Gebrauch und Missbrauch dieser Verkehrsströme. Sie denken nie politisch. Die Völker und Menschen an den Endpunkten der Transportkette kommen in ihren Visionen nicht vor. Da geht es nur um Tonnagen und störende Zollkontrollen.

Das Leipziger Weltverkehrsforum war mal ein schöner Ansatz für eine neue, klügere Diskussion des Verkehrs – nicht mit irgendwelchen Politikern, die Experten spielen, obwohl sie keine sind, sondern mit Leuten, die wissen, dass globaler Verkehr auch Politik ist und Gesellschaften verändert. Mit allen Implikationen.

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