Wie spannend kann das Thema Sitze in Straßenbahnen denn sein, garstig formuliert ist es eh nur für den Allerwertesten. Weit gefehlt! Die wenigen Minuten Fahrzeit reichen aus, um bei allen Fahrgästen ein Thema daraus zu machen. Historisch bedingt gab es alles Denkbare. Detailliert lässt sich im Straßenbahnmuseum nachvollziehen, wie Holzbänke, glatt lackiert, weiche Plüschsitze der ehemaligen Außenbahntriebwagen oder schnöde grüne Kunstledersitze aus den 60ern aussahen.

Und wer kennt sie nicht, die roten und grauen Schalensitze der Tatra-Bahnen. Jedes Kind wollte sich nur auf den roten hinsetzen. Das hat Generationen geprägt. Zeigt nebenbei, dass selbst die Farbe des Gestühls von Bedeutung ist. Wer Geschwister hat, wird die erbitterten Kämpfe um die richtige Farbe nicht vergessen haben.

Ab 1992 wurden in den modernisierten Tatras teilgepolsterte Sitze verbaut. Nicht weicher, dafür rutschfester während der permanent schaukelnden Fahrt. Mit den neuen NGT8-Bahnen tauchen richtige gepolsterte Sitze auf, angenehm zu sitzen und als Skriptogramm tausendfach mit den Initialen LVB bedruckt. Diese blichen aus, litten unter zig-tausendfacher Nutzung und wechselten inzwischen in ein nüchternes Dunkelblau.

Mit dem Auftauchen der langen NGT12 (XXL-Bahnen) wurden etwas dicker und damit weicher gepolsterte Sitze, ebenfalls gleichmäßig blau, eingebaut. Einhellig das Beste für die Leipziger Gleise.

Hingegen wurde die Billigkonstruktion des Anhängers NB4 und der Eigenbautriebwagen Leoliner mit stoffbezogenen Hartschalen im Stahlrohr bestuhlt. Das ermöglicht zwar das Vermeiden von Hin- und Herrutschen während der Fahrt, die schmale Sitzfläche und das sich kalt anfühlende Stahlrohr sind alles andere als komfortabel.Vandalismus ist in den Innenräumen kein wirkliches Problem. Die Fahrzeuge sind bis auf wenige Ausnahmen videoüberwacht. Seit dieser Nachrüstung ging das Zerkratzen der Fensterscheiben fast gegen Null. (Dafür wird von außen gern Werbung auch über ca. 30% der Fensterfläche geklebt). Seit 2012 nimmt das Zerkratzen wieder zu. Weiterhin werden die aus Hartgummi bestehenden Haltegriffe der Rückenlehnen zerkleinert. Von den üblichen Verschmutzungen abgesehen sind die Fahrzeuge intakt.

Über das Thema Verschmutzung und vor allem deren ausbleibende Beseitigung reifte bei den Verkehrsbetrieben die Idee, Sitzelemente ohne Stoffbezug zu verwenden, denn diese lassen sich wischend schnell reinigen. So die wichtigste Begründung (Zitat LVB): “Hinweise von Fahrgästen und eigene Beobachtungen zu den Eigenschaften und dem teilweise unansehnlichen Zustand der derzeit in den Straßenbahnwagen eingebauten Fahrgastsitze haben bei den Verantwortlichen zu der Überlegung geführt, neue Fahrgastsitze ohne textile Bezüge zu testen. In einer intensiven Vorauswahl wurden vier verschiedene Sitzmodelle, je zwei aus Kunststoff und Holz, für den Test gefunden.”

Meine eigenen Beobachtungen finden das Gros der Sitze in einem Zustand vor, der nicht vom Hinsetzen abhält. Klar, bei mehreren Hundert Fahrzeugen und somit tausenden Sitzen und täglich 20 Stunden Betriebseinsatz kommen auch herbe Verschmutzungen vor. An die letzte kann ich mich nicht mal erinnern, so selten ist das. Die Sauberkeitsprobleme betreffen vor allem die Nase und neben dem Fußboden vor allem die Außenfläche oder technische Einbauten (Gelenke). Der Anlass für die Sitze wirkt da arg konstruiert begründet.Die erwähnten Kunststoff- und Holzsitze wurden kurzerhand in eine vorhandene Straßenbahn eingebaut, farblich deutlich markiert und seit mehreren Monaten rollte diese “Bimmel” nach und nach auf allen Linien durch die Stadt und sammelt gezielt Meinungen im täglichen Gebrauch ein. Keine schlechte Idee, die Fahrgäste haben das Gefühl, mitzuentscheiden.

Haben sie das wirklich? Das Ziel der LVB, definitiv weg vom Stoffbezug zu kommen, wird an allen Stellen deutlich. Die vorgestellten Sitze, und das ist mein ureigener persönlicher Geschmack, treffen mit allen vier Versionen nicht ein Design, welches ich zukünftig für erträglich halte. Selbst neutral bewertet sind die Farben und Formen entweder schreiend hässlich (Sitz A), verkrampft (B), unpraktisch mit kaltem Stahlrohr (C) oder lieb-leb-gesichtslos wie Typ D und damit reicht kein Entwurf an den Sitzkomfort oder die Einbindung ins Gesamtdesign beim XXL heran (um das Premiumfahrzeug zu nehmen). Ist auch logisch, denn dies wurde von echten Designern des Herstellers entwickelt. Optisch werden andere Sitze als die heutigen in jedem Fall eine Katastrophe sein.

Der Sitzkomfort ist ein Thema für sich. Leichtfertig betrachtet wäre auf kurzen Strecken eine harte Schale kein Weltuntergang. Das Leipziger Netz bietet jedoch, zentral ausgerichtet, Linien an, die in häufigen Fällen 30 und mehr Minuten Fahrzeit bedeuten. Das entspricht am Tage genau der Nutzungsdauer von Pkw. Baut da irgendein Hersteller Hartschalen ein? Wäre ja preiswert, leicht zu reinigen? Warum wohl nicht? Weil selbst wenige Minuten Hinsetzen mit einer Erwartungshaltung verbunden sind, die eben nicht das Niveau eines Brettes hat.Die Sauberkeit, wichtigster Grund für das Ganze, erweist sich als folgenschwerer Trugschluss! Andere Städte, die seit vielen Jahren u.a. Holzsitze einsetzen (U-Bahn München), plagen sich stattdessen mit Kratz- und Schnitzvandalismus. Dieser sieht nicht nur unschön aus, er stellt auch eine Verletzungsgefahr und erst recht ein Beschädigungsrisiko für Bekleidung dar. Nur das Weglassen vom Stoffbezug macht aus den Sachbeschädigern keine Heiligen. Und dann? Putzen bringt nichts, spachteln hält nicht, schleifen macht tückisch blass. So bleibt nur der Komplettaustausch oder das jahrelange Verbleiben von unbrauchbaren Sitzen, angesplittert, eingebrochen, bis sich zur Hauptuntersuchung aller 8 Jahre jemand erbarmt, kaputt gegen ganz zu tauschen. Bis zur nächsten Messerattacke.

Die Reinigung mag den Staub schnell entfernen. Doch alles was klebrig ist, Kaugummi und sinnlos aufgepappte Aufkleber, sind fiese hartnäckige Wegwischverweigerer. Auf Stoffbezug hält kein Aufkleber, Kaugummi ist definitiv kein Massenproblem, nur die Hartschalen werden da ganz neue teure Betätigungsfelder für zu einfach gestrickte Unholde bieten. Mithin keine Verbesserung der Sauberkeit, sondern eine Verschlechterung.

Ist das nun so schlimm, wenn die Sitze leicht verschmutzt sind? Das Sitzproblem selbst ist es nicht. Jammern wegen kurzem freiwilligen Zwangsstehen soll keine Hürde sein. Nein, diese stellt sich an ganz anderer Stelle den LVB in den Weg und wird weitaus schmerzhafter sein, was die finanziellen Folgen angeht. Menschen sind und reagieren sensibel. Oftmals unbewusst werden Qualitäten wahrgenommen, Kinder, die sich früher um die roten Sitze rauften, sind die aufblitzenden Offenbarungen dieser Gefühlswelt. Und diese Welt entscheidet knallhart im Wettbewerb über Nutzen und Nichtnutzen, Bleiben oder Abwandern, Einnahmen oder Verluste.

Der medial allgegenwärtige Pkw ist hiermit nicht gemeint, sondern das neue S-Bahnnetz. Dessen Linien berühren zwar nur wenige (wichtige) Punkte im Stadtgebiet, die Präsenz und Aufmerksamkeit ab Dezember 2013 wird aus meiner Sicht selbst die narzistisch veranlagte LVB eiskalt erwischen. Und dann stehen angeschnitzte aufkleberverzierte Hartschalen, miefiger Geruch, werbebeklebte oder zerkratzte Scheiben, polterndes, lapperndes und dröhnendes Fahrgeräusch nebst einer illustren Flotte aus Alt- und Neufahrzeugen ohne stringente Farbgebung gegen 100% nagelneue Fahrzeuge, einheitlich mit dem Alles-Neu-Bonus behaftet, die absolut leise fahren, ohne Schienenstöße alle 12 oder 15 Meter, und – ganz anders als bisher eine biedere Deutsche Bahn – nicht mehr ignoriert werden können. Dann krankt die LVB als Marke im Ganzen. Und diese Krankheit ist pure Selbstverstümmelung.

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