Und siehe da, es kommt wie erwartet: "Minister aus den 54 Mitgliedsstaaten des International Transport Forum fordern mehr Investitionen in strategische Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsdienstleistungen", heißt die aktuelle Meldung vom International Transport Forum, das vom 22. bis 24. Mai in Leipzig tagt.

„Die Finanzierung des Verkehrs ist eine der größten Herausforderungen für die heutige Verkehrspolitik. Der Bedarf für Mobilität mittels hochwertiger Verkehrsnetze und -dienste steigt schnell“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, die die für Verkehr zuständigen Minister am heutigen 23. Mai in Leipzig bei ihrem jährlichen Gipfeltreffen, dem Weltverkehrsforum, verabschiedet haben.

„Die Verkehrsinfrastruktur besteht nicht nur aus Asphalt, Beton oder Stahl“, so die Minister. „Sie ist das Rückgrat der Volkswirtschaften, sie schafft Verbindungen für Menschen und Güter, sorgt für den Zugang zu Arbeitsstellen und Dienstleistungen und ermöglicht Handel und wirtschaftliches Wachstum.“

Weiter heißt es in der Leipziger „Erklärung der Minister zur Finanzierung des Verkehrs“: „Da es sich bei Investitionen in Verkehrsinfrastruktur um ein langfristiges Unterfangen handelt, sind solide und glaubwürdige Finanzierungslösungen, die Handel, Wachstum und Nachhaltigkeit fördern, dringend erforderlich.“

Aber es steht auch drin: „Weil die Mittel sowohl der öffentlichen Haushalte wie des Privatsektors begrenzt sind, müssen Regierungen und Wirtschaft gemeinsam neue Wege suchen, um die stabile und langfristige Finanzierung des Verkehrssektors sicherzustellen.“

Was im Klartext heißt: Erst über nachhaltige Verkehrslösungen für die Zukunft nachdenken, dann erst Großprojekte planen. Oder in schönem Tagungs-Englisch: „stable funding arrangements that facilitate implementation of longterm policies that promote sustainable transport“. Da steht wirklich „sustainable transport“. Man kann nur hoffen, dass die Minister wissen, was das bedeutet in Zeiten knapper werdender Ressourcen.

Dass die Minister immer noch wie besessen sind von „growth“, also Wachstum an sich, macht freilich skeptisch. Damit kippt nämlich der Begriffsinhalt von Nachhaltigkeit („sustainability“) völlig ins Gegenteil. Wie dann in der Erklärung in dieser Zustimmungserklärung: „Agree that the principles and practice examined at the 2013 Summit demonstrate the importance of sustained investment in transport to longterm growth, productivity, and environmental sustainability, as well as to shortterm economic recovery …“

Hier steckt das ganze alte Denken vom ewigen Wachstum, das Grundlage wirtschaftlicher Prosperität sein soll. Zuweilen fragt man sich: In welcher Welt leben eigentlich Minister? Haben sie noch zwei, drei Erden in der Hosentasche, die sie hervorzaubern, wenn das unbegrenzte Wachstum alle unsere Ressourcen aufgefressen hat? – Da helfen auch „neue Finanzierungsmodelle“ nichts, auch wenn es eigentlich ganz alte sind. Es ist nur wenige Jahre her, als deutsche Politiker den Rotstift an Bildung, Soziales und Kultur ansetzten und die Aufgabenträger aufforderten, sich nach anderen Finanzierungsquellen umzusehen, sogenannten „Drittmittelgebern“.

Nun haben die weisen Verkehrsminister beschlossen, mit derselben Methode auch die Finanzierungsengpässe für ihre Verkehrsgroßprojekte zu lösen: „New partnership models and alternative funding sources involving the private and public sectors can be developed to enhance funding.“

Eine vollmundige Erklärung. Die vereinigten Verkehrsminister haben nur ihrem Gott gehuldigt: dem immer weiter wachsenden Verkehrsaufkommen. Das mit immer neuen Infrastrukturprojekten noch erhöht werden soll. Denn sie glauben an diesen Satz: „Even where networks are well developed, investment is needed to remove bottlenecks to efficiency and economic growth and to unlock the productive potential of specific locations.“

Damit lässt sich jede Geldausgabe begründen. Selbst da, wo (Verkehrs-)Netze gut entwickelt sind, werden Investitionen benötigt „um Flaschenhälse zu beseitigen“ in Sachen Effizienz und Wirtschaftswachstum und um die „produktiven Potenziale einzelner Regionen freizuschalten“. Das alte Denken sitzt fest in den Köpfen der Leute, die die Verkehrsplanungen in aller Welt in der Hand haben. Sie glauben felsenfest an dieses „immer mehr, immer besser“, das auch noch der letzten Region zugutekommt. Aber genau diese Analyse – was nämlich effiziente Verkehrssysteme tatsächlich für jede einzelne Region bedeuten – fehlt.

Genauso wie die nächste Frage, die sich zwangsläufig auftut, wenn man über „nachhaltige Finanzierung“ von Verkehrssystemen spricht: Wie müssen optimale Verkehrssysteme eigentlich beschaffen sein, damit auch künftige Generationen sie noch nutzen und finanzieren können?

Eine echte Denksportaufgabe für Minister, die mit dem Manta aufgewachsen sind „Mehr Verkehr = mehr Wachstum = mehr BIP = mehr Wohlstand“. Doch genau dieses Denken ist an seinen Grenzen angelangt. Es ist eigentlich längst die Zeit gekommen, mit den verfügbaren Ressourcen und den vorhandenen Infrastrukturen klüger umzugehen. Alles andere ist Wunderglauben. Unterschrieben von 54 Verkehrsministern: „All Ministers of the International Transport Forum declare their determination to pursue policies toward sound sustainable funding of the transport sector.“

Da ist wirklich ministerieller Unfug. Man kann Verkehr nur nachhaltig finanzieren, wenn die Verkehrsstrukturen auch nachhaltig organisiert sind. Alles andere werden Geldverbrennungen in den Dimensionen eines Großflughafens Berlin oder eines tiefer gelegten Bahnhofsprojekts „Stuttgart 21“.

Da genau beginnt die Verantwortung. Aber seltsamerweise ist immer niemand schuld, wenn die Milliarden verbrannt sind.

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