Die Meldung aus dem Rathaus kam am 19. Juni ganz bescheiden daher: "Der Entwurf zum neuen Stadtentwicklungsplan 'Verkehr und öffentlicher Raum' (STEP VöR) soll im vierten Quartal dieses Jahres vorliegen. Das geht aus einer Information zum Stand des Verfahrens hervor, die das Dezernat Stadtentwicklung und Bau der Verwaltungsspitze vorlegte." Irgendetwas Weltbewegendes? - Nö. Oder doch?

“Neben Leitlinien und Zielen wird der Entwurf auch konkrete Maßnahmen enthalten, die aus der Arbeit des Runden Tisches zur Fortschreibung des STEP und dem Bürgerwettbewerb ‘Ideen für den Stadtverkehr’ hervorgegangen sind”, heißt es weiter. Der Entwurf soll anschließend ausführlich mit allen Interessierten diskutiert werden. Dazu wird er im Internet unter www.leipzig.de/verkehrsplanung veröffentlicht. Mitte 2014 soll er dann in den Stadtrat zur Beschlussfassung eingebracht werden. Bestandteil des STEP soll auch ein Konzept zur Evaluierung in den Folgejahren sein.

Der Plan war 2003 vom Stadtrat als Fortschreibung der Verkehrspolitischen Leitlinien aus dem Jahre 1992 beschlossen worden. Nach etwa zehn Jahren und angesichts einer Vielzahl neuer Entwicklungen wird er nun seinerseits fortgeschrieben. Am Beginn dieses Prozesses stand im Jahre 2011 eine Analyse, die unter dem Titel “Mobilität 2020 – Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum – Grundlagen für die Fortschreibung” veröffentlicht wurde. Für die anschließende Arbeit wurde ein Runder Tisch mit Vertretern der Stadtratsfraktionen, Verkehrsunternehmen, Bürgervereinen und verschiedener Interessengruppen ins Leben gerufen. Er wird auch die weiteren Phasen des Prozesses begleiten.

Ferner wurden neun externe Fachgutachten zu verschiedenen Verkehrsthemen in Auftrag gegeben und der Bürgerwettbewerb “Ideen für den Stadtverkehr” durchgeführt. Im Oktober 2013 hatten die interessierten Bürger im Rahmen der Reihe “Leipzig weiter denken” Gelegenheit, in öffentlichen Workshops und einer Abendveranstaltung mit den Fachgutachtern zu diskutieren. Ende November fand das Abschlusskolloquium statt, in dem die Gutachter ihre Empfehlungen vorstellten. Der Bürgerwettbewerb, der im März 2012 begann, erbrachte insgesamt 382 Beiträge mit 618 Ideen in den drei Kategorien stadtweite Ideen, Stadtteilkonzepte und kleinteilige Ideen. In Bürgerworkshops wurden die von einer Jury zur Weiterentwicklung ausgewählten Ideen intensiv diskutiert. Der Bürgerwettbewerb soll in einer Broschüre dokumentiert werden.

Das immerhin war schon ein Novum. Es ist eines der Projekte, mit denen die Stadtverwaltung ihre Amtsräume verließ und die Bürger durchaus als in eigener Sache kompetente Akteure mitreden ließ. Dabei waren sowohl die Gutachter als auch die Werkstätten zu dem keineswegs überraschenden Ergebnis gekommen, dass Leipzigs Verkehrspolitik jetzt zwangsläufig nachhaltiger werden muss – sparsamer im Mitteleinsatz, der Altersstruktur der Bevölkerung angemessener, unter Verzicht auf teure Neu-Projekte und vor allem mit dem in den letzten Jahren formulierten Ziel: “Die Stadt Leipzig hält an den Zielen für die Entwicklung der stadtverträglichen und umweltfreundlichen Verkehrsarten fest, d. h. der Anteil des Umweltverbundes der zurückgelegten Wege soll langfristig auf 70% steigen.” Aktuell sind es knapp 60 Prozent. Heißt auch im Konzeptentwurf eindeutig: Verringerung des Kfz-Verkehrs, Steigerung der Attraktivität des ÖPNV (auch über möglicherweise höhere Umlagen).

Die Formel “verkehrssparsame Stadtstruktur” stand zwar auch schon in früheren STEPs, aber mehrere Überlegungen untermauern jetzt, wohin man vielleicht möchte, auch wenn manche Formulierung so klingt, als wolle man die alten Kamellen in neuen Formeln doch noch mit herüber hieven bis ins Jahr 2020 – die leidigen Zentrenkonzepte etwa, an denen die Stadt festhält, als hätten sie ihre Negativfolgen nicht längst bewiesen.Manche Sätze im Entwurf sind nicht nur kursiv gesetzt, sie lesen sich auch, als wolle man bestimmte Gruppeninteressen unbedingt versöhnen: So soll Leipzig zum Knotenpunkt des Fernbusverkehrs werden. Wer hat das nur vorgeschlagen? – Und wenn man schon davon spricht, den Kfz-Verkehr verringern zu wollen ( der seit 1990 permanent zugenommen hat und immer mehr Straßenraum frisst) – dann nur ja die Wirtschaft nicht verärgern, “jedoch unter Beachtung des Wirtschaftsverkehrs” steht da.

Man spricht zwar von Beschränkung auf Straßenerhaltung und entsprechenden Umbau (u.a. für umweltfreundlichen Verkehr), meint aber an der Stelle unbedingt das Großprojekt “Mittlerer Ring” noch einmal unterbringen zu müssen: “Unter diesen Rahmenbedingungen ist zu prüfen, in welchen Teilen der Mittlere Ring vervollständigt werden sollte.” Bezahlen kann das zwar keiner – aber den Mut, dieses Projekt endlich zu beenden, hatte die Stadtverwaltung nicht.

Man plädiert, um die grassierenden Probleme mit dem ruhenden Verkehr zu lösen, für Parkraumbewirtschaftung und Quartiersgaragen. Und – unterm Thema “Fußgängerverkehr”: “Die Verbesserung der Parkdisziplin, insbesondere das Verhindern des Gehwegparkens, sind konsequenter zu verfolgen.”

Da hat schon wieder jemand den Samthandschuh herausgeholt und sich das Wörtchen “konsequent” nicht getraut hinzuschreiben.

Bei ÖPNV spricht man tatsächlich von einer “Investitionsoffensive zur Modernisierung von Fahrzeugen und Infrastruktur sowie die marktorientierte Weiterentwicklung der Produkte und Tarife. – Es ist eine politische Diskussion erforderlich, in welchem Maß eine Nutzerfinanzierung des ÖPNV durch ein Umlagesystem ergänzt werden soll.” Neues und Altes mischt sich im Konzept. Irgendwann hat sich bestimmt wieder ein Wirtschaftsverband zu Wort gemeldet, als es um die Senkung des Kfz-Verkehrs ging: “Aber der Wirtschaftsverkehr …” – Also steht eine “Priorität für den Wirtschaftsverkehr mit drin”.

Bei Radverkehr verweist man einfach auf den entstehenden Radverkehrsplan. Aber beim Thema “Verkehrsmanagement” floppte das augenscheinlich wieder hoch. Also steht da als Stichpunkt: “Dem Rad- und Fußgängerverkehr ist eine größere Beachtung zu schenken, dafür ist die Datenlage über diese Verkehrsarten zu verbessern.”

Im Grunde verrät dieser Satz, dass sich Leipzigs teures Verkehrsmanagement 23 Jahre praktisch nur auf den motorisierten Verkehr konzentriert hat. Kein Wunder, dass man sich an Ampeln in Leipzig als Radfahrer und Fußgänger dusselig wartet. Nicht mal zu sprechen davon, welch ein Unfug eine beschleunigte Straßenbahn ist, die man – an der Ampel stehend – gar nicht erreichen kann.

Die skizzierte Fortschreibung des STEP Verkehr ist ein “Weiter so” mit Nachbesserungen. Womit das Ganze dann auch wieder anderen städtischen Konzepten ähnelt. Das liest sich dann als Stichpunkt so: “Die umweltrelevanten Fachplanungen (Lärmaktionsplan, Luftreinhalteplan, Energie- und Klimaschutzkonzept) sind bei der Fortschreibung der verkehrlichen Ziele zwingend zu berücksichtigen, auch wenn deren Umsetzung ggf. nur schrittweise erfolgen kann.”

Nur nicht eilen. Vielleicht ist die neue Planungsdezernentin etwas mutiger, stellt das ganze Konstrukt vom Kopf auf die Füße, bringt einen Sinn hinein, mit dem die immer beredeten 70 Prozent tatsächlich zu erreichen sind und Leipzig tatsächlich mal eine Stadt wird, in der es kein Risiko ist, umweltgerecht unterwegs zu sein.

Den Gutachten, die vor der Bürgerbeteiligung eingeholt wurden, widersprechen die jetzt skizzierten Ideen in einigen Punkten erheblich.

Die wesentlichen Aussagen der Gutachten: www.leipzig.de/verkehrsplanung

oder in kurzen Auszügen hier: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/C9D4BF6F1DBD4C06C1257B8A00282A2F/$FILE/V-ds-3100-text.pdf

Die Skizze dessen, was das Planungsdezernat sich im neuen STEP Verkehr vorstellen kann: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/C9D4BF6F1DBD4C06C1257B8A00282A2F/$FILE/V-ds-3100-anlage.pdf

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