Nicht nur der ADFC zeigte sich irritiert, dass einige Leipziger Landtagskandidaten der CDU im Wahlkampf ausgerechnet zwei schwer errungene Teile der Leipziger Verkehrspolitik in Frage stellten und gar die Radfahrer verantwortlich machen für Verschlechterungen beim ÖPNV. Nun nimmt auch Jens Herrmann-Kambach, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Stadtrat, dazu Stellung. Und wirft den Kombattanten Verdrehungen und Halbwahrheiten vor.

Jens Herrmann-Kambach

Die derzeitigen, durch einzelne CDU-Wahlkämpfer veröffentlichen Diskussionsbeiträge über die fehlende Bevorrechtigung des ÖPNV und der Bevorzugung des Radverkehrs zulasten aller anderen Verkehrsarten strotzen vor Halbwahrheiten und Verdrehungen.

Zu den Fakten:

Pfaffendorfer Straße

Die Behinderungen der Straßenbahn haben sich durch den markierten Radfahrstreifen deutlich verringert, da die Straßenbahn nun wirklich als Pulkführer agiert. Früher wurde die Bimmel gerade in Richtung Zoo an der Haltestelle Lortzingstraße durch den nachfolgenden PKW-Verkehr, auch unter Missachtung der ein- und aussteigenden Fahrgäste, überholt. Dies geschieht heute nur noch selten!

Die jetzigen Behinderungen haben ihre Ursachen

a) in den Bauarbeiten insbesondere im Bereich der Gerberstraße und

b) wegen der durch die CDU-Fraktion im Stadtrat mit Nachdruck geforderten Einrichtung von zwei Geradeausspuren von der Runden Ecke in die Pfaffendorfer Straße.

Diesen Verkehr kann die Pfaffendorfer Straße unabhängig des Radfahrstreifens nicht verkraften, und es kommt zu deutlichen Stauerscheinungen.

Georg-Schumann-Straße

Hier wurde nach einem Antrag der CDU-Fraktion die Straße neu markiert. Trotz Hinweisen, dass gerade diese Abmarkierungen zur Herstellung eines Radfahrstreifens und von Parkplätzen im Bereich zwischen Chausseehaus und Lützowstraße zu Behinderungen der Straßenbahn führen würden, wurde diese Maßnahme umgesetzt. Erst im Frühsommer wurde dem Stadtrat auch auf Druck von Vertretern der Fraktion Die Linke ein Bericht zur Wirksamkeit dieser Markierung vorgelegt. Darin wurde bestätigt, dass die Straßenbahn hier behindert wird. Leider wurde bis heute die vorhandene Markierung nicht angepasst.Neue Radfahrstreifen im gesamten Stadtgebiet

2012 beschloss der Stadtrat das Radfahrprogramm. Damit wurde auch die Schaffung von Radfahrstreifen auf der Straße beschlossen. Ziel des Konzeptes war und ist, den Radfahrverkehr attraktiver und sicherer zu machen. Radfahrer, welche getrennt vom Straßenverkehr auf einen separaten Radfahrweg fahren, sind gerade im Bereich einer Kreuzung gefährdet. Trotzdem bedarf die Einrichtung von Radfahrstreifen einer Prüfung der Bedingungen vor Ort und inwieweit die Einrichtung andere Verkehrsarten beeinflusst.

Inwieweit diese Prüfung u. a. in der Chemnitzer Straße unter Einbeziehung der Polizei, der LVB, der Verkehrswacht, des ADAC und des ADFC erfolgt ist, liegt außerhalb meiner Kenntnisse. Jedoch wurde durch die Anlegung des Radfahrstreifens dort die Mittellinie entfernt, weil jetzt keine vollwertige Fahrspur je Richtung für den übrigen motorisierten Verkehr zur Verfügung steht. Welche Auswirkungen dies auf die dort verkehrenden Buslinien hat, gerade wenn die Schulferien zu Ende sind, bleibt abzuwarten.

ÖPNV-Beschleunigung

Die Ausführung des Vertreters des ADAC, Herrn Anders, dass es in den 90er Jahren eine Straßenbahnbeschleunigungskommission gab, ist zutreffend (auch wenn Herr Anders als damaliger Leiter der Straßenverkehrsbehörde der Stadt Leipzig nicht unbedingt ein Befürworter der Ziele dieser Kommission war). Heute gibt es mit dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt Leipzig und dem ADFC eine Lobby für den Radverkehr und mit dem Dezernat Wirtschaft, der IHK und dem ADAC eine Lobby für den MIV.

Eine wirklich starke Lobby für den ÖPNV und den Fußgängerverkehr scheint es jedoch in dieser Stadt nicht zu geben. Sehr deutlich zeigt sich dies an den Planungen zum Umbau der Georg-Schwarz-Straße zwischen Rathaus Leutzsch und Böhlitz-Ehrenberg. Die geplante Sicherung eines straßenbegleitenden Radfahrweges und von Parkplätzen geht hier zulasten der Breite des dortigen Fußweges und (aufgrund der Führung des Radfahrweges hinter den Haltestellen) des ÖPNV.

Auch an anderen Stellen im Stadtgebiet hat man das Gefühl, dass dem ruhenden Verkehr und dem Radverkehr Vorrang vor dem Fußgängerverkehr und dem ÖPNV eingeräumt wird. Diese Verkehrspolitik hat aber weitreichende Auswirkungen. Fußwege werden immer weniger als attraktive Aufenthaltsräume wahrgenommen, und die Durchschnittsgeschwindigkeit des ÖPNV sinkt, was mit einer Steigerung der Betriebskosten verbunden ist. Ist dies das Leipziger Verkehrskonzept der Zukunft?

Aus Sicht des verkehrspolitischen Sprechers der Fraktion Die Linke bedarf es einer ausgewogeneren Verkehrspolitik, verbunden mit einer entsprechenden Straßenraumgestaltung.

Ein Blick über die Grenzen unserer Stadt in die Schweiz und nach Frankreich zeigt, wie man in gewachsenen Straßenräumen ein attraktives Radverkehrsnetz trotz breiter Fußwege und ÖPNV-Bevorzugung gestalten kann.

Bleibt nur zu hoffen, dass die aus wahlkampftaktischen Gründen begonnene Debatte zum Radfahrverkehr in den nächsten Wochen zu einer ausgewogenen und sachlichen verkehrspolitischen Debatte führt.

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