Bewerber für Jobs ein bis drei Wochen für umsonst Probe arbeiten zu lassen, ist bei vielen Unternehmen zu einer Unsitte geworden und wird mit dem Euphemismus "Praktikum" umschrieben. In der Hoffnung auf eine feste Anstellung hängen sich die Bewerber zur Freude der Chefs doppelt rein. Und wenn es dann nichts wird, Pech gehabt. So ungefähr ist wohl auch die Praxis beim Logistik-Unternehmen Amazon.

Wie ein seit 2008 dort beschäftigter Mitarbeiter des Internetwarenhauses der L-IZ gegenüber exklusiv berichtete, lässt man dort vom Jobcenter geschickte Interessenten zwei bis drei Wochen auf Steuerzahlerkosten auf Probe arbeiten beziehungsweise ausbilden, um sie dann kurz vor Ablauf der Probezeit entweder zu feuern oder in Positionen arbeiten zu lassen, für die sie gar nicht ausgebildet wurden. Zustände, die schon November letzten Jahres für Wirbel gesorgt hatten. Nachdem die Wogen sich geglättet hatten, dachte man bei Amazon wohl, es sei ausgestanden und Gras über die Sache gewachsen. Nachdem aber unlängst schon Gewerkschafter über unhaltbare Zustände beim Versandhausriesen berichtet hatten, hat sich nun auch ein Mitarbeiter von Amazon direkt an die L-IZ gewandt.

Dieser Leipziger (wir nennen ihn Ralf K.) möchte aus Sorge vor Repressalien und arbeitsrechtlichen Folgen anonym bleiben. Das offenbar zu Recht, wenn man hört, was er zu den in der Leipziger Amazon-Niederlassung herrschenden Verhältnissen zu sagen hat. Dazu gehört auch die bundesweit bei Amazon gängige Praxis, dass viele Mitarbeiter sich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten hangeln müssen.

Auch ihm ergeht es nicht anders: “Ein feste Anstellung war seitdem nicht in Sicht. Auch ich hüpfe quasi seitdem von einem auf ein paar Monate befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten, immer in der Hoffnung auf eine Festanstellung.” Hoffnung, endlich einen sicheren Job zu haben, machten sich auch die rund 20 Neubewerber, die Anfang Januar von der Geschäftsleitung von Amazon mit Zustimmung des Betriebsrates eingearbeitet werden sollten. Dies, so Ralf K., geschehe üblicherweise so, dass die Geschäftsleitung vom Jobcenter geeignete Bewerber zur Verfügung gestellt bekommt.

Ralf K.: “Die wurden dann zwei Wochen lang entsprechend eingearbeitet. Für die Dauer der Trainings- und Einarbeitungsmaßnahmen übernimmt das Jobcenter alle Kosten, inklusive Spesen, wie Fahrtkosten, für die neu einzuarbeitenden Bewerber. Das heißt, dass diese Kosten vom Steuerzahler getragen werden.”
Entsprechend ihrer Eignung wurden die Bewerber dann auch mit einem befristeten Arbeitsvertrag ausgestattet. Zunächst bis zum 31. Dezember 2012. Die Probezeit wäre demnach Ende März abgelaufen.

Nun flatterte dem Betriebsrat offenbar ein Stapel Kündigungen zur Unterschrift auf den Tisch, wie Ralf K. zu berichten weiß: “Und zwar genau von diesen vorher erwähnten Mitarbeitern. Das heißt, dass ihre Verträge noch innerhalb der Probezeit gekündigt wurden, wobei es bekanntermaßen keinerlei Begründung bedarf und die Unterschrift des Betriebsrates unter die Kündigungen eine reine Formsache ist.”

Dies sei, so Ralf K., gängige Praxis deutschlandweit bei Amazon. Auf diese Weise würden die Mitarbeiter in zwei Lager gespalten. Diejenigen mit einer festen Anstellung und diejenigen mit befristeten Arbeitsverträgen. “Das vergiftet das Klima und schafft eine große Unkollegialität. Denn die Mitarbeiter mit den befristeten Arbeitsverträgen hoffen natürlich durch vermehrte Leistung darauf, endlich einen festen Job zu bekommen. Also hauen sie doppelt so hart rein wie es normal wäre, was natürlich denjenigen mit dem festen Job entgegen kommt, die es ruhiger angehen lassen können.”
Und was sagt das Jobcenter Leipzig zu dieser Praxis? Die L-IZ hat mal nachgefragt. Martin Richter, Pressesprecher des Jobcenters Leipzig, hat geantwortet.

Trifft es zu, dass die Kosten für die Ausbildung vom Jobcenter übernommen werden? Wie viele ALG-II Empfänger wurden seit September 2011 bis zum jetzigen Zeitraum an Amazon “überlassen”,um dort die entsprechende Ausbildung zu machen? Welche Kosten sind diesbezüglich dem Jobcenter entstanden?

Das Förderinstrument, das Sie hier ansprechen, betrifft die Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 46 SGB III. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich jedoch nicht um eine “Ausbildung” oder gar “Überlassung”, sondern um eine betriebliche Erprobungsphase, welche auf maximal vier Wochen begrenzt ist. Im Rahmen der Instrumentenreform ab 01. April 2012 wird die Dauer der maximalen Erprobungsphase von vier auf sechs Wochen erhöht. Für die Menschen im Rechtskreis SGB II (Empfänger von Arbeitslosengeld II, betreut vom Jobcenter) wird die mögliche Dauer sogar auf bis zu 12 Wochen erhöht.

Diese Maßnahmen dienen dazu, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer kennenlernen können und dass beide sowohl die Anforderungen des Arbeitsplatzes als auch die Fähigkeiten des Bewerbers ohne arbeitsvertragliche Bindung beurteilen können.Vor allem für Menschen mit einem größeren Abstand zum Arbeitsmarkt ist dies häufig ein geeignetes Instrument, um diese wieder an die Belange des Erwerbslebens heranzuführen. Bei vielen Arbeitgebern wird dieses Instrument erfolgreich eingesetzt und nicht wenige Bewerber haben durch eine betriebliche Erprobungsmaßnahme wieder die Chance auf eine Beschäftigung bekommen. Die Kosten, die im Rahmen dieser Maßnahmen entstehen – z.B. Fahrkosten des Bewerbers – werden vom Jobcenter einzelfallbezogen gewährt.

Zur Gesamtzahl der Teilnehmer an diesen Maßnahmen bei Amazon im vergangenen Jahr kann ich Ihnen aus Gründen des Datenschutzes keine Angaben machen. Die Kosten, die im Rahmen dieser Maßnahmen bei einem Arbeitgeber entstanden sind, werden zudem nicht gesondert erfasst.

L-IZ hat erneut eine schriftliche Anfrage an die Pressestelle des Jobcenters bezüglich der Gesamtzahl der Teilnehmer an den Maßnahmen bei Amazon geschickt, da die Redaktion der Ansicht ist, dass reine, nicht personenbezogene Zahlen kaum unter den Datenschutz fallen können und hier die behördliche Auskunftspflicht greift. Eine Antwort steht noch aus.

Martin Richter erklärte abschließend gegenüber der L-IZ: “Wir versuchen, den Arbeitsuchenden im Vorfeld von betrieblichen Erprobungsphasen – egal bei welchem Arbeitgeber – ein realistisches Bild zu den beruflichen Möglichkeiten zu vermitteln. Bei den Stellen im Bereich Versand/Handel ist den Beteiligten klar, dass es sich aufgrund der branchentypischen Auftragsschwankungen (mit Höhepunkt in der Vorweihnachtszeit) häufig um befristete Stellen handelt. Aber gerade für Menschen, die schon länger arbeitslos sind und bei denen eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit droht, können befristete Beschäftigungsverhältnisse zu einer erheblichen Verbesserung der weiteren Arbeitsmarktchancen beitragen. Dabei besteht zwischen allen Beteiligten Konsens, dass befristete Beschäftigung nur ein Einstieg in das Erwerbsleben sein kann, nicht jedoch das letzte Ziel.”

Auch an die Amazon-Zentrale wurden Fragen zur beschriebenen Problematik geschickt und seitens der L-IZ mehrmals telefonisch nachgehakt bzw. darum gebeten, die Fragen zu beantworten. Die Antwort seitens der Presseabteilung von Amazon fiel allerdings vergleichsweise knapp aus. Auch auf telefonische Anfragen erteilte die PR-Managerin des Unternehmens Ulrike Stöcker nur mit: “Diese Vorwürfe sind völlig unhaltbar. Sicherheit hat in den Logistikzentren von Amazon oberste Priorität. Mitarbeiter mit befristeten Verträgen setzen wir aus zwei Gründen ein: Zum einen, um Nachfrageschwankungen im Jahresverlauf gerecht zu werden, zum anderen, um engagierte Mitarbeiter zu finden. Unser langfristiges Ziel ist es, Mitarbeitern so schnell unser Geschäftswachstum es erlaubt, unbefristete Verträge zu geben. Wie bisher auch werden wir weiterhin in allen unseren Logistikzentren befristete Verträge in unbefristete umwandeln.”

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