Dass man im Leipziger Rathaus nicht wirklich eine Ahnung davon hat, was die Medien- und Kreativwirtschaft in Leipzig ausmacht, darüber hat die L-IZ mehrfach geschrieben. Die Branche ist so eine Art Mainelke im Knopfloch, wenn sich Herren in feinem Zwirn gegenseitig zu dieser Stadt beglückwünschen. Aber für wie billig die Leistungen der Branche von diesen Herren taxiert werden, das machten sie am Freitag, 20. Juli, öffentlich. Sie gaben der Verachtung auch noch einen flotten Namen: "Open Innovation".

Und dann ratterten sie los, als hätten sie jetzt gerade das Füllhorn geöffnet: “Leipziger Akteure aus dem Bereich der Medien- und Kreativwirtschaft sind ab sofort aufgerufen, Projektvorschläge und Projektideen rund um das Thema ‘Open Innovation’ einzureichen. Einsendeschluss ist der 5. August 2012. Zur finanziellen Unterstützung der Projekte stehen insgesamt 35.000 Euro zur Verfügung.”

Die Zahl 35.000 scheint den Auslobern nicht mal besonders aufgefallen zu sein. 35.000 Euro für eine wirtschaftlich funktionierende Projektidee? – Die Meldung aus dem Amt für Wirtschaftsförderung nahm doch tatsächlich das Wort Wertschöpfungskette in den Mund: “Innovationen entstehen immer seltener in geschlossenen Bereichen eines Unternehmens. Der Erfolg eines Unternehmens oder einer Innovation beruht vielmehr zum großen Teil auf der Fähigkeit, Netzwerke zu nutzen und Kooperationen mit externen Partnern entlang der Wertschöpfungskette einzugehen. ‘Open Innovation’ bezeichnet einen interaktiven, verteilten und offenen Prozess, der sich in Verbünden zwischen Unternehmen, Universitäten, Start-Ups, Lieferanten, Kunden und auch Wettbewerbern vollzieht.”

Als wenn all das in der Leipziger Kreativszene nicht längst gang und gäbe wäre. Es gibt sogar Preise dafür. Beim IQ Innovationspreis zum Beispiel sind auch immer wieder Leipziger Unternehmen aus dieser Branche dabei. Aber da wird das als Preis gehandelt, nicht als verschämter Versuch so zu tun, als fördere man hier irgendetwas oder müsse es gar erst anregen. Und mit “Open Innovation” hat die Auslobung der Stadt rein gar nichts zu tun.

Die Leipziger Stadtverwaltung wird es wohl nie schaffen, die Rolle des wissenden Oberlehrers zu verlassen: “Die Projekte sollen sich mit dem Thema ‘Open Innovation’ in den verschiedenen Subbranchen der Medien- und Kreativwirtschaft auseinandersetzen. Das Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig unterstützt mit dieser Ausschreibung den Weg von der ausschließlich internen, geschlossenen Innovation hin zur ‘Open Innovation’ in der Kreativwirtschaft.”

Was ist das? Der verspätete Versuch, “open source” in Leipzig neu zu erfinden?Oder ist es einfach ein völliges Missverständnis für den Begriff “open innovation”? Hätte die Leipziger Wirtschaftsförderung da nicht lieber mal bei der Handelshochschule Leipzig (HHL) nachfragen sollen, die sich mit dem Thema schon etwas länger beschäftigt?

Es geht dabei nicht die Bohne um “externe Partner”. Das ist Quatsch. Zitat aus einem Projekt, an dem sich die HHL beteiligt: ” Open Innovation wird dabei als die freiwillige Teilnahme an Innovationsprozessen über die Grenzen von Teams, Abteilungen und Organisationseinheiten hinweg verstanden. Um allen Mitarbeitern eines Unternehmens die Möglichkeit zur Teilnahme an Open Innovation Prozessen zu geben, sollen im Rahmen des Open-I Projektes Social-Software-Anwendungen entwickelt und getestet werden.” Es geht um die Erschließung des Innovations-Potenzials innerhalb von Unternehmen – und dabei die Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten von “social media”.

Im Rahmen dieser Ausschreibung sollen insgesamt 7 Projekte bzw. Projektideen in den durch die Clusterförderstrategie der Stadt Leipzig festgelegten Subbranchen ausgewählt und finanziell unterstützt werden. Die Subbranchen sind Informations- und Kommunikationstechnologie, Druck- und Verlagsgewerbe, Rundfunk und Film, Künste und Musik, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, Architektur und Design, Messe und Dienstleistungen.

Das war’s dann mit den 35.000 Euro, die vielleicht für ein bescheideneres Innovationsprojekt als Anschubfinanzierung ausgereicht hätten.

Aber 35.000 durch 7 ergibt 5.000. Gerade mal 5.000 Euro für eine innovative Projektidee, die auch noch für andere offen sein soll? In der Zahl steckt eigentlich alles, die ganze Vorstellungswelt der Leipziger Wirtschaftsförderung über das, was man so für kreativ hält. In einer echten Projektidee sind damit nicht mal die Materialkosten abgedeckt, von der kreativen Arbeit dabei ganz zu schweigen.Bewerben können sich Leipziger Unternehmen, Freiberufler, Institutionen aus Wissenschaft, Kultur und Kunst, die in Vorhaben oder Projekten mit wirtschaftlichem Hintergrund eingebunden sind. Die Projekte sollten im Jahr 2012 beginnen bzw. müssen bis zum 31.3.2013 beendet sein, heißt es weiter aus dem Amt für Wirtschaftsförderung.

Den Teilnehmern bietet sich die Chance, noch im laufenden Jahr einen Finanzierungszuschuss für die Umsetzung ihrer Ideen in konkrete Projekte zu erhalten, heißt es weiter. Ganz im Gestus des Herrn Krösus. In der Ausschreibung heißt es noch: “Bei der Entscheidung über die Projekte / Projektideen wird beurteilt, ob die Maßnahme schlüssig geplant und wirtschaftlich angemessen kalkuliert wurde, eine Verbesserung bzw. Erhöhung der Innovationsdynamik für/ in Leipzig deutlich wird, eine qualifizierte Umsetzung erfolgen kann bzw. zu erwarten ist, der Erprobungs- oder Pilotcharakter des Projektes bzw. der Projektidee gegeben ist.”

Und das alles für 5.000 Euro? – So billig glaubt man, entstehen mal auf die Schnelle Innovationen? – Denn die Ausschreibung betont auch: Die Projekte dürfen noch nicht angefangen sein, müssen aber bis zum 31. März 2013 beendet sein.

Und man will auch “Angaben zur Durchführung: finanziell (Angaben zu Personalkosten, Investitionskosten, Reisekosten, e.t.c.), inhaltlich (Meilensteinplanung), zeitlich (Projektverlauf, terminierter Projektabschluss), Angaben zur Qualifikation oder Referenzen der Projektbeteiligten.”

Und das bis zum 5. August. Wer die letzte Analyse zum “Cluster” Kreativwirtschaft gelesen hat, weiß, dass die allerwenigsten von den 4.400 hier zusammengewürfelten Unternehmen das Potenzial haben, derartiges binnen zwei Wochen auf die Beine zu stellen. Und die, die das Potenzial haben, für die ist die ausgelobte Summe lächerlich.

Und einfach mal aus der realistischen Leipziger Perspektive betrachtet: Eine einzige Null drangehängt an die zusammengekratzten Spendengelder, und die Stadt würde den Kreativen in Leipzig tatsächlich signalisieren, dass sie sie ernst nimmt. Das hier ist nur ein Freizeitspaß für Leute, die Kreativ-Arbeit als Fingerschnipsen betrachten.

Über die eingereichten Projekte und Projektideen entscheidet dann auch noch ein vom Amt für Wirtschaftsförderung eingesetzter Beirat bis zum 10. August 2012.

Man darf gespannt sein darauf, welche seltsamen Blüten dieser neue Spaßwettbewerb für das Spaß-Cluster treiben wird.

Weitere Informationen zur Ausschreibung: mkw.leipzig.de

Open Innovation: www.open-i.eu

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