68,9 Millionen Euro erwirtschaftete die Leipziger Messe im Geschäftsjahr 2011, knapp 4 Prozent weniger als 2010. Da waren es 71,6 Millionen Euro. Ist das gut? Oder weniger gut? "Das ist ein guter Wert", sagt Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe. Damit liegt der Messeplatz Leipzig wieder unter den Top-10-Messen in Deutschland.

Der Ertrag ist – über die Jahre gesehen – stabil bei 70 Millionen Euro. “Was im Messegeschäft durchaus nicht die Regel ist”, so Buhl-Wagner. “Denn das Messegeschäft ist oft sehr kurzfristig.” Und es lebt in Zyklen. Nicht jedes Jahr ist gespickt mit kräftigen Zugpferden, die die Besucher zu Hunderttausenden anlocken. Eine kurze Phase in der jüngeren Geschichte der Leipziger Messe gab es. “So bis 2008, 2009”, sagt Buhl-Wagner. “Da hatten wir mit AMI, Intec und GC drei starke Zugpferde im Stall.” Darüber freut man sich bei einer Messegesellschaft.

Aber man darf die Hände nicht in den Schoß legen. Denn kein Messemarkt ist so umkämpft wie der deutsche. Hier agieren die schlagkräftigsten Messegesellschaften weltweit auf engem Raum – im Prinzip alle unterstützt durch ihre jeweilige Landesregierung und die Stadt, wo das Messegelände steht. Und sie kämpfen auch mit harten Bandagen – und oft Steuermillionen ihrer Bürger – um die großen, erfolgreichen Messen. Im Fall der GC war es Köln, dass alles dafür tat, die in Leipzig erfolgreich etablierte Computerspielemesse an den Rhein zu holen.

Ein Denkzettel für die Leipziger Messeleitung. Aber auch eines der vielen Achtungszeichen, die ein – “mittelständisches Unternehmen, wie wir eines sind” (Buhl-Wagner) – nicht verpassen darf, wenn es nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten will. Der Abgang der GC blieb nicht das einzige Warnsignal. Die Finanzkrise 2008/2009 mit der direkt folgenden Absatzkrise im Automarkt war das nächste. Auf einmal stand die AMI zur Disposition. Sie blieb Leipzig erhalten – aber in einem neuen Zwei-Jahres-Zyklus. Was sie nicht davor bewahren wird, sich auch in den nächsten Jahren weiter zu verändern.

Auch ein Grund dafür, dass im Marketing der Leipziger Messe nach einer zweijährigen Neuorientierungsphase zwei Worte deutlich in den Vordergrund getreten sind: Innovation und Integration. Eine junge fesche Dame lächelt von den jüngsten Werbematerialien der Messe, spielt ein bisschen Medienmaus und zeigt dem Fotografen den zu wählenden Bildausschnitt an. Das hätte durchaus das 1996 eröffnete Leipziger Messegelände 3.0 sein können. Ist es aber nicht: Der kesse Gesichtsausdruck der jungen Dame steht im Mittelpunkt.
Eigentlich geht es um das neu gewonnene Selbstverständnis der Leipziger Messe, deren Geschäftsführer wohl zu recht stolz sind darauf, dass sich Leipzigs Messe 1990 wieder einmal komplett neu erfunden hat. Genauso komplett eigentlich wie 1895, als in Leipzig die Mustermesse erfunden wurde. 1990 freilich stand ein ganz anderer Druck dahinter: Die alten, auf Frühjahr und Herbst konzentrierten Komplettmessen funktionierten nicht mehr. Leipzig musste sich nicht nur an das international inzwischen etablierte Fachmessen-Muster anpassen – es musste seine eigenen Fachmessen im Grunde auch noch gegen einen längst funktionierenden Markt durchsetzen.

“Es ist erstaunlich, dass das so gelungen ist”, sagt Buhl-Wagner. Nicht jede Messe fasste Fuß. “Messen haben ihre Lebenszyklen”, erinnert Buhl-Wagner. “Die erste große Fachmesse, die in Leipzig die Leitmesse war, war die Baufachmesse.” Das war noch in der Zeit, als Jürgen Schneider mit großen Augen durch Leipzigs ramponierte Innenstadt spazierte und sich die Filetstücke aussuchte, als die selben Magazine, die den Osten heute immer noch für tiefste Provinz halten, von der “Boomtown” schrieben und ein zuversichtlicher OBM den Slogan verbreiten ließ “Leipzig kommt”.

Was der Messe ihre Krisen nicht ersparte. Die Baufachmesse ging zum Beispiel nicht verloren, weil ein anderer Messeplatz sie wegköderte. Über sie ging schlichtweg der Fusionsprozess hinweg, der aus einer 1990 noch reichen Landschaft mittelständischer deutscher Bauunternehmen, die alle einen guten Namen hatten, noch Ende der 1990 ein Konzentrat von zwei, drei großen Konzernen machte, die den Markt dominieren. Dasselbe geschah eigentlich in allen Branchen. Selbst in der Bierbranche, wie sich Buhl-Wagner mit Wehmut erinnert.

“Als wir in den 1990er Jahren Verbrauchermessen organisierten, hatten wir in der Regel 50 Brauereien dabei, die jede einen Stand von 100 Meter buchten. Heute kann ich zwei große Konzerne einladen, die dann eine Säule hinstellen, auf der die ganzen Biermarken untereinander stehen.”

Das verändert nicht nur Märkte und Preise, das verändert auch die Zusammenarbeit mit den Branchenverbänden. “Ohne Zusammenarbeit mit den Verbänden und den großen Unternehmen kann man keine Messe machen”, erklärt Markus Geisenberger, der seit zwei Jahren die Doppelspitze der Leipziger Messe ergänzt. Was auch bedeutet: Man muss mit den Kunden intensiver kommunizieren als selbst noch vor drei, vier Jahren.
Selbst die GC ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich Geschäftsmodelle ändern können. Als sie in Leipzig stattfand, waren Computerspiele der Trend der Zukunft. 2009 gab es die ersten Zeichen dafür, dass Online-Spiele diesen Markt vielleicht verändern würden. 2012 überlegen die großen PC-Spiele-Hersteller, ihre Spiele künftig zu verschenken und – wie die Online-Anbieter – ihr Geschäft mit Zukäufen von Zusatztools zu machen.

Auch andere Branchen sind unter Druck gekommen – jüngstes Beispiel die “PostPrint”, die nach einer Folge von Fusionen drohte, 2012 ihre Aussteller zu verlieren. Sie soll nun 2013 wieder stattfinden.

“Was uns die letzten Jahre gelehrt haben”, so Buhl-Wagner, “ist, dass man sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen darf. Auch dann nicht, wenn es gut läuft. Eine Messe wie unsere muss innovativ sein und muss auch jedes Jahr ein ganzes Bündel von Innovationen vorzeigen können. Das muss nicht immer eine neue Messe sein. Das kann auch ein neues Angebot innerhalb einer bestehenden Messe sein. Das kann auch durch Zukäufe passieren.”

In Klammern: Im Grunde muss die Innovationsrate wohl sogar dauerhaft höher sein, als es noch bis 2008 nötig war. Manchmal sind sogar die verrücktesten Ideen diejenigen, die funktionieren: Im Juni hat Leipzig die ersten GeoGames veranstalten, im Grunde das erste Branchentreffen der Geocacher. Das sind die Jungs und Mädchen, die mit modernster Ortungstechnik auf die Jagd nach gut versteckten Zielen im Gelände aufbrechen. 30 Anbieter für die benötigte Spezialtechnik waren vor Ort, 4.000 Leute kamen nach Leipzig. “Und wir haben tunlichst vermieden, diese Veranstaltung in irgendeiner Art zu bewerben”, sagt Buhl-Wagner. “Die Veranstalter haben höchsten Wert darauf gelegt, dieses Ereignis nicht öffentlich zu machen.” Verbreitet hat sich die Nachricht trotzdem – auf den Webplattformern all der Leute, die die Faszination des Geocachings leben.

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Drei Novitäten stehen noch im Herbstprogramm der Messe: die Eigenentwicklung “new mobility”, die sich wirklich einmal der Zukunft der modernen, vernetzten Mobilität widmet, die übernommene “Mitteldeutsche Absolventenmesse” und die Messe “Die 66”, die sich mal nicht den Wehwehchen im höheren Alter widmet, sondern all dem, was das Leben dann wirklich noch (oder erst recht) aufregend macht.

Der Abschluss für 2011 hat auch augenscheinlich den Aufsichtsrat der Messe überzeugt. Immerhin hat man das abgesprochene Ziel eingehalten, den Mehrbedarf durch die Gesellschafter (den Freistaat Sachen und die Stadt Leipzig) auf 7 Millionen Euro zu deckeln. “Das haben wir geschafft”, sagt Buhl-Wagner.

Dass Land und Kommune das Geld zugeben, hat seinen Grund in den so gern benutzten Wort “Umwegrendite”. Jeder einzelne Euro, der auf einer Messe ausgegeben wird, bringt – durch Übernachtung, Kulturveranstaltungen, Gaststättenbesuche usw. – weitere 6 Euro in die Region. Bei Kongressen ist das Verhältnis sogar 1 : 13, weil Kongressveranstalter sich die Kongressstädte immer gezielter nach ihrem Neuheits- und Erlebnisfaktor aussuchen. Und an dieser Stelle ist zumindest eine alte sächsische Rivalität aufgehoben: Im Kongressgeschäft arbeiten Dresden und Leipzig nicht mehr gegeneinander, sondern bewerben das Themenfeld einander. Was bedeuten kann, dass die beiden Kongressstädte (und Dresden wie Leipzig sind mittlerweile unter den Top 10 in Deutschland) sich nicht mehr gegenseitig die Kongresse abjagen. “Im Gegenteil. Da kann es sogar passieren, dass wir den Kongress gleich zwei Mal nach Sachsen holen”, sagt Buhl-Wagner, “einmal nach Dresden und einmal nach Leipzig.”

Über die Novitäten, die 2013 auf Leipzig zukommen, mehr an dieser Stelle morgen.

www.leipziger-messe.de

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