Was wäre ein Bewerbungstest auf dem Leipziger Arbeitsmarkt, wenn man nicht wirklich mal einen der angebotenen Jobs annähme und ihn zumindest ein paar Tage auf Herz und Nieren prüft? Richtig, ein Muster ohne Wert. Das war mein nächstes Ziel. Ein echter Praxistest mit allem Drum und Dran. Wie es der Teufel will, bekam ich tatsächlich die Chance eine Festanstellung anzutreten. Diesmal aber über eine Leiharbeitsfirma.

Gesucht wurde per Internet-Annonce ein Sachbearbeiter, der sich mit Beschwerdemanagement von Fluggesellschaften befasste. Dazu waren sehr gute Englischkenntnisse die mindeste Voraussetzung. Um welche Firma es sich handelte, wurde wie üblich bei Leiharbeitsfirmen nicht verraten. Diese Geheimniskrämerei ist meiner Meinung nach eines der ungelösten Rätsel der Menschheit. Große Firmen tarnen sich bis zum letzten Moment, bevor man erfährt, bei wem man sich überhaupt und für was eigentlich bewirbt. Man zielt also mehr oder weniger direkt ins Blaue, schießt bewerbungstechnisch aus der Hüfte, stochert im Jobnebel, um sich am Ende wie auch immer beim Versteckspiel überraschen zu lassen. Eiderdaus, so macht es doch richtig Spaß. Aber vielleicht ist das auch nur konsequent. Schließlich gibt es doch auch so schon zahllose Jobs, die man seit Jahren macht und bei denen man sich fragt, für wen oder was man das Ganze überhaupt eigentlich macht. Und währenddessen sind wir von einem erfüllten und glücklichen Arbeitsleben etwa so weit entfernt wie eine Gummiente mitten im Pazifik von der nächsten Insel, aber das ist heutzutage ja auch nicht mehr oberste Priorität.

Glücklich soll erst mal das Unternehmen beziehungsweise deren Anteilseigner werden. Und wenn dann noch ein paar Brosamen zufriedenen Arbeitsdaseins unter den Tisch Richtung Arbeitnehmer fallen, dann hat man eben Glück gehabt. Oh modernes Sklaventum, wie hast Du Dich verändert seit Spartakus. Der wusste wenigstens noch gegen wen er sein Schwert erheben durfte. Heute hätte auch jener tapfere, muskelbepackte Rebell mit seiner Hieb- und Stichwaffe nur hilflos im Paragraphennebel des Arbeitsmarktes gestochert und wäre vielleicht von einer Leihsklaven… entschuldigung… Leiharbeitsfirma als Leihsklave vermittelt worden. Selbstverständlich nicht mit der selben Bezahlung wie seine fest angestellten Sklavenkollegen, die die gleichen Sklavenarbeiten zu verrichten haben wie Spartakus. Seis drum, ich hingegen hatte kein Schwert, sondern nur die virtuelle journalistische Feder, also Tastatur meines Laptops, angetrieben von meiner Schreibwut. Und genau mit dieser Schreibwut wollte ich besagten Nebel lichten. Koste es, was es wolle.

Davor hatte mir der Herr des Arbeitsmarktes aber wie immer einige Hürden errichtet, bei denen es wie so oft galt, Contenance zu bewahren und gekonnt zu heucheln (Euphemismus für Lüge). Langsam, muss ich gestehen, kam ich mir ein wenig vor wie ein Politiker. Sprich: Ich behauptete von mir, etwas oder jemand zu sein, der ich in Wirklichkeit nicht oder nur annähernd war. Gehörte also quasi zu meinem Berufsbild. Apropos Berufsbild. Zurück zum Beschwerdemanagement von Fluggästen. Aus der Anzeige war wie immer nicht wirklich zu erfahren, um was es sich dabei genau handelte, beziehungsweise, was einen erwartete. Nur das übliche Blabla von wegen renommiertes Unternehmen mit internationalem Hintergrund.Vorab aber galt es, sich für diesen Job zu bewerben.
Inzwischen hatte ich mir diesbezüglich schon eine gewisse Routine angeeignet und musste wohl ins Schwarze getroffen haben, wurde ich doch schon nach einer Woche zu einem Vorstellungstermin geladen. Wobei der Begriff “Vorstellungstermin” diesbezüglich relativiert werden muss. Im Falle der Leiharbeitsfirma bei der ich mich für das andere Unternehmen beworben hatte, handelt es sich um ein “Am Markt” in Leipzig ansässiges Unternehmen. Dort wurde ich also einbestellt, um so etwas wie eine Vorabbewerbung durchzumachen. Das war schon recht lustig. Ich wurde erst einmal über die glorreiche Geschichte der Leiharbeitsfirma aufgeklärt. So was, wie eine kurze Abhandlung des Zustandekommens dieses Unternehmens. Das war ungefähr so interessant, als würde man einem frischen Farbanstrich beim Trocknen zuschauen, schien aber zum ebenso unvermeidlichen Prozedere zu gehören.

Dann erklärte sie mir, dass der Job, für den ich mich beworben hatte, darin bestünde, im Kundenbeschwerdemanagement für ein großes, renommiertes Firma zu arbeiten. Dabei handelte es sich um ein bedeutendes Unternehmen der Flugbranche, wozu sehr gute Englischkenntnisse Voraussetzung wären. Wie immer keine detaillierteren Angaben. Und dann kam er, der unausweichliche Test. Die freundliche Dame von der Leiharbeitsfirma erklärte mir, dass ich jetzt einige Fragebögen ausfüllen beziehungsweise mich einigen Eignungstests unterziehen müsste. Dafür hätte ich genau eine Stunde Zeit. Es folgten Rechtschreibetests nach dem Motto “wer nämlich mit “h” schreibt ist dämlich”, Textproben auf Englisch und ein Text, den man auf Englisch selbst verfassen musste. Alles nicht allzu schwer und die ganze Sache war in etwa einer halben Stunde erledigt.

Das war es auch erstmal, womit wieder eine andere Eigenheit von Vorstellungsterminen bei Leiharbeitsfirmen zutage trat: Mein Test würde jetzt einer Dame von der besagten Firma vorgelegt. Falls die Bewertung positiv ausfalle, würde ich zu einem nochmaligen Gespräch diesmal mit der Vertreterin der Firma eingeladen, für die ich dann im Falle des Falles arbeiten würde. Dieses Spielchen um drei Ecken ist ein durchaus übliches Prozedere, kostet Zeit, Geld und Nerven. Man muss sich nur einmal in die Situation eines Arbeitssuchenden begeben. So ist es unter anderem heutzutage beileibe nicht mehr üblich, dass man den Anfahrtsweg zum Bewerbungsgespräch bezahlt bekommt. Also erst mal fleißig investieren, ohne zu wissen, ob es sich am Ende lohnt.

Wobei “lohnen” angesichts der wirklich erbärmlichen Durchschnittsgehälter mehr als ein Euphemismus ist. Aber zurück zum “Beschwerdemanagement”. Schon am selben Tag erhielt ich einen Anruf, dass mein Test sehr gut verlaufen und ich zum Vorstellungsgespräch Nummer zwei geladen sei. Am nächsten Tag saß ich wieder in einem Raum der Leiharbeitsfirma, diesmal aber tatsächlich mit einer Vertreterin der Firma, bei der ich im Erfolgsfalle arbeiten sollte. Eine junge, dynamische Vertreterin der Generation “Erfolg” saß mir gegenüber. Akkurat gebundener Pferdeschwanz, akkurat gebundenes Seidentuch Marke “Stewardess”, hellblaue Bluse, dunkle Hose mit rasiermesserscharfen Bügelfalten. Tja, und da saß ich wieder einmal und versuchte, einen guten Eindruck zu machen. Sie sagte mir noch einmal, dass sie sehr zufrieden mit meinem Test war und bombardierte mich mit Fragen, wie sie eben üblich sind bei einem Vorstellungsgespräch.

Teamfähigkeit, Stärken, Schwächen, Umgang mit Kritik, was man von seinem zukünftigen Arbeitnehmer erwarte und last not least die Frage, was ich für ein Einkommen erwarte. Die Frage, an der schon manche aussichtsreiche Bewerbungen gescheitert sind. Also blieb ich bescheiden und sagte was von “so 1300 netto”. Sie schrieb fleißig mit. “Sehr schön, jetzt darf ich Ihnen mal erklären, für wen genau Sie arbeiten würden.” Das war dann wieder eine recht umständliche Geschichte. Mein Arbeitsplatz würde in Leipzig bei einer vor einigen Monaten gegründeten Firma sein. Es handelte sich dabei um eine Firmentochter (also ein “outgesourctes” Unternehmen eines “großen und erfolgreichen” Verlagshauses in Gütersloh), das diese Tochter gegründet hatte. Eine Niederlassung befände sich selbst in Gütersloh und eine sei die bewusste in Leipzig, die am Wachsen sei und für die man noch Mitarbeiter suche. Diese Tochterfirma des großen Unternehmens aus Gütersloh wiederum arbeite im Auftrag einer der renommiertesten deutschen Fluggesellschaften. Man würde sich dann auch während der Arbeit im Namen dieser Fluggesellschaft melden und nicht mit dem Namen der Gütersloher Tochterfirma. All das wurde noch durch den Umstand kompliziert, dass ich ja im Falle der Übernahme gar nicht für das Leipziger Unternehmen arbeiten würde sondern für die Leiharbeitsfirma. Und zwar so lange, bis ich von der Gütersloher Tochter in Festanstellung übernommen würde.

Das sollte so nach einem halben Jahr der Fall sein, sollte ich mich bewähren. Über die Leiharbeitsfirma würden dann auch alle anderen Reglements wie Urlaub, Arbeitszeit, Krankschreibung und so weiter geregelt. Man verabschiedete sich also und für mich war einmal mehr Warten auf eine Antwort gefragt. Die sollte, so versprach man mir, aber sehr bald erfolgen, da man schon mit dem nächsten Ersten des Monats mit der intensiven Schulung der Mitarbeiter beginnen wolle. Tatsächlich erhielt ich schon am ersten Tag den Anruf: Ich könne schon am besagten Ersten anfangen. Dazu müsste ich allerdings noch einmal (!) bei der Leiharbeitsfirma vorbeikommen, um alle arbeitsvertraglichen Dinge zu regeln. Also ein drittes Mal nach Leipzig gewetzt. Dort erfuhr ich, dass ich zwar 40 Stunden arbeiten müsse, aber nur 35 bezahlt bekäme. Und zwar solange, wie ich im Sold der Leiharbeitsfirma sei. Das habe mit der Arbeitnehmerüberlassung zu tun. Keine Arbeit an Wochenende sowie Feiertagen. Urlaub: 24 Tage, der sich bei entsprechender Bertiebszugehörigkeit auf 30 erhöhen würde. Immerhin.

Doch wie immer der Wermutstropfen, wenn es ums liebe Geld geht: Stundenlohn laut Tarif Ost 8,50 Euro brutto. Das mit dem Tarif Ost sei nun mal so geregelt sagte man mir lapidar auf Anfrage. Mich würde eine intensive Einschulung erwarten und ich solle mich am Montag um 9 Uhr am Arbeitsort einfinden. Da wusste ich noch nicht, dass mich zwei denkwürdige Wochen erwarten würden, bei denen ich mich in meine Anfangszeiten auf der Schulbank zurückversetzt fühlen würde. Und in denen ich so lebenswichtige Dinge erfahre, wie zum Beispiel, warum ein Fisch nichts in einem Koffer zu suchen hat.

Fortsetzung folgt …

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