Es ist so ungefähr das letzte Zeugnis für Josef Rahmen, den aus Altersgründen ausgeschiedenen Geschäftsführer, das die Leipziger Stadtholding LVV da am Dienstag, 27. Mai, vorlegte: Hat er einen aufgeräumten Laden hinterlassen? Funktioniert der Umbau zur Holding? Und hat Leipzig eine reelle Chance, aus den Prozessen mit UBS und LBBW mit einem blauen Auge davon zu kommen?

Die Antwort lautet wohl drei Mal “Ja”, auch wenn man im Wirtschaftsleben so ein bisschen das selbe Problem wie die Teilchenphysiker hat: Man beschreibt einen Zustand, der so nicht existiert. Es ist nur ein zufälliger Blick in einen Prozess, in dem sich die Parameter ständig verändern. So ein Jahresabschluss sieht zwar immer aus wie ein genaues Messergebnis. Der Prüfer knallt seinen Stempel drunter. Fertig der Lack.

Gerade die Vorfälle um die Kommunalen Wasserwerke Leipzig (KWL) aber haben deutlich gezeigt, dass jeder Bericht nur Makulatur ist, wenn nicht alles drin steht.

Also kann man so einen Jahresbericht eher mit einem Krankenblatt vergleichen: Puls und Atmung, Blutwerte, Patient hat wieder Appetit. Alles gut.

In diesem Fall noch ein bisschen besser: “Der LVV-Konzern hat sein Betriebsergebnis gegenüber dem Vorjahr verbessert, die Nettoverschuldung abgebaut und wichtige Investitionen getätigt”, fasste es das Unternehmen am Dienstag zusammen.

Das Betriebsergebnis verbesserte sich gegenüber dem Vorjahr um 17,1 Millionen auf 63,3 Millionen Euro. Ohne Berücksichtigung der Erlöse durch Veräußerungen der Stadtwerke-Leipzig-Tochterunternehmen Perdata und HL Komm im Jahr 2012, betont die LVV, denn dieser Wert wurde schon 2012 bei den Stadtwerken eingepreist und tauchte deshalb auch noch in der Konzernbilanz auf.

In den Stadthaushalt der Stadt Leipzig fließt dieser “Überschuss” nicht, denn tatsächlich muss auch die LVV erst einmal daran denken, die Belastungen der Vergangenheit zu senken. Denn auch die LVV hat in der Vergangenheit einen Schuldenberg aufgebaut, der seit 2011 kontinuierlich reduziert wird. Damals waren es noch 649 Millionen Euro, im Folgejahr 576 Millionen. Jetzt konnten noch einmal 15 Millionen getilgt werden, so dass noch 562 Millionen da stehen. Und dabei hat die Holding noch gar nicht angefangen, den bei ihren Töchtern aufgelaufenen Investitionsstau tatsächlich abzubauen.

“Um das zu schaffen, bräuchten wir in den nächsten Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag”, sagt LVV-Geschäftsführer Volkmar Müller. “Da müssten wir das uns von der Landesdirektion gesetzte Schuldenlimit eigentlich überziehen.” Dieses hat die Landesdirektion auf 760 Millionen Euro beziffert. Aber er deutet auch an, dass die Entscheidungen über solche Investitionen erst einmal alle verschoben sind – bis ins vierte Quartal, wenn irgendwann im August oder September endlich das Gerichsurteil aus London vorliegt. Seit April wird dort verhandelt über die Frage, wer für die Zahlungsansprüche aus den von Wasserwerke-Ex-Geschäftsführer Klaus H. eingefädelten CDO-Deals in Höhe von 260 Millionen Euro gerade stehen muss – die Banken, die dem Wasserwerkechef diese faulen Papiere angedreht haben? Oder die Wasserwerke, in deren Namen H. agiert hat?

Die Chancen sahen noch nie so günstig aus, dass Leipzig diesen Prozess gegen die UBS gewinnt, sagt OBM Burkhard Jung, der auch Aufsichtsratsvorsitzender LVV ist. Nach Pfingsten geht der Prozess weiter. Und wenn London für Leipzig entscheidet, sieht er auch die Berufung im Fall Wasserwerke gegen LBBW beste Chancen für die Stadt. Die Wasserwerke waren zwar vorm Leipziger Landgericht unterlegen, haben aber Berufung eingelegt. Darüber soll das Oberlandesgericht in Dresden in den nächsten Tagen entscheiden. Hier geht es noch einmal um 80 Millionen Euro.

Für den Prozess gegen die LBBW haben die Wasserwerke 2013 Rückstellungen in Höhe von 64 Millionen Euro gebildet, die damals das Konzernergebnis ins Minus drückten. “Die haben wir jetzt in die LVV übernommen”, sagt Müller. “Schließlich würde das im Ernstfall auch nur auf die LVV durchschlagen.” Die 64 Millionen sind also buchungstechnisch einfach gewandert – von den Wasserwerken zur LVV.Was für 2013 zu dem seltsamen Effekt führt, dass die Wasserwerke scheinbar einen Supergewinn von 89,3 Millionen Euro ausweisen. Tatsächlich haben sie die besagten 64 Millionen Euro weniger erwirtschaftet. Aber 25 Millionen würden trotzdem nicht da stehen, denn 13 Millionen hat das Unternehmen für die laufenden Prozesskosten zurückgelegt. Eine ähnliche Summe wie auch 2012 schon.

Natürlich haben die Wasserwerke effektiv trotzdem 25 Millionen Euro erwirtschaftet, bestätigen damit die stabile Entwicklung der städtischen Unternehmen. Das werden wir in den nächsten Tagen an dieser Stelle alles noch aufdröseln.

“Wir freuen uns über die Fortsetzung der positiven Entwicklung des Konzerns”, lobte Burkhard Jung seine Manager-Mannschaft, die ja auch noch einen Stadtratsauftrag erfüllen soll: Bis 2015 soll das Konzernergebnis um 10 Prozent verbessert werden. Zusätzlich zu den “normalen” Hausaufgaben: “Einer der wichtigsten Aufträge der Stadt Leipzig ist und bleibt die Finanzierung der Verkehrsleistung. Erneut konnte die LVV die beauftragte ÖPNV-Leistung für die Stadt Leipzig vollständig aus eigener Kraft finanzieren. Das war nicht immer so. Gerade in Zeiten sich drastisch verändernder Rahmenbedingungen bedeutet dies eine beachtliche Leistung. Der eingeschlagene Kurs zur Stärkung der Finanzierungs- und Investitionsfähigkeit des LVV-Konzerns hat sich als richtig erwiesen und muss kontinuierlich fortgeführt werden.”

Dass die LVV die Co-Finanzierung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) leichter hinbekommt, hat natürlich zwei Gründe: Das eine ist die Verbesserung der Einnahmesituation. Das andere ist die Tatsache, dass die Summe für die LVB-Finanzierung im Lauf der vergangenen Jahre von über 60 Millionen Euro deutlich auf 45 Millionen gedrückt wurde. Das hat im letzten Jahr deutlich mehr Spielräume bei Investitionen verschafft. Die Leipziger können es ja sehen bei den Straßengroßbauprojekten, wo auch jedes Mal Abwasser, Trinkwasser und Straßenbahntrassen saniert oder neu gebaut werden. Das Technische Zentrum Heiterblick ist derzeit der größte Investitionsbrocken der LVB. Auch wenn es zwischenzeitlich wieder mal richtig Ärger gab, weil der Freistaat Sachsen die zugesagten hohen Fördersätze nicht eingehalten hat. Da solche Projekte aber zumeist längst beauftragt sind, wenn endlich der Förderbescheid aus Dresden kommt, müssen dann die Akteure vor Ort – LVV und LVB – das Geld irgendwo anders her holen und das entstandene Loch stopfen.

Was mit Ach und Krach gelungen ist.

“Die LVV ist auf dem richtigen Weg”, meint Dr. Norbert Menke, Sprecher der LVV-Geschäftsführung. “Trotz des Damoklesschwertes KWL-Prozesse haben wir wichtige Schlüsselprojekte in Sachen ÖPNV, Wasser und Energie angepackt. Und wir setzen den Neuausrichtungskurs konsequent fort. Nicht nur in der Wirkung nach außen, sondern auch innerhalb des Konzerns gilt: Die LVV und ihre Beteiligungsunternehmen sind stärker zusammengewachsen.”

Da ist der Hinweis auf den Umbau-Prozess zur Konzern-Holding, der seit zwei Jahren läuft, der vom Stadtrat beauftragt wurde und der im Jahr 2015 einen Einspareffekt von 10 Millionen Euro im Stadtkonzern bringen soll. Da sei man auf einem sehr guten Weg, sagt Menke. Zentrale Aufgaben habe man mittlerweile in der Konzernspitze gebündelt. Und noch nie hätten die Mitarbeiter der drei Tochterunternehmen so gut miteinander gearbeitet.

Und das Steuern scheint auch unterjährig zu funktionieren.

“Unsere Tochterunternehmen haben im Geschäftsjahr 2013 alle sehr gute operative Ergebnisse erzielt”, bilanziert Volkmar Müller, kaufmännischer Geschäftsführer der LVV. “Die KWL haben ihre Umsatzerlöse gesteigert und ein Kanalsanierungsprogramm gestartet. Die LVB erreichten einen Fahrgastrekord und haben ihr Kostenoptimierungsprogramm ‘Fokus 25’ vorangetrieben. Die Stadtwerke Leipzig haben ein hervorragendes Ergebnis über Plan erzielt, den Bau einer Wärmespeicher-Anlage vorbereitet und einen wichtigen Fernwärmeliefervertrag mit Vattenfall abgeschlossen.”

Wobei “Fokus 25” nicht nur ein Kostenoptimierungsprogramm ist, sondern auch ein verkehrspolitischer Auftrag: Den Anteil an den Verkehrswegen der Leipziger von 18,8 Prozent (2008) auf über 20 Prozent zu steigern, 22 Prozent oder gar 25 Prozent. Aber das stößt an seine Grenzen, wenn die LVB nicht deutlich in neue Gleise und neue Bahnen investieren. Die Beispielrechnung machte Burkhard Jung gleich selber auf: 40 alte Tatra-Wagenzüge müssen ersetzt werden. Kostenpunkt für eine moderne Niederflurbahn: zwischen 3 bis 4 Millionen Euro. “Ohne Fördergelder geht da gar nichts”, sagte Jung.

Das wäre dann eine Summe, die dann auf das, was sowieso schon in Infrastrukturen bei SWL, KWL und LVB jedes Jahr investiert wird (und werden muss), noch obendrauf käme. Die Investitionen in die Infrastruktur der Daseinsvorsoge wurden von 145 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 161 Millionen Euro gesteigert. Vieles von dem, was in Leipzig derzeit den Verkehr durcheinander wirbelt, sind echte Nachholinvestitionen.

Burkhard Jung hofft ganz unüberhörbar auf den Herbst, wenn endlich ein positives Urteil für Leipzig aus London vorliegt: “Wenn dieses Damoklesschwert erledigt ist, sind wir natürlich wesentlich freier in unseren Entscheidungen.”

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar