Yasmina Rezas Salonstück „Der Gott des Gemetzels“ ist binnen einer Dekade zum Kultstück avanciert. Allein im deutschsprachigen Raum sind seit der Zürcher Uraufführung 2006 über 100 Produktionen verzeichnet. Der Leipziger Schauspielintendant Enrico Lübbe hat sich in dieser Spielzeit zum zweiten Mal in seiner Theaterkarriere des Stoffs angenommen. Das Resultat ist ganz großes Theater.

Gesten sagen manchmal mehr als Worte. Wenn Anne Cathrin Buhtz nach 75 Minuten den Strauß weißer Tulpen wutentbrannt auf dem Bühnenboden zerstört, der bis dahin den kleinen Tisch in der Mitte des gutbürgerlichen Wohnzimmers geziert hat, bietet sich dem Zuschauer ein Anblick des Grauens.

„Der Gott des Gemetzels“ behandelt den Streit zweier Ehepaare der französischen Mittelschicht. Ferdinand, elfjähriger Sohn der Reilles, hat dem gleichaltrigen Bruno Houllie im Streit zwei Zähne verletzt. Die Elternpaare möchten bei Kaffee und Espresso Frieden schließen. Was mit einer schnellen Einigung und Smalltalk beginnt, ufert rasch zu einer verbalen Katastrophe aus.

Je länger sich Véronique (Bettina Schmidt) und Michel (Michael Pempelforth) auf der einen und Annette (Anne Cathrin Buhtz) und Alain (Dirk Lange) auf der anderen Seite unterhalten, desto stärker treten unter ihren gutbürgerlichen Fassaden zwei konträre Lebensentwürfe zutage.

Familienmensch Michel verdient sich sein Geld mit dem Handel von Eisenwaren. Alain ist ein vielbeschäftiger Wirtschaftsanwalt, dessen Familie hinter der Karriere zurückzustehen hat. Sachbuchautorin Véronique hat ein Herz für die Krisengebiete des afrikanischen Kontinents, während Annette das Heimchen am Herd gibt.

Die Lage beginnt zu eskalieren, als sich herausstellt, dass Alain einen Pharmakonzern vertritt, der ein gefährliches Medikament auf den Markt gebracht hat, das zufällig Michels Mutter einnimmt. Annette übergibt sich in einem Anflug von Übelkeit auf einen wertvollen Bildband Véroniques. Alain lässt durch permanentes Telefonieren sein Desinteresse an dem Gesprächsanlass erkennen. Als Michel beginnt, Rum auszuschenken, gerät die Situation völlig aus den Fugen.

Enrico Lübbe hat den verbalen Kleinkrieg in einem Wohnzimmer inszeniert, wie man es sicher irgendwo einem Leipziger Altbau vorfinden könnte. Eine Designercouch, zwei Rattansessel, ein kleiner Tisch, ein paar Bücher. Im Hintergrund afrikanischer Wandschmuck und Antiquitäten (Bühne: Etienne Pluss). Dass die zahlreichen verbalen Gags zünden, ist der Verdienst eines hervorragend besetzten Schauspielerquartetts, aus dem Bettina Schmidt und Michael Pempelforth besonders herausragen.

Pempelforth gelingt es, den Anwesenden – ohne dabei mit der Wimper zu zucken – staubtrocken die Tötung des Hamsters seiner Tochter in einer Weise zu schildern, als habe er kein Lebewesen, sondern eine leere Zigarettenschachtel entsorgt. Schmidt begeistert, wenn sie nach einem grandios gespielten hysterischen Anfall in der Schlussszene am Telefon der Neunjährigen mit aufgesetzter Mitleidspose berichtet, ihr Vater habe die ganze Straße nach dem Tier abgesucht.

„Ich glaube an den Gott des Gemetzels“, sagt Alain. „Das ist der einzige Gott, den es seit Anbeginn gibt.“ Er hat Recht.

Schauspiel Leipzig
Der Gott des Gemetzels
Yasmina Reza

Nächste Termine: 29.01., 11.02., 26.02.

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