Nimmt man den geografischen Mittelpunkt Sachsens, könnte man das Örtchen Colmnitz (Klingenberg), gelegen im Osterzgebirge/Sächsische Schweiz, das Herz des Freistaates nennen. Allerdings wohl auch nur in geografischer Hinsicht. Anlässlich der mehrtägigen Feierlichkeiten zur Ersterwähnung der Gemeinde im Jahr 1346 fanden sich beim Festumzug am 29. Mai gegen 13 Uhr auch die Wehrmacht und das Hakenkreuz wieder ein. Eingeladen zum „Schul- und Heimatfest“ hatte der Heimatverein Colmnitz e.V..

Nun ist es Aufgabe eines Heimatvereines, sich mit der Geschichte des Ortes zu befassen, sie darzustellen und hier und da vielleicht auch mal zu hinterfragen. Dies sieht man auch im beschaulichen Colmnitz in der Nachbarschaft der jüngst berühmt gewordenen Stadt Freital ebenfalls so.

Wehrmachtssanitäter mit Hakenkreuz. Foto: Marcus Fischer
Foto: Marcus Fischer

So schreibt der 22-köpfige Heimatverein, welcher gemeinsam mit den Colmnitzern das „Schul- und Heimatfest 2016“ und den sonntäglichen Festumzug vorbereitete, über die Ziele der Pflege: „Weiterhin verfolgt unser Verein das Ziel Heimatpflege, Heimatkunde und Heimatgeschichte sowie das heimatliche Brauchtum zu fördern und zu pflegen. Dabei wollen wir Überliefertes und Neues sinnvoll vereinen, pflegen und weiterentwickeln, damit die Kenntnis, die Verbundenheit und die Verantwortung für unsere Heimat in der Bevölkerung auf allen dafür in Betracht kommenden Gebieten geweckt, erhalten und gefördert werden.“

Vielleicht haben die heimatliebenden Colmnitzer auch nur vergessen, wer 1909 in ihrem Städtchen geboren wurde – der Festumzug unter Beteiligung der „Wehrmachtssanitäter“ und Einsatzfahrzeuge war jedenfalls nach Informationen des Fotografen ein schönes Ereignis für die Umstehenden. Irritiert zeigte sich – soweit vor Ort nachvollziehbar – erst einmal quasi niemand über den merkwürdigen Aufzug. Auch nicht darüber, dass gegen bestehende Verbote das Hakenkreuz öffentlich präsentiert wurde.

Ob dabei irgendwer auch an die bekannteste Persönlichkeit des Ortes gedacht hat, ist unklar. Der Colmnitzer Sachse Horst Böhme (1945 gest.), war in der Nazizeit einer von gerade einmal 276 in diesen hohen Rang gelangten SS-Oberführern. Unter anderem so auch Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Prag und bereits zuvor 1935 im Hauptamt des Nachrichtendienstes der SS in Berlin tätig, wo er als einer der engsten Mitarbeiter des SS-Nachrichtendienst-Chefs Reinhard Heydrich galt. Wikipedia vermerkt Böhme als die einzige bekannte Persönlichkeit des Ortes Colmnitz, kein Wunder angesichts seiner steilen Karriere im dritten Reich.

Im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ hatte er in seiner Prager Zeit immerhin nahezu uneingeschränkte Befehlsgewalt, plante Deportationen von Juden und beteiligte sich eifrig an den Vorbereitungen und Durchführungen unzähliger Säuberungs- und Erschießungskommandos. In der Nachkriegszeit stand er einige Jahre lang als Kriegsverbrecher auf der internationalen Fahndungsliste, man nahm jedoch an, dass er bei Kampfhandlungen bei Königsberg gefallen ist oder sich selbst getötet hat.

Beim "Schul- und Heimatfest" ein bisschen Waffen spazieren fahren. Foto: Marcus Fischer
Beim „Schul- und Heimatfest“ ein bisschen Waffen spazieren fahren. Foto: Marcus Fischer

Also: Schwamm drüber. So geht sächsische Heimatliebe. Ein bisschen Waffen spazieren fahren, Hakenkreuze zeigen und augenzwinkernd an die Nazi-Zeit erinnern. Halt „Überliefertes und Neues sinnvoll vereinen, pflegen und weiterentwickeln.“

Zum Einstieg: Horst Böhme bei Wikipedia

In eigener Sache

Jetzt bis 9. Juni (23:59 Uhr) für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.

Ãœberzeugt? Dann hier lang zu einem Abo …

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Wie bekloppt kann überhaupt sein, freiwillig eine Uniform anzuziehen, egal ob Kaisers, Wehrmacht, NVA oder Bundeswehr. Wer es aus Not macht, um einen Job zu haben – naja… Aber beim Heimatfest?
Und wer meint, es ginge um Geschichte, der muss auch die Russen darstellen, die sich hier reichlich 40 Jahre aufhielten.

Schreiben Sie einen Kommentar