Es ist nicht das einzige Thema, bei dem Leipzig um Jahre hinterher hinkt. Zu lange war die Stadt auf die Konsolidierung des eigenen Haushalts fixiert und hat ganze Berge wichtiger Zukunftsinvestitionen immer weiter vor sich her geschoben. Nicht nur beim Bau von Kindertagesstätten und Schulen, auch bei der - dezentralen Unterbringung - von Asylsuchenden in der Stadt. Die Massenunterkunft in der Torgauer Straße sollte längst Geschichte sein. Doch nun erlebt sie eine ungeliebte Wiederauferstehung.

Im vergangenen Jahr beschloss die Verwaltung, die Massenunterkunft in der Torgauer Straße 260 zu sanieren und kurzfristig wieder zur Aufnahme von Asylsuchenden zu ertüchtigen. Auch weil der Versuch, binnen kurzer Zeit dezentrale Unterkünfte im ganzen Stadtgebiet zu schaffen, an seine Grenzen stieß.

Das könne aber kein Grund sein, das Thema dezentrale Unterkunft jetzt ganz einschlafen zu lassen, finden die Leipziger Grünen und fordern die Stadt Leipzig auf, die dezentrale Unterbringung für Flüchtlinge weiter fortzuentwickeln. Christin Melcher, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Leipzig dazu: “Es kommen mehr Flüchtlinge, die unsere Hilfe brauchen, dies ist aber kein Grund hinter den selbstgesteckten Standards der menschenwürdigen, integrativen und dezentralen Unterbringung zurückzufallen.”

Die Torgauer Straße soll nun nach dem Willen der Stadtverwaltung grundlegend saniert und damit auf unabsehbare Zeit als Massenunterkunft erhalten bleiben. Bis 2016 sollen die drei Häuser für die Unterbringung von 500 Menschen ausgebaut werden. Für Bündnis 90/Die Grünen stellt dies einen klaren Bruch mit dem 2012 verabschiedeten Konzept einer möglichst dezentralen Unterbringung Asylsuchender in Wohnungen und kleinen Gemeinschaftsunterkünften dar.

“Die Problematik um die Torgauer Straße ist keineswegs neu – sie gilt als schlechteste Unterkunft sachsenweit. Seit Jahren ist der menschenunwürdige Zustand der Unterbringung bekannt, ohne dass sich an der Situation großartig etwas ändert. Dementsprechend wäre es die Pflicht der Stadt gewesen, sich rechtzeitig um geeignete Alternativen zu kümmern, vor allem mit dem Wissen, dass die Zahl der Asylsuchenden in Leipzig ansteigt”, meint Carolin Waegner, Sprecherin des Arbeitskreises Demokratie und Zivilcourage der Grünen in Leipzig.

Vorstandssprecherin Christin Melcher ergänzt dazu: “Alternativlos ist die Torgauer Straße nicht. Im Sinne der Flüchtlinge in Leipzig muss die Stadt weiterhin an dem Konzept der dezentralen Unterbringung festhalten und nicht aus pragmatischen Gründen auf eine menschenwürdige Unterkunft verzichten. Insbesondere müssen Anträge Asylsuchender auf eigenen Wohnraum schneller bearbeitet und Verhandlungen mit Wohnungsbauunternehmen und -gesellschaften für die Anmietung von Kontingentwohnungen geführt werden. Wir dürfen Flüchtlinge nicht abschotten und in Massenunterkünften wie Vieh unterbringen, dies schürt Ressentiments und rassistischen Protest.”

Für die in Leipzig lebenden Flüchtlinge sei es dringend erforderlich, nicht am Rande der Gesellschaft in abgeschlossenen Unterkünften zu leben, sondern die Möglichkeit zu bekommen, sich in die Stadtgesellschaft zu integrieren und einleben zu können. In Großunterkünften im Gewerbegebiet mit mehreren hundert Flüchtlingen ist dies nach Auffassung der Grünen nicht möglich.

Die Vorlage zur Torgauer Straße soll in der nächsten Woche im Stadtrat beschlossen werden. Aber es könnte sein, dass dieser Beschlusspunkt verschoben werden muss. Diesmal ist es nicht der Wirtschaftsausschuss, der zuvor nicht einbezogen war, sondern der Migrantenbeirat.

Am Freitag, 9. Januar, tagte der Migrantenbeirat zwar, aber über die Vorlage konnte nicht beraten werden, weil diese trotz mehrfacher Bitte dem Beirat nicht zur Kenntnis gegeben wurde.

“Das ist an Intransparenz nicht zu überbieten. Der Migrantenbeirat muss beteiligt werden”, fordert Christin Melcher.

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