Das Bedürfnis war da. Schon lange vor 2005, als das erste Leipziger Stadtlexikon bei Pro Leipzig erschien. Immerhin war ja Leipzig seit Zedler, Brockhaus und Meyer die deutsche Lexikon-Stadt per se. Nur ein eigenes Stadtlexikon gab es noch nicht. Bis der Geografielehrer Horst Riedel anklopfte - ein Mann mit einem Faible für unser Klein-Paris.

Seit über 30 Jahren hatte er – aus Zeitungen, Magazinen und Büchern – alles gesammelt, was es an Wissenswertem zu Leipzig zu erfahren gab. Er hatte alles in dicken Aktenordnern abgeheftet und damit eigentlich das Material, um irgendwie ein dickes Buch draus zu machen. Eines, in dem das Wichtigste zu seiner Wahlheimatstadt Leipzig leicht und griffig zu finden wäre. Ein Stadtlexikon also, wie es Leipzig bis dahin nicht besaß. Auch 2005 war das eine gewagte Idee. Das Nachschlagewerk wurde zwangsläufig ein dickes Buch von lexikalischen Dimensionen, sprengte die üblichen Formate und wurde auch nicht ganz billig. Wenn auch der Preis für echte Leipzig-Freunde erschwinglich war, die dann auch – durch fleißige Vorbestellung – die Grundfinanzierung des Druckwerks absicherten.

Trotzdem findet es Thomas Nabert, Geschäftsführer des Pro Leipzig e.V., bis heute sehr wagemutig, wie Pro Leipzig damals gleich mit der ersten Auflage 5.000 Exemplare auf den Markt warf. Für ein Lexikon mit derart regionalem Bezug ein mutiger Schritt. Und die Überraschung: Die Auflage war binnen weniger Wochen vergriffen. Es folgte gleich noch eine Nachauflage von 1.500 Stück. Und es soll da und dort auch noch Einzelexemplare zu kaufen geben.

Doch Horst Riedel, der mittlerweile immerhin stolze 78 ist, hat keineswegs stillgesessen und gewartet, wie die Zeit vergeht. Ein richtiges Hobby lässt man nicht einfach los. So ungefähr einmal im Monat schneite er in den Geschäftsräumen des Pro Leipzig e.V. in der Waldstraße vorbei, heftete neue Blätter in die Sammelordner, ersetzte andere. Parallel dazu wurden die veränderten Abschnitte im Computer geändert.Ein Lexikon macht, wenn man es erst einmal hat, auch weiterhin Arbeit. Eine Stadt erstarrt ja nicht auf einmal in Ehrfurcht vor der eigenen 1.000jährigen Geschichte. Firmen, die eben noch den Ton im Wirtschaftskonzert mit angaben, verschwinden von der Bildfläche, Personen, die eben noch allerwichtigste Ämter bekleideten, verschwinden in der Versenkung, andere bringen sich in Erinnerung, neue Bauprojekte werden vollendet, neue Forschungen erhellen Teile der Geschichte.

Rund 80 der 690 Seiten im Lexikon haben sich in den letzten sieben Jahren völlig verändert, 90 neue Begriffe haben sich zwischen die anderen gedrängt – vom Deutschen Biomasseforschungszentrum bis zum DHL Frachtkreuz. 2.500 Stichworte enthält jetzt die zweite, völlig überarbeitete Auflage des Stadtlexikons, das in der ersten Auflage in 2.000 Exemplaren gedruckt wurde und am 4. Oktober in der LVZ-Kuppelhalle erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Grund für den Ort der Vorstellung ist simpel: Die LVZ hat Pro Leipzig bei der Gewinnung von Subskribenten geholfen. Denn auch bei diesem Projekt musste erst eine belastbare Zahl von Vorbestellungen gesichert sein, um die Auflage finanzieren zu können. Und rund 900 Interessenten haben sich schon vorgemerkt für die 2. Auflage. Es sieht ganz so aus, dass das Stadtlexikon zu einer richtigen Serie auswächst – wie früher die Adressbücher – mit regelmäßig aktualisierten Neuauflagen.

Jedes Mal gibt es natürlich die Abwägung: Ist das Stichwort noch wichtig, hat die Persönlichkeit wirklich eine wesentliche Rolle für die Stadt gespielt? Oder hat man sich da von der eigenen zeitlichen Betroffenheit ein Bild gemacht, das nicht über die Zeit trägt? Wenn Pro Leipzig auch in den nächsten Jahren die regelmäßige Aktualisierung gelingen sollte, wird das Lexikon selbst wieder zu einer Fundgrube, wird es ein Bild abgeben vom Dahinrasen der Zeit, flüchtigen Euphorien, die eben noch die ganze Bevölkerung erfassten und dann auf einmal aushauchten, als hätten sie nie Substanz gehabt. Keine Bange: Die Olympiabewerbung ist drin. Oder besser: Leipzigs Olympiabewerbungen. Hübsch verpackt zwischen Johannes Olearius und Omnibusverkehr.

Muss man Olearius kennen? – Gute Frage. Der Mann war nicht nur Theologe, Domherr und mehrfach Rektor der Universität Leipzig. Er war auch von 1699 bis 1713 Kommissar der Kursächsischen Bücherkommission und damit oberster Zensor, einer, der in der Zwickmühle steckte, weil ihn die orthodoxeren Mitmenschen einer Begünstigung der Pietisten verdächtigten. Und Omnibusse fahren ja bis heute in Leipzig. Der erste rollte 1860 als Pferdeomnibus von Plagwitz nach Leipzig und weiter nach Reudnitz. Ein Foto von 1913 ist daneben zu sehen, das einen Doppelstock-Kraftomnibus vor dem Hauptbahnhof zeigt. Zielangabe: “Ausstellung”. “Ausstellung” – das war 1913 die Internationale Baufach-Ausstellung (IBA). Kann man natürlich blättern und findet sie auch – zwischen Institutum Judaicum und Internationale Buchkunst-Ausstellungen.
Ob wirklich alles drin ist, was an Leipzig wichtig ist zu wissen, darüber streiten sich selbst die Fachleute. Das wird man wohl auch nie klären. Lexika sind Produkte, die sich permanent wandeln. Viele Experten, so Nabert, haben sich nach Erscheinen der 1. Auflage auch ausführlich zu Wort gemeldet, Kritik angemeldet und Änderungen vorgeschlagen. Davon ist Vieles eingeflossen. Nur Leipzig ist nicht drin. Man findet das Stichwort “Libzi”, wo Horst Riedel die alte Mär vom “Lindenort” aufwärmt.

Man ist ja gespannt, was bei den Forschungen zur geplanten dreibändigen Stadtgeschichte zu Tage kommt. Ob sich einige tradierte Erzählweisen zur Leipziger Stadtgeschichte ändern. Denn Vieles von dem, was die Leipziger zur frühen Geschichte ihrer Stadt zu wissen glauben, ist nur abgeschrieben, umgedeutet, gut erfunden.

Vielleicht werden es auch gar nicht die hochwissenschaftlichen Bände aus dem universitären Autorenkollektiv sein, die die Leser mit neuen Erkenntnissen bereichern. Es ist eigentlich sogar fest damit zu rechnen, dass viele kleine und größere Publikationen aus den Leipziger Verlagen das 1.000jährige Jubiläum der Ersterwähnung durch Thietmar von Merseburg 1015 begleiten werden. Kongresse, Tagungen, mehr private Einzelforschungen, von denen etliche schon in die Publikationen des Leipziger Geschichtsvereins eingeflossen sind. Und nach und nach werden sie auch wieder ins Stadtlexikon sickern. Wünsche wird es immer geben. Und die Hinweise, die bei Pro Leipzig eintrudeln, werden auch alle gesammelt.

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Stadtlexikon Leipzig von A bis Z
Horst Riede, Verlag Pro Leipzig 2012, 39,00 Euro

Und jeder wird was finden, was ihm neu sein wird. Das gehört dazu. Und wenn er’s gefunden hat, kann er ja loslaufen und gucken, ob’s auch in der Wirklichkeit noch da ist. Der Dianentempel im Park von Lützschena etwa oder der Grönländer am Grönländer. Oder das Dr.-Heine-Denkmal.

Die Neuauflage des “Stadtlexikon Leipzig von A bis Z” ist zum Subskriptionspreis von 33 Euro zu haben, ab 1. November 2012 gilt der Buchhandelspreis von 39 Euro.

www.proleipzig.eu

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