Typografie ist eine große alte Kunst in Deutschland. Über 500 Jahre alt. Sie macht Bücher zu Kunstwerken, selbst wenn der Leser nur das Gefühl hat, ein gut gemachtes Buch in der Hand zu halten. Und die Typografie ist auch in Zeiten der digitalen Medien noch lebendig. Denn auch auf Bildschirmen gelten ihre Maßstäbe. Und es gibt Orte im Land, wo Typografie Teil einer lebendigen Verlagslandschaft ist. Auch Leipzig gehört noch dazu. Trotz alledem.

Auch wenn das mehrköpfige Redaktionsteam dieses Magazins seine Reihe mit den heute wichtigsten deutschen Verlagsstädten begann: München, Düsseldorf und Berlin. Denn wo die großen Verlage ansässig sind, findet man auch die typografischen Dienstleister, die Ausbildungs- und Werkstätten. Verlagslandschaften sind Cluster. Schon von Natur aus. Sie brauchen ausgebildete Drucker und Layouter, Papierexperten, Buchbinder, Illustratoren – und Atmosphäre. Die großen deutschen Verlagsstädte sind allesamt Städte mit diesem besonderen Flair, das sich aufs engste mit Kunst- und Medienschaffenden verbindet. Die Expeditionen lohnen sich also.

Und dass Leipzig schon als Nr. 4 in die Reihe aufgenommen wurde, hat natürlich damit zu tun, dass hier die gewachsene Landschaft der Buchkunst nach wie vor zu finden ist. Trotz des Verlustes des “Leipziger Platzes”, den Manche unter “Buchstadt” begreifen. Doch weil sie damit in der Regel nur die Namen großer alter Verlage meinen, sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht.Sehen auch nicht, was die Autorinnen dieses Magazins in Leipzig alles gefunden haben – ohne groß zu suchen. Es ist ja alles sichtbar. Und es ergibt schon bei einem kurzen Besuch ein erstaunlich komplexes Bild einer Stadt, in der die Liebe zum Buch, zum Büchermachen, zum Drucken und Gestalten so lebendig ist wie zu Oesers, Breitkopfs und Teubners Zeiten. Unter anderem auch, weil die Ausbildung für alles, was man zum Büchermachen braucht, ebenfalls noch da ist – Leipzig bildet für die ganze Republik aus.

Das beginnt bei den “Technikern”, die im Studiengang Buch- und Medienproduktion an der HTWK ausgebildet werden, umfasst die Druckwerkstatt der Hochschule für Grafik und Buchkunst und eigentlich auch die komplette Grafikausbildung dort, für die stellvertretend Yvonne Kuschel ins Magazin gerutscht ist, gleich als Aufmacher mit dem von ihr gestalteten “Beschissatlas” (Autorin: Ute Scheub, Typografie: Hans-Jörg Pochmann).

Ein für Leipzig eigentlich typisches Buch (bis hin zur Druckerei, der Offizin Andersen Nexö – man merkt so im Kleingedruckten auch, dass Manches in diesem Magazin gar keinen Platz fand, die heutigen Druckereien zum Beispiel).

Die Expeditionsteilnehmer fanden einen der heutigen agilen Verlage der Stadt, den fhl Verlag, der mit Krimis überregional längst von sich Reden macht. Sie konnten die Buchkinder nicht übersehen, die mit ihrem kreativen Bildungsansatz seit über zehn Jahren auch international für Furore sorgen. Sie fanden das Museum für Druckkunst, suchten die Reste des Grafischen Viertels, fanden das Buch- und Schriftmuseum, die Buchmesse und – ein echtes Leipziger Kleinod: das Zentrum für Bucherhaltung (dafür verpassten sie die Deutsche Zentralbücherei für Blinde), sie fanden die Gelddruckerei von Giesecke & Devrient und die Grafikdruckwerkstatt im Werk II. Auch die “Löffelfamilie” ließen sie leuchten und machen auch in einer doppelseitigen Fotostrecke deutlich, wieviel Schriftdesign eigentlich im öffentlichen Raum in Leipzig zu sehen ist. Gutes und schlechtes.Auch die großen Namen der Leipziger Typografie-Geschichte werden erwähnt. Mit Jan Tschichold hatte Leipzig ja einst den Heiligen der modernen deutschen Typografie in seinen Mauern. Sein Nachlass ist in der Deutschen Nationalbibliothek aufbewahrt – und die Autorinnen des Beitrags wären nur gar zu gern da geblieben, um in den Kartons zu stöbern. Typografie kann faszinierend sein.

Das Magazin selbst ist ein typografisches Kunstwerk – zum Teil eigenwillig gesetzt, auf exzellentem Papier gedruckt. Auch wenn die Farbwahl verstört. Denn die Magazin-Gestalter haben sich unbedingt in den Kopf gesetzt, die Leipziger Stadtfarben zur Grundlage zu machen: blau und gelb. Im Heft eher hellblau und orange.

Wobei die beiden Farben ja auf die Zeit zurückgehen, als Leipzig zur Mark Landsberg gehörte. Das war im 13. Jahrhundert. Die Farben befinden sich noch heute im Leipziger Wappen mit blauen Pfählen auf goldenem Grund. Wobei ein ganz besonderer Spaß der Geschichte wohl ist, dass Chemnitz und Dresden, die beide nie zur Mark Landsberg gehörten, diesen Teil aus dem Leipziger Wappen kopierten. Die Dresdener färbten die blauen Pfähle dann auch noch schwarz ein, was das heutige Schwarz-Gelb der Landeshauptstadt ergibt.

Die orangenen Buchstaben, die als “Leipzig 4” übers Cover kullern, erinnern dann freilich weniger an die Kunst eines Jan Tschichold als an die Typografie der DDR-Zeit, die im Band ebenfalls präsent ist mit einem Beitrag über das “Interdruck-Palais”, bis 1990 Sitz des Druckerei-Kombinates Interdruck, in dem auch die Massenauflagen der Modezeitschriften für die DDR hergestellt wurden. Jetzt werden Wohnungen draus, die das Grafische Viertel weiter zu einem der etwas teureren Wohnviertel Leipzigs aufwerten.

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Typotopografie 4: Leipzig
August Dreesbach Verlag 2013, 14,80 Euro

Aber das Magazin macht auch recht deutlich, wie viel von der alten Druck- und Buchstadt Leipzig für interessierte Besucher sichtbar und erlebbar ist. Echte Entdeckertouren zeichnen sich da ab für alle, die den Geruch von Druckerschwärze und Leim lieben – die Schönheit gut gemachter Bücher und Schriftzüge sowieso.

Ein Stadtführer für Lehrlinge und Verehrer der Schwarzen Kunst. Nur der Stadtplan, der gleichzeitig das Inhaltsverzeichnis ist, ist für Leipzig-Neulinge keine Orientierung. Die Adressen der heimgesuchten Orte findet man ganz klein bei den Texten. Ein kleines elektronisches Gerät mit integriertem Stadtplan ist also empfehlenswert für alle, die mit dem Heft unterm Arm auf Erkundungstour gehen wollen.

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