Früher lag das dicke Buch bei fast allen auf dem Nachtschränkchen oder auf dem Buffet in der guten Stube. Die Bibel ist auch deshalb das meistverkaufte Buch auf Erden, weil ihr Inhalt zum Festkreis des Jahres gehört. Und weil das Christentum eine Schriftreligion ist. Es definiert sich über das Lesen. Deswegen ist der Kanon so wichtig - das, was als gemeinsames Erzähl- und Glaubensgut gilt. Eigentlich also kein Problem, das dicke Ding zu verstehen.

Auch wenn es nicht verstanden werden muss. Für viele kluge Menschen ist es reine Literatur. Und Vieles darin gehört zu den Kostbarkeiten der Weltliteratur. Was selbst Leute wissen, die sich nie in eine Kirche trauen würden. Die Geschichten bilden eine eigene Erzählwelt, die ihre Faszination nicht einbüßt. Angefangen mit Adam, Eva und dieser verflixten Schlange im Paradies über Noah und seine herrliche Arche bis hin zur Kreuzung und Auferstehung Jesu. Jeder hat davon schon einmal gehört. Die Symbolkraft der Geschichten wirkt weit über die christlichen Gemeinden hinaus.

Aber auch Christen lesen selten das ganze Buch. Manche kommen schon im Buchladen ins Grübeln: Welche Bibel nimmt man den nun? Die Studienbibel oder die Einheitsübersetzung? Oder doch lieber die Lutherbibel mit ihrem saftigen Deutsch? Mit Apokryphen oder ohne? Oder die Apokryphen extra? Oder doch lieber eine mit Erläuterungen?
Man merkt schnell, dass man es mit einer kleinen Bibliothek zu tun hat, bestehend aus mehreren Büchern. Was dann das Grübeln im Laden noch schwerer macht. Man kann ja auch das Alte und das Neue Testament in diversen bibliophilen Extraausgaben kaufen, vielleicht gar illustriert. Die berühmte von Gustave Doré illustrierte Bibel ist ja mittlerweile eine Legende. Zeigt aber auch, dass man das dicke Buch der Bücher auch wie ein gutes Stück Belletristik lesen kann. Gerade im Alten Testament geht es ja auch noch episch zu, begleitet man das Volk Israel durch die Wüste, sieht es mit Schwert und grimmem Ernst im Land, wo Milch und Honig fließen, ankommen. Erfährt aber auch vom Bau des Tempels, den großen legendären Königen David (ja, der, der den Goliath erschlug) und Salomon. Man erfährt von Aufstieg und Verlust des Landes, der Babylonischen Gefangenschaft und natürlich von Moses auf dem Berg, wie er die Gesetze empfing.

Lesen kann man das alles immer mit doppelter Brille, denn die Lebensgeschichte von Jesus Christus bezieht sich immer wieder auf wesentliche Stellen im Alten Testament. Andreas Martin bleibt in seiner Erklärung, wie man mit dem dicken Buch umgeht, nicht nur bei der richtigen Flugweise – ein kleiner Kunstgriff, um, den Leser sozusagen zum Mitfliegen zu animieren. Er erzählt auch ein bisschen was zur Entstehung (und warum es eigentlich eben mehrere Bücher sind), zur engen Verbindung zum Judentum und den daraus folgenden Fehlinterpretationen, die auch schon mit fehlerhaftem Lesen der jüdischen Schriftzeichen zu tun haben.

Auch das gibt es: Leute, die sich ihr Teil aus dem Ganzen zusammenlesen. Martin zeigt natürlich auch, wie im modernen Gottesdienst mit den uralten Texten umgegangen wird, wie Geschichten auch als Gleichnisse zu lesen sind für das, was Menschen heute passiert. Und manche Gleichnisse sind so einprägsam, dass auch heute jeder gleich weiß, worum es im Kern geht – man denke nur an den armen Hiob. Für alle, die die Liebeslieder Salomos immer als die schönste Früchte jüdischer Liebeslyrik gelesen hat, gibt es von Martin den Tipp, die Texte auch mal als Lobpreis Gottes und seiner schönen Welt zu lesen.

Schade, dass er an dieser Stelle Heinrich Heine nicht erwähnt. Der hat es genau andersherum gesehen und war dem lieben Gott in der Höh zutiefst dankbar für die schönen Geschöpfe, der er uns da hienieden geschaffen hat. Mark Twain übrigens auch. Schweifen wir ab? – Ganz bestimmt nicht. Denn Twain war bekanntlich einer, der seine Olivia erst bekam , als er ihr versprach, ein ganz braver gottesfürchtiger Mensch zu werden und mit ihr regelmäßig in die Kirche zu gehen. Das hat er aber nicht lange durchgehalten. Aber er hat eine der schönsten Adam-und-Eva-Geschichten geschrieben, die man finden kann.

Ins Heilige Land ist er ja bekanntlich auch gereist. Nachzulesen in “Die Arglosen im Ausland”. Was natürlich auch mit dem zu tun hat, was Andreas Martin hier versucht anzudeuten: die Bibel und ihre Botschaften mit anderen Augen zu lesen. Auch die Kirche selbst kann nicht einfach so tun, als wäre noch immer alles frühes 19. Jahrhundert. Und auch die Frage, die Luther vor fast 500 Jahren stellte, lässt er nicht aus. Und gesteht dem Professor aus Wittenberg zu, dass er recht hatte, zutiefst recht – Rituale und Worte allein reichen nicht für ein christliches Leben, es braucht auch die Tat. Nicht nur Gottes Werke wollen gepriesen sein, sondern christliches Handeln muss dem eigenen Leben Sinn und Maßstab sein.

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Die Bibel
Andreas Martin, St. Benno Verlag 2013, 5,00 Euro

Und da ist die Bibel natürlich zutiefst modern. Die alten Gebote sind so gültig (und unabgegolten) wie zu Zeiten ihrer Niederschrift.

Und es steckt natürlich ein Stück Weisheit drin, indem Martin ausgerechnet Mark Twain auch zitiert: “Die meisten Menschen haben Mühe mit den Bibelstellen, die sie nicht verstehen. Ich für meinen Teil muss zugeben, dass mich gerade diejenigen Bibelstellen beunruhigen, die ich verstehe.”

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