Noch verstecken sich die Bücher zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht hinter den Buchbergen zum 200. Geburtstag von Richard Wagner. Aber das Interesse ist hellwach. Das im Oktober vom LTM vorgelegte Heft zum Doppeljubiläum 1813/1913 liegt in der dritten Auflage vor. Die Käufer wollen durchaus wissen, welche Bedeutung das alles nun hat - die Schlacht, das Denkmal und der ganze Rest. Wussten es die Augenzeugen?

Auch diese Frage bewegt Forscher und Autoren seit bald 200 Jahren. Reinhard Münch hat aus den Erinnerungen von 23 Personen, die Napoleon während der Schlacht bei Leipzig begegneten, jene Passagen gesammelt, in denen der Feldherr der Franzosen tatsächlich auftaucht. Meist sind es nur Blitzlichter. Denn natürlich war Leipzig ja kein Ort, an dem Napoleon mit irgendjemanden groß über seine Pläne und Visionen diskutierte. Er wollte in einer Schlacht, deren Schlachtfeld er nicht selbst aussuchen durfte, eine Wende herbeizwingen. Seit dem Frühjahr setzten ihm die abtrünnigen Preußen, Russen und Österreicher zu. Schlacht um Schlacht hatte er geschlagen und immer wieder wenigstens ein Patt erzwungen. So auch im Mai bei der Schlacht um Dresden, die ein Kapellmeister namens E. T. A. Hoffmann miterlebte.

Vorher hatte es am 2. Mai die Schlacht bei Großgörschen gegeben, die in der französischen Geschichtsschreibung “Schlacht von Lützen” heißt. Und Napoleon hielt diese Schlacht für die wichtigste des Jahres, denn damit schlug er sich den Weg zurück nach Sachsen frei, was ihm dann die Schlachten von Dresden (8./9. Mai) und Bautzen (20./21. Mai) ermöglichte und dann den Versuch, wieder auf Berlin zu marschieren, was dann Preußen und Schweden im August verhinderten. Die Kräfteverhältnisse hatten sich verschoben. Im September verließ Bayern den Rheinbund. Mecklenburg war schon vorher ausgeschieden. Die Landschaft, in der Napoleon bisher alle wichtigen militärischen Positionen besetzt hatte und auf Rekruten und Material zurückgreifen konnte, hatte sich binnen weniger Monate in besetztes Land verwandelt. Der große Stratege war auf dem Rückzug.

Noch glänzte er. Die Augenzeugen, die ihn während der Schlacht erleben, sehen einen Mann, der hellwach ist, keinen Moment die Zügel schleifen lässt und genauso kalkuliert seine Entscheidungen fällt, wie man es von ihm gewohnt war. Nur nutzte ihm das alles nichts mehr. Die Alliierten wollten ihn bezwingen. Und sie hatten um Leipzig alles versammelt, was sie jetzt in die Waagschale werfen konnten. In seinem Roman über Napoleon spricht Alexandre Dumas von einer doppelten Übermacht. Was natürlich nicht stimmt. Aber das 1840 geschriebene Buch zu lesen lohnt sich. Denn Dumas hat augenscheinlich fast ausschließlich auf die Kommuniqués des französischen Militärs zurückgegriffen. Und Napoleon war eben zuallererst Militär und erst in zweiter Linie Staatsmann.
Und gescheitert ist er am Ende, weil er auch als Staatsmann militärisch dachte. Das ging so lange gut, wie er sich die nötigen Reserven an Material, Munition und Mannschaften sichern konnte. Er hatte ja kein Geheimrezept, das er anwendete. Er hatte nur eine für seine Zeit moderne, hochmoderne Armee und den Willen, diese Armee so flexibel und brutal einzusetzen, dass er den Sieg in einer Schlacht so früh wie möglich für sich verbuchen konnte.

Die Leipziger Schlacht verlor er, weil er keine Reserven mehr hatte. Seine Mannschaften waren am vierten Tag auf 150.000 Mann zusammengeschmolzen, während die Alliierten weitere Verstärkungen bekommen hatten. Seine Vorräte an Kanonenkugeln waren drastisch zusammengeschmolzen. Das reichte alles nicht mehr für einen weiteren Schlachttag. Und dann war da auch noch der Übergang der Sachsen zur gegnerischen Seite. 3.000 bis 4.000 waren es, die am 18. Oktober unter Kommando ihrer Offiziere die Seiten wechselten. Das wird oft gern ein bisschen falsch erzählt. Die Entscheidung für den Übergang fällten die Offiziere, nicht die Truppen, insbesondere General von Ryssel spielt hier eine Rolle. Vier sächsische Soldaten kommen in diesem Buch zu Wort, die miterlebten, was da geschah. Denn bindend war das, was Ryssel seinen Soldaten befahl, nicht. Generalleutnant Zeschau sah das alles ganz anders, kehrte mitten im Übergang den Befehl von Ryssels um und führte seine Soldaten wieder zurück in Richtung der französischen Linie – doch das war mehr als fatal: Die halbe Brigade Buhle wurde jetzt von den Alliierten zusammengeschossen.

Dumas bauscht die Zahl der übergelaufenen Sachsen gleich mal auf 30.000 auf. Was schon ein gehöriger Anteil an den verbliebenen 150.000 Soldaten Napoleons gewesen wäre. Und so wird es wohl auch in den Bulletins gestanden haben, die Napoleon seinen Franzosen zukommen ließ. Da war er wie jeder Feldherr in der Geschichte – immer waren andere Schuld an der Niederlage. Die französische Wikipedia wirft den Sachsen noch heute vor, dass sie ohne Vorwarnung – “sans prévenir contre les troupes de Napoléon” – die Seiten gewechselt hätten. Und so sei der Begriff “saxon” heute im Französischen ein Synonym für einen “feigen Verrat”.

So lange wirken militärische Bulletins nach. Wenn man das liest, was Dumas aus den französischen Militärnachrichten zusammengesucht hat, dann haben die französischen Truppen auch noch am Morgen des 19. Oktober heldenhaft gekämpft und den Rückzug gedeckt. Aber tatsächlich hatte man die Stadt einfach dem badischen Korps des Reichsgrafen Wilhelm von Hochberg überlassen, der als Augenzeuge erzählen konnte, wie auch die hochrangigen französischen Offiziere Hals über Kopf die Stadt verließen. Von einem geordneten Rückzug konnte keine Rede mehr sein.

Selbst Napoleon kam nur noch mit Ach und Krach aus der Stadt, worüber ja der Postillon Johann Gottfried Gabler, der ihn als geländekundiger Führer in Leipzig begleitete, später berichtete. Es kommen natürlich etliche Militärs zu Wort, Offiziere aus Napoleons Armee genauso wie Subalterne, die die Schlacht überlebten. Mit Josef Grabowski natürlich auch ein Vertreter der polnischen Verbände, die an der Seite Napoleons auch deshalb kämpften, weil die Gegner sich Polen lieber als eigenen Besitz einverleibten.

Selbst Napoleons Marschall Macdonald erlebte mit, in welches Chaos die Flucht über die Elster mündete. Am Ende rettete er sein nacktes Leben und war damit glücklicher als Fürst Poniatowski, der in den Fluten der Elster ertrank. – Natürlich sind die Augenzeugenberichte nur wie Blitzlichter hinein in diese Schlacht, mit der Napoleons letzter Versuch scheiterte, seine Stellung in deutschen Landen zu halten. Damit scheiterte auch sein “Versuch, die überlebten alten gesellschaftlichen Strukturen in Europa neu zu ordnen”, wie Münch in seinem Vorwort schreibt. “Die Niederlage bei Leipzig ließ die Fundamente seiner Macht zerbrechen.”

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An der Seite Napoleons
Reinhard Münch, Tauchaer Verlag 2013, 9,95 Euro

Die Augenzeugenberichte zeigen auch, wie wenig Spielraum der Einzelne in diesem Schlachtgeschehen hatte. Es kommen Napoleons Verbündete zu Wort. Aber auch ein Marketender erinnert sich und mit Carl Gustav Carus und Baron de Larrey kommen gleich zwei Ärzte zu Wort, die während der Schlacht aktiv waren.

Die Schlacht selbst erklärt sich nicht, sie macht nur Sinn im Zusammenhang mit all dem, was mit Napoleons Feldzug gegen Russland 1812 begann und ab dem Frühjahr 1813 zu einem regelrechten “Roll back” wurde. 1814 standen die alliierten Fürsten da, wo sie gern schon im ersten Koalitionskrieg 1792 gestanden hätten – in Paris. In Deutschland wurden die Uhren wieder zurückgedreht.

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