Barbara Brüning legt nach. Nach den beiden Bändchen für Mama und Papa gibt es jetzt auch eines für Oma - mit ausgewählten Gedichten, Zitaten, Anekdoten. Lauter kleinen Texten, die Oma Freude machen sollen, wenn man ihr das Büchlein schenkt. Oder soll es zum Nachdenken anregen? Stoff dazu gibt es ja genug. Angefangen beim Alter.

Das ist die Zeit, die frühere Generationen gern mal mit dem Begriff weise bedachten. Bei den Alten holte man sich Rat. Sie konnten vergleichen und hatten Wissen aus Zeiten, die die Jungen nicht kannten. Für gewöhnlich geht man davon aus, dass das auch heute noch so ist, dass Lebenserfahrung auch zu Weisheit gerinnt. Oder hat Hemingway Recht, der sich mit 61 das Leben nahm? – “Die Altersweisheit gibt es nicht. Wenn man altert, wird man nicht weise, sondern vorsichtig.”

Irren sich also die Jungen, wenn sie die Bedächtigkeit der Alten mit Nachdenklichkeit verwechseln? Oder irrte sich Rousseau, als er hinschrieb: “Die Jugend ist die Zeit, die Weisheit zu lernen. Das Alter ist die Zeit, sie auszuüben.” Irrte sich Rouseau nicht gleich doppelt? Denn warum sollte man in der Jugend Weisheit lernen, wenn es erst mal darum geht, sein Leben zu meistern? Was ja bekanntlich nicht leicht ist und eine Menge Stress und Sorgen mit sich bringt, bis alles passt und endlich genug Bodensatz da ist, damit Familiengründung und Kinderkriegen machbar werden. Da jagt die Zeit und zur Besinnung bleibt eigentlich kein Raum.

Da ist man schneller Opa und Oma, als man je gedacht hatte und die Kinder kriegen Kinder. Wir leben ja in einer Zeit, die wenig Platz für Besinnung lässt. Und wenn dann Zeit zur Besinnung bleibt, dann erfährt so Mancher das grimmige Gefühl, dass er eigentlich was verpasst hat. Vieles, was Barbara Brüning hier für die Großmama zusammengestellt hat, ist voller Romantik.

Ein bisschen Verklärung gehört dazu. Oma hat ja einen echten Vorteil: Sie muss die Enkel nicht erziehen. Den nervenden Job haben ja die Kinder. Wenn die Enkel zur Oma kommen, ist alles gut und sie werden verwöhnt. Und ihr Schokokuchen schmeckt sowieso besser als Mamas. Aber da wir im 21. Jahrhundert leben, wurde auch dieses Thema von klugen Leuten schon mal gegen den Strich gebürstet. Adele Sandrock: “Viele Kinder sind deshalb so verzogen, weil man Großmütter nicht übers Knie legen kann.”

Man lernt ja nie aus. “Erst bei den Enkeln ist man dann so weit, dass man die Kinder ungefähr verstehen kann”, meint Erich Kästner. Und deutet damit ein Feld an, das man gern wegblendet, wenn man die Alten für weise erklärt: Sie sind genauso ratlos wie die Jungen.
Vieles, was sie als Lebenserfahrung behaupten, ist nur ein stures “Das haben wir schon immer so gemacht.” Was auch eine Verteidigung ist gegen die nicht aufhörenden Veränderungen der Welt. Und die Kinder und Enkel sorgen auch noch dafür, dass es so bleibt. Und so schauen die Alten eigentlich genauso naiv auf die Jungen wie die Jungen auf die Alten.

Das kann man wirklich nur austarieren, wenn man sich seinen Humor bewahrt und die Gelassenheit. Was vielleicht viel schöner ist als alle Weisheit. Wir werden heute mittlerweile so alt, dass wir den Jungen gar nichts mehr raten können, wenn wir alt werden. Es geht ja fast ein ganzes Säkulum darüber hin. Und wer will schon wissen, was unterm Kaiser noch üblich war?

Aber dergleichen ahnten auch klügere Köpfe in klassischen Zeiten. “Im Alter bereut man vor allem die Sünden, die man nicht begangen hat”, darf William Somerset Maughan zitiert werden. Denn Leben ist Erleben. Sonst ist es ja nichts als eine Schimäre. Es gibt keine Deutung, die jenseits davon liegt. Wer Erfüllung will, muss hier handeln, im Diesseits. Das Glück, so Saint-Exupéry, dürfe nicht als Ziel verstanden werden, sondern als Lohn. Man bekommt es geschenkt. Wenn man denn lebt und die Augen offen hält dafür. Und bekommen kann man es nur, wenn man sich verschenkt – in Liebe und Vertrauen. Auch in die Gefährten, die wir uns wählen für die Lebensreise. Wir wissen nicht, was wir bekommen, wenn wir uns verlieben.

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Liebe Oma …
Barbara Brüning, Buchverlag für die Frau 2013, 5,00 Euro

Wir bekommen “ein versiegeltes Schreiben, dessen Inhalt wir erst erfahren, wenn wir auf hoher See sind”, wird Lili Palmer zitiert. Dann ist die Frage: Was fängt man damit an? Zürnt man und trennt sich oder lernt man Toleranz? Was nicht leicht ist, auch wenn Peter Ustinov meinte: “Die echte Toleranz kommt erst mit den grauen Haaren.” Toleranz hat viel mit Verzeihen zu tun. Niemand ist perfekt. Und die klügeren Alten wissen das von sich selbst – und rechten und richten nicht. Auch nicht über ihren Reisegefährten.

Hier und da kommt der Schatten von Opa ins Bild. Der Prüfstein für Omas Weisheit und Toleranz. Nicht alle Omas schaffen das. Alter ist keine Garantie für Weisheit, stellt Konstantin Kolenda fest. Man muss schon was dafür tun. Was Alphonse Daudet so schön auf den Punkt bringt: “Die Menschen werden alt, aber selten reif.” Oma findet also allerlei Widersprüchliches in diesem kleinen Buch. Und die klugen und weisen Omas werden sagen: Ja, so ist das Leben. – Und die anderen werden das Büchlein wohl gar nicht geschenkt bekommen.

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