Dass man Kunst auch ganz anders begegnen kann als mit dem üblichen kunstwissenschaftlichen Wortmulch, das wissen zumindest Dichterinnen und Dichter und all jene, die sich Kunst mit ähnlicher Aufgeschlossenheit nähern. Denn daran hat sich seit den Höhlenmalereien von Lascaux eigentlich nichts geändert: Kunst muss auch den unstudierten Betrachter berühren, sonst ist es keine.

Wirklich nicht. Da kann man Berge von Theorien aufhäufen und immer neue Schulen und Modernen erfinden. Es nutzt wirklich nichts. Was auch den zufälligen Betrachter nicht anrührt – und sei es nur als kleiner Stein des Anstoßes – ist als Kunst-Werk missglückt. Marianne F. Schulz ist Germanistin, Slawistin und Autorin. Sie lässt sich auf Kunst so ein, wie man es als Dichterin tut – offenen Auges und Sinnes und, wenn es der Stoff hergibt, auch mit ihrer eigenen Gedankenwelt. Denn wenn Kunstwerke funktionieren, dann lösen sie auch Prozesse aus. Regen an, sich mit dem Gesehenen auseinander zu setzen.

Wie es Marianne F. Schulz mit der Plastik “Evas Töchter am Rubikon” von Harald Stieding tut. Womit man auch noch die zweite Ebene hat – den vom Künstler gewählten Titel des Werks, der noch zusätzliche Denk-Anregungen geben kann. Nicht immer – in diesem Fall aber schon. Denn mit Rubikon ist Cäsar im Spiel und sein Vabanque-Spiel um die Macht in Rom. Und damit ein echtes Macho-Element, das aber auch in einigen der griechischen Sagen anklingt, die Schulz natürlich auch zitieren kann wie das Urteil des Paris, das ja bekanntlich ein gekauftes war. Womit man denn bei der Käuflichkeit von Urteilen wäre. Und den Nöten der Frauen.Einen goldenen Apfel sieht man in Stiedings Plastik wie hingesteckt, damit die 13 Frauen in Versuchung geraten. 13 statt nur 3 wie damals bei Paris, der ja bekanntlich ein Dummkopf war, der zwar gern die schönste Frau der Welt haben wollte – sie aber noch gar nicht kannte. Geraubt hat er sie dann aber trotzdem und damit den Trojanischen Krieg ausgelöst. Der andere Apfel, den Stieding ins Spiel bringt, ist der, den Eva einst dem Adam anbot. Was Marianne F. Schulz auf eine ziemlich grundlegende Frage bringt: Hat nicht jede Frau so einen Apfel, von dem sie träumt, der ihre Lebenswünsche verkörpert? Und steht er nicht für jede Frau für etwas anderes?

Bei der einen als eitler Preis für ein bisschen Schönsein, bei der nächsten als Lohn für eifriges Karriereturnen, bei der dritten als Erfüllung nach einem langen mühsamen Leben? Und wie ist das mit der Konkurrenz unter den Frauen? Ist da nicht der neidische Blick der schönen Nebenbuhlerin?

Was Schulz nicht erwähnt in ihren 13 kleinen, sehr einfühlsamen Porträts der 13 Frauenfiguren: Steht der Apfel da nicht stellvertretend für den allgegenwärtigen Adam, für den Frauen so lebenslänglich ihre Kopfstände machen oder auch ihr Ureigenstes aufgeben?

Sorgt der Apfel nicht dafür, dass Frauen sich heillos in ein Streben stürzen, dass sie im entscheidenden Moment über die Kante, die Klippe stürzen lassen? Oder ist er der Antrieb für ein Leben voller Schinderei – und dann am Ende, wenn sie den Lohn empfangen könnte, braucht sie ihn nicht mehr? Oder verkörpert der goldene Apfel nicht eher die falschen Wünsche, die sich dann – im Moment der Erfüllung – erst als Trug und Selbstbetrug erweisen? Und wie ist es mit der Liebe? Verspielt man die Fähigkeit zum Lieben nicht gerade erst in dieser irrsinnigen Jagd nach dem vergoldeten Glück?

13 Frauengestalten, die Harald Stieding in zuweilen üppiger Fülle auf eine schmale Stahlplanke platziert hat, alle irgendwie auf dieses goldene Ding fixiert, einige in übermütiger Geste, andere fast erschrocken zurückweichend. Irgendwie scheint dem Bildhauer aus Bad Langensalza da tatsächlich eine erstaunliche Allegorie auf das Frau-Sein gelungen zu sein. Zumindest aus der Sicht von Marianne F. Schulz, die in diesem Büchlein sehr plastische Bilder zeichnet von der Vielgestalt der Frau – historisch und modern. So wichtig ist das Thema Zeit ja nicht. Frauen müssen sich immer wieder in Beziehung setzen mit einer Welt, die goldene Früchte verheißt – und mindestens 13 verschiedene Wege, sie zu erlangen.Das andere, was dann wohl nur ein Dichter männlichen Geschlechts oder Stieding selbst erzählen könnte, wäre die hier in Bronze geronnene Sicht des Mannes auf die Vielgestaltigkeit der Frau. Oder besser: der Frauen. Es gibt ja welche, die tragen all diese hier angedeuteten Möglichkeiten in sich und leben sie auch, so weit das in einer Welt der vergoldeten Versprechungen möglich ist. Und es gibt leider auch mehr als genug, die lassen sich auf eine einzige Rolle festlegen und verwandeln sich in langweilige Schattengestalten ihrer verspielten Möglichkeiten.

Was ebenso auf Männer zutrifft, die selbst auch wieder ihre Goldenen Äpfel haben.

Das Ergebnis ist ein Buch der Begegnung, in dem sich die phantasievollen Ausflüge von Marianne F. Schulz mit den einzeln hervorgehobenen Frauengestalten Stiedings vereinen. Er hat auch noch Zeichnungen dazu angefertigt, aber ein starker Zeichner ist Stieding nicht. Seine Stärke liegt in der Plastik.

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Evastöchter am Rubikon
Marianne F. Schulz, Leipziger Literaturverlag 2013, 19,95 Euro

Ein Büchlein zum Nachdenken, auch über die eigenen Begegnungen mit Frauen und dem, was man dabei erlebt hat. Natürlich steckt auch ein bisschen Augenzwinkern in Stiedings Plastik, denn als Mann steckt er ja auch ganz symbolisch selbst im Goldenen Apfel und damit in den Träumen von Frauen vom richtigen Mann. Die durchaus frustrieren können, denn in ihrer Jagd nach dem Goldenen Reiter oder Prinzen oder Ritter jagen Frauen ja bekanntlich auch Manns-Bildern hinterher, die oft genug den realen Mann auf Erden überfordern oder in eine Lage bringen, in der er sich – zuweilen ein Leben lang – am falschen Platz in der falschen Geschichte fühlt.

Nur die Goldenen Prinzen merken das in der Regel nie, weil sie darüber gar nicht erst nachdenken, weil Frauen in ihrem Leben sowieso nur Zubehör sind. Es ist in diesem vorsichtigen Herantasten also auch ein Büchlein über uralte Rollen-Missverständnisse auf beiden Seiten.

www.l-lv.de

www.kwth.de/2010/12/22/harald-stieding

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