Pestizide haben einen schlechten Ruf: Sie schaden der Umwelt, haben negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt und belasten den Boden. "Das ist teilweise richtig, zum Teil aber auch nicht. Pestizide sind wichtig für die Funktion unserer modernen Landwirtschaft. Und Pestizid ist nicht gleich Pestizid - hier ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Generell sollte beim Einsatz von Pestiziden deren Bioabbaubarkeit oberstes Gebot sein", sagt Prof. Dr. Matthias Kästner, Leiter des Departments Umweltbiotechnologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.

Damit die Langzeitfolgen von Pestiziden besser beurteilt werden können, haben mehrere Wissenschaftlergruppen nun eine neue Nachweismethode und ein Modell erarbeitet, das Aussagen ermöglicht, ob und wie stark die Rückstände von Pestiziden bioabbaubar sind oder nicht. Die Studie von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und der Technischen Universität Dänemarks ist jetzt im Fachblatt “Critical Reviews in Environmental Science and Technology” erschienen.

Weltweit werden heute etwa 5.000 Pestizide als Pflanzenschutzmittel und zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. So unterschiedlich ihre jeweilige Wirkung ist, so unterschiedlich sind auch ihre Auswirkungen auf die Umwelt. Einige Pestizide werden schnell abgebaut, manche langsamer. Und manche binden an Bestandteile des Bodens und bilden so genannte gebundene Rückstände. Bislang ging man davon aus, dass diese Rückstände per se giftig sind. Daher sind Pestizide, die mehr als 70 Prozent gebundene Rückstände bilden, heute nicht mehr zulassungsfähig. Kästner: “Doch was sich genau hinter diesen gebundenen Rückständen verbirgt, ob sie tatsächlich toxisch sind und welche stofflichen Strukturen sich dahinter verbergen, konnte bislang noch nicht untersucht werden.”

Unter Anwendung der so genannten 13C-Methode haben Kästner und sein Team Pestizide auf unterschiedliche Referenzböden gegeben und genauer untersucht, was aus ihnen wird. Dazu haben sie im Vorfeld das zu untersuchende Pestizid mit dem nicht-radioaktiven, schweren Kohlenstoffisotop 13C markiert – und dieses nach Ablauf des Versuchszeitraums in verschiedenen Biomolekülen mit Hilfe eines Massenspektrometers aufgespürt. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler der Verbleib und die Veränderung der Pestizide und ihrer Abbauprodukte im Boden nachweisen.

Das wichtigste Ergebnis der Studie: Es gibt unterschiedliche Gruppen gebundener Rückstände. In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins “Critical Reviews in Environmental Science and Technology” fassen die UFZ-Forscher ihre Ergebnisse zusammen und stellen eine Klassifizierung und einen Modellierungsansatz für gebundene Rückstände vor. Beim Typ 1 sind das Pestizid selbst oder seine Abbauprodukte an organisches Material im Boden (Humus) angelagert oder darin eingeschlossen und können im Prinzip jederzeit wieder freigesetzt werden.

Ist das Pestizid eine feste chemische Bindung mit dem Humus eingegangen, werden gebundene Rückstände dem Typ 2 zugeordnet, welche nur schwer wieder freigesetzt werden. Rückstände vom Typ 1 und Typ 2 sind als toxikologisch relevant einzustufen. “Hier muss genau geprüft werden, ob die Zulassung eines Pestizids, das solche Rückstände im Boden bildet, möglich und vertretbar ist oder nicht”, sagt Matthias Kästner.Bei Rückständen vom Typ 3 wurde das Pestizid durch Bakterien zersetzt und der enthaltene Kohlenstoff in mikrobielle Biomasse eingebaut. “Für diese Art von Rückständen kann prinzipiell Entwarnung gegeben werden. Denn das sind keine Rückstände im eigentlichen Sinne mehr. Da das Pestizid mikrobiell abgebaut wurde, besteht hier keinerlei Risiko mehr”, so Kästner.

Pestizide, deren gebundene Rückstände im Boden dem Typ 3 angehören, könnten also in Zukunft gefahrlos zugelassen werden. Umgekehrt könnten mit dieser Methode aber auch Pestizide, die bislang als ungefährlich galten, als kritisch eingestuft werden. Kästner: “Nur wenn wir in der Lage sind, zwischen bioabgebauten oder risikobehafteten Pestizidrückständen zu unterscheiden, können wir entsprechend handeln. Daher hoffen wir, dass die 13C-Methode in Zukunft in die Dossiers der Zulassungsverfahren aufgenommen werden wird. Das haben wir auch dem Umweltbundesamt vorgeschlagen.”

Die ersten Ergebnisse der UFZ-Studie fanden bereits Eingang in die Bewertungen der an der Zulassung beteiligten Behörden. So konnte für die als kritisch eingestuften Rückstände der zugelassenen Pestizide 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure (kurz: 2,4-D) und 2-Methyl-4-chlorphenoxyessigsäure (kurz: MCPA) Entwarnung geben werden. “Um den Pestizideinsatz und seine Umweltauswirkungen besser steuern zu können, liegt aber noch viel Forschungsarbeit vor uns”, sagt Kästner. “Die Probleme, die wir mit DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) und Atrazin hatten, dürfen sich nicht wiederholen. Zu verstehen, was mit den Pestiziden nach Anwendung tatsächlich passiert, ist daher sehr wichtig.” Nicole Silbermann

Quelle: Nicole Silbermann/Tilo Arnhold, UFZ

www.ufz.de/index.php?de=32259

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