Nicht nur Wissenschaftler staunen ja über den Menschen, der so erstaunliche Fähigkeiten hat, dass er scheinbar mit der ganzen sonstigen evolutionären Entwicklung nichts (mehr) zu tun hat. Aber das Staunen relativiert sich, je intensiver sich die Forschung mit der Menschwerdung beschäftigt. Denn bevor der Mensch all diese Fähigkeiten entwickelte, verging doch eine gewaltige Menge an Zeit. Auch was unsere Sprachentwicklung betrifft.

Zwar bekommt man das mit archäologischen Methoden nicht heraus. Aber die Entwicklungsgeschichte unseres Sprachvermögens ist in unseren Gehirnen enthalten. Und wenn man deren Struktur mit denen unserer nächsten Verwandten, den Menschenaffen, vergleicht, kann man ungefähr auch den gewaltigen Zeitraum ermitteln, innerhalb dessen sich unserer Sprachvermögen entwickelt haben muss.

Das Sprachnetzwerk im Gehirn von Menschen hat einen früheren evolutionären Ursprung als bislang angenommen, kann jetzt das in Leipzig heimische Max-Planck-Institut für Kognitions- und und Neurowissenschaften vermelden. Die Wurzeln der für die Sprache entscheidenden Strukturen könnten 20 Millionen Jahre älter sein als bisher vermutet wurde. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Newcastle und des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig, die jetzt im renommierten Fachmagazin Nature Neuroscience erschienen ist. Sie vergleicht die Hirnstrukturen von Menschen, Menschenaffen und Affen miteinander.

Die Entdeckung neuer Strukturen im Gehirn ist vergleichbar mit einem Fossil, das plötzlich ein anderes Licht auf die menschliche Entwicklungsgeschichte wirft. Im Gegensatz zu versteinerten Knochen gibt es allerdings keine Reste des Gehirns unserer vor langer Zeit verschollenen Vorfahren. Neurowissenschaftler vergleichen daher die Gehirne jetzt lebender Affen und Menschen, um daraus zu schließen, wie die Hirnstrukturen unserer gemeinsamen Vorfahren aussahen – und wie sich daraus das Gehirn des heute lebenden Menschen entwickelt haben könnte. In der aktuellen Studie wurden dazu in Menschen, Menschenaffen und Affen die Gehirnregionen und deren Verbindungen verglichen, die einfache Laute und Sprache verarbeiten.

„Wir hatten zwar bereits vermutet, dass das menschliche Sprachnetzwerk möglicherweise eine evolutionäre Grundlage im auditorischen System nichtmenschlicher Primaten hat“, erklärt Christopher Petkov von der Universität Newcastle in Großbritannien. „Wir waren aber erstaunt, eine sehr ähnliche Nervenfaser-Verbindung im auditorischen System dieser Primaten zu finden. Tatsächlich scheinen auch Menschenaffen und Affen eine gemeinsame Vorläuferstruktur des menschlichen Sprachnetzwerks zu haben.“

Beim Menschen verarbeitet dieses gemeinsame Netzwerk sprachliche Laute und verbindet die Hörareale mit den Sprachregionen im Frontallappen. Obwohl nur Menschen über Sprache verfügen, lässt die gemeinsame auditorische Verbindung in anderen Primaten also darauf schließen, dass sich gesprochene Sprache aus der akustischen Wahrnehmung und Kommunikation entwickelt hat.

Die Entdeckung dieser gemeinsamen Faserverbindung verschiebt den evolutionären Ursprung des menschlichen Sprachnetzwerks um mindestens 20 Millionen Jahre in die Vergangenheit. Bislang hatte man angenommen, dass ein Vorläufer des Sprachnetzwerks erst vor etwa fünf Millionen Jahren mit einem gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Menschenaffe entstanden war.

Und nicht nur das. Die Ergebnisse zeigen auch, wie stark sich die Leitungsbahn der menschlichen Sprache im Laufe der Evolution verändert hat. Vor allem die linke Gehirnhälfte hat sich beim Menschen weit vom evolutionären Prototyp wegentwickelt und sich auf die Sprachverarbeitung spezialisiert.

„Die untersuchte Nervenfaserverbindung für die akustische Verarbeitung wird beim Menschen für die Verarbeitung der gesprochenen Sprache verwendet und ist auch beim frühkindlichen Erwerb der Sprache von höchster Relevanz“, erklärt Angela D. Friederici, Direktorin und Neuropsychologin am MPI CBS. „Die Ähnlichkeit dieser Verbindung bei Menschen und Makaken weist auf die evolutionären Wurzeln des neuronalen Netzwerks für Sprache hin.“

Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler MRT-Bilder, die von der Wissenschaftsgemeinschaft zur weiteren Erforschung frei zugänglich gemacht wurden. Zusätzlich dazu wurden weitere Bilder aufgenommen, die nun wieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden – und damit auch weitere Erkenntnisse ermöglichen.

„Der direkte Vergleich der Gehirne von Affen und Menschen ist erst mit der modernen MRT Technik möglich“, ergänzt Alfred Anwander vom MPI CBS, einer der Co-Autoren der Studie. „Damit können die Strukturen und Nervenfaserverbindungen abgebildet werden, ohne in den Körper einzudringen. Nur so ist es möglich, die verschiedenen Gruppen mit der gleichen Technik zu untersuchen und direkt zu vergleichen.“

Die Autoren vermuten sogar, dass der von ihnen entdeckte Verarbeitungsweg akustischer Signale noch älter sein könnte als es die aktuellen Ergebnisse vermuten lassen. Weitere Untersuchungen werden nun zeigen, bei welchen evolutionär weiter entfernten Tieren die frühesten neurobiologischen Ursprünge akustischer Nervenbahnen, ähnlich den menschlichen, zu finden sind.

Originalpublikation: Fabien Balezeau, Benjamin Wilson, Guillermo Gallardo, Fred Dick, William Hopkins, Alfred Anwander, Angela D. Friederici, Timothy D. Griffiths & Christopher I. Petkov Primate auditory prototype in the evolution of the arcuate fasciculus

Warum lernen Menschenkinder sprechen, Menschenaffen aber nicht?

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