Eigentlich denkt man sich so als Bewohner der Erdoberfläche, dass es da weiter unten unter der Erde gar kein Leben geben kann. Vielleicht nur dicht unterm Rasen, wo sich Maulwürfe und Regenwürmer tummeln. Aber weiter unten in den Grundwasserleitern? Genau dahin haben sich jetzt Forscher/-innen aus Mitteldeutschland mit ihren Untersuchungen begeben.

Und die wichtigste Erkenntnis, die sie bei diesen Untersuchungen in der Tiefe gewannen: Mikroorganismen in Grundwasserleitern tief unter der Erdoberfläche produzieren ähnlich viel Biomasse wie solche in manchen Meeresbereichen. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende unter Leitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv).

Mit einer einzigartigen, hochempfindlichen Messmethode mit radioaktivem Kohlenstoff konnten sie erstmals nachweisen, dass diese Lebensgemeinschaften in absoluter Dunkelheit nicht auf Sonnenenergie angewiesen sind. Stattdessen können sie ihre Energie selbständig aus der Oxidation von Gestein oder aus Stoffen gewinnen, die nach unten transportiert werden. Die Studie wurde in „Nature Geoscience“ veröffentlicht.

Leben ohne Sonnenlicht

Meere und oberirdische Landlebensräume gelten als die Ökosysteme mit der mit Abstand höchsten Primärproduktion auf der Erde. Darunter versteht man die Umwandlung von anorganischem in organischen Kohlenstoff. Mikroskopisch kleine Algen in den oberen Schichten der Ozeane und Pflanzen an Land binden atmosphärischen Kohlenstoff (CO₂) und produzieren Pflanzenmaterial durch Photosynthese.

Die Sonne liefert hierzu die Energie. Da das Sonnenlicht nicht in den Untergrund eindringt, ist Primärproduktion dort kaum zu erwarten. So viel zur Theorie.

Genetische Analysen von Mikroorganismen im Grundwasser haben jedoch gezeigt, dass auch hier viele dieser Kleinstlebewesen zur Primärproduktion fähig sind. In Ermangelung von Licht müssen sie die Energie aus der Oxidation anorganischer Verbindungen gewinnen, etwa aus reduziertem Schwefel des umgebenden Gesteins.

Die Bedeutung von Primärproduzenten im Untergrund war jedoch bislang noch nie bestätigt worden, stellen die beteiligten Institute fest.

Das Grundwasser ist eine unserer wichtigsten Quellen für sauberes Trinkwasser. Allein Karbonat-Aquifere, die im Mittelpunkt der Studie stehen, liefern etwa zehn Prozent des weltweiten Trinkwassers. Vor diesem Hintergrund führten die Forschenden Messungen der mikrobiellen Kohlenstofffixierung in einem unterirdischen Grundwasserleiter in 5 bis 90 Metern Tiefe durch.

Die fleißigen Mikroorganismen sind noch nicht identifiziert

„Die von uns gemessenen Mengen waren viel höher als wir erwartet hatten“, sagt der Erstautor der Studie Dr. Will Overholt, Postdoktorand an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Sie entsprechen Kohlenstofffixierungsraten, die in nährstoffarmen marinen Oberflächengewässern gemessen wurden, und sind bis zu sechsmal höher als die, die in den unteren Zonen des sonnenbeschienenen offenen Ozeans beobachtet wurden, wo gerade genug Licht für die Photosynthese vorhanden ist.“

Auf der Grundlage der gemessenen Kohlenstoffbindungsraten haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die globale Primärproduktion in karbonathaltigem Grundwasser konservativ auf 110 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr hochgerechnet.

Insgesamt könnte die Nettoprimärproduktivität von etwa 66 Prozent der Grundwasserreservoirs der Erde 260 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr betragen, was etwa 0,5 Prozent der Nettoprimärproduktion mariner Systeme und 0,25 Prozent der geschätzten globalen Nettoprimärproduktion entspricht.

„Das mag wenig klingen, aber diese Messungen stellen nur eine erste Schätzung des wahren globalen Wertes dar“, sagt Letztautorin Prof. Kirsten Küsel von der Universität Jena und iDiv. „Da in diesen nährstoffarmen und ständig dunklen Lebensräumen nur sehr wenig Energie zur Verfügung steht, ist selbst ein geringer Anteil an der weltweiten Primärproduktion eine Überraschung“.

Die Forschenden versuchten auch, die Mikroorganismen zu identifizieren, die für die Bindung von Kohlenstoff und die Erzeugung neuer Biomasse im Grundwasserleiter verantwortlich sind. Metagenomische Analysen deuten auf sehr häufig vorkommende Mikroorganismen hin, die nicht eng mit den bisher untersuchten Bakterien verwandt sind und zu einer noch nicht klassifizierten Ordnung der Nitrospiria gehören.

„Es wird angenommen, dass diese Organismen als Nahrung die Lebensgrundlage für das gesamte Grundwasserökosystem mit all seinen Tausenden von Mikrobenarten bilden, ähnlich der Rolle, die Algen in den Ozeanen oder Pflanzen an Land spielen“, so Overholt.

Winzige CO₂-Mengen unter Beobachtung

Die Kohlenstoffbindung kann mit radioaktiv markiertem Kohlendioxid gemessen werden.

„In Karbonatgesteinen gibt es reichlich gelöstes CO₂, sodass es schwierig sein kann, die Kohlenstofffixierungsraten direkt zu beobachten“, sagt Prof. Susan Trumbore vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Das Team verwendete daher eine spezielle Methode, um eine kleine Menge markierten CO₂ mithilfe der hochempfindlichen Beschleuniger-Massenspektrometrie zu verfolgen.

„Es ist spannend zu sehen, zu welchen neuen Erkenntnissen diese Methoden führen können“, sagt sie.

„Unsere Ergebnisse bieten neue Einblicke in die Funktionsweise dieser unterirdischen Ökosysteme und geben Hinweise darauf, wie Grundwasserquellen überwacht oder saniert werden können“, sagt Küsel.

Die Studie ist Teil des Sonderforschungsbereichs AquaDiva der Universität Jena und des iDiv und wird teilweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – SFB 1076 – Projektnummer 218627073 – gefördert.

Originalveröffentlichung: Overholt, W. A., Trumbore, S., Xu, X., Bornemann, T. L. V, Probst, A. J., Krüger, M., Herrmann, M., Thamdrup, B., Bristow, L., Taubert, M., Schwab, V. F., Hölzer, M., Marz, M. & Küsel, K.: Carbon fixation rates in groundwater similar to those in oligotrophic marine systems. Nature Geoscience.

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