Ob in Dresden tatsächlich die Wecker klingeln, darf wahrscheinlich bezweifelt werden. Auch wenn am gestrigen 20. März Kultusminister Dr. Roland Wöller (CDU) zurückgetreten ist, weil er die Personalkürzungsorgie seines Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) nicht mehr mittragen konnte. Aber nicht nur bei Lehrern spart ja der Freistaat ohne Strategie. Auch beim Schulhausbau gibt es Defizite.

In Leipzig wirkt sich das längst als gewaltiger Investitionsstau aus. “Wir sind zwei Jahre zu spät dran”, sagt SPD-Stadträtin Ute Köhler-Siegel.

Sie ist die schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Und das nicht ohne Grund. Als Lehrerin erfährt sie tagtäglich, was die Vertagungspolitik in Schulfragen mittlerweile bedeutet – von überfüllten Schulen über überforderte Lehrer bis hin zu katastrophalen Bauzuständen.

Nicht nur beim Lehrpersonal hat die sächsische Staatsregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Denn eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag brachte kürzlich zu Tage, dass es bei der Förderung des Schulhausbaus in Sachsen mit allem Möglichen zugeht, nur nicht mit Ausgewogenheit und Sinnhaftigkeit. Während im Vogtlandkreis von 2006 bis 2011 satte 2.300 Euro pro Einwohner an Fördermitteln des Landes für den Schulhausbau flossen, waren es in Leipzig nur knappe 700 Euro. Auch das SPD-regierte Chemnitz wurde mit rund 1.100 Euro deutlich schlechter bedacht als alle anderen sächsischen Regionen, die deutlich über 1.500 Euro bekamen, in Ostsachsen sogar um die 2.000.

Unübersehbar wurden die Gelder nach allen möglichen Kriterien verteilt, nur nicht nach Bedarf. “Wir haben in der ganzen Zeit immer unsere Anträge gestellt”, sagt Köhler-Siegel. “Das kann also kein Argument dafür sein, dass uns Gelder nicht bewilligt wurden.” Zuletzt erlebt bei der so dringend benötigten 3. Schule, die jetzt wohl endlich bewilligt ist.

Natürlich zu spät. Denn die Schülerzahlen in Leipzig steigen seit 2009, haben schon 2011 das Niveau von 2005 überschritten. Was nicht ganz so brisant wäre, hätte Leipzig heute noch die Schulzahl von 2005. “Doch obwohl die Entwicklung absehbar war, hat uns das Land gezwungen, weitere Schulen zu schließen”, stellt die SPD-Stadträtin fest. 19 Schulen insgesamt. Im Jahr 2012 platzen die Grundschulen im inneren Stadtgebiet aus allen Nähten. Und bei den Gymnasien ist die Überfüllung auch schon in Gang.

“Bei Mittelschulen ist die Situation derzeit noch etwas entspannter”, so Köhler-Siegel. “Hier wird uns das Problem in etwa zwei Jahren einholen.” Praktisch fehlen jetzt 21 Schulen im Stadtgebiet. Viele davon nicht irgendwo, sondern genau in den Stadtteilen, wo seit Jahren auch schon eine Knappheit an Kindertagesstätten zu vermelden ist.Natürlich kann und muss Leipzig jetzt die meisten der seit 2005 geschlossenen Schulen wieder in Betrieb nehmen. Leicht ist es etwa beim einstigen Theodor-Mommsen-Gymnasium, das nach seiner Schließung als Berufsschulzentrum weitergenutzt wurde. Die Reaktivierung ist für die Hans- und Hilde-Coppi-Schule in der Beitenfelder Straße geplant, für die 55. Mittelschule in der Ratzelstraße (die derzeit noch vom Kant-Gymnasium genutzt wird), die 57. Schule in Leutzsch und die Christian-Felix-Weiße-Schule in Stötteritz.

Andere Schulen aber sind mittlerweile umgenutzt. Oder sie brauchen – wie die Schule in der Gorkistraße – eine Mindestsanierung nach über 15 Jahren Leerstand.

Und da ist man beim Hauptproblem. Denn Leipzig ist es in den vergangenen 22 Jahren nicht gelungen, den 1990 geschätzten Investitionsstau bei seinen Schulgebäuden in Höhe von 870 Millionen Euro abzubauen. Rund 300 Millionen Euro wurden in die Schulgebäude in dieser Zeit investiert, 570 Millionen fehlen noch. “Wahrscheinlich sogar mehr”, sagt SPD-Stadtrat Christopher Zenker. “Denn nach 20 oder 25 Jahren müsste man normalerweise wieder neu investieren.”

Mit einem Antrag, der am heutigen 21. März im Stadtrat behandelt wird, will die SPD-Fraktion eine Art rote Linie in die Leipziger Schulinvestitionen bringen und die Stadt dazu verpflichten, jährlich mindestens 30 Millionen Euro für Schulinvestitionen und bauliche Werterhaltung einzusetzen.

“Denn die dringend erforderlichen Neubauten sind das eine”, sagt Köhler-Siegel. “Aber gleichzeitig geht in den Bestandsschulen die Angst um, dass sie dabei vergessen werden.” Bei Fenstern, Toiletten und Speiseräumen besteht dringender Handlungsbedarf. “Es kann nicht sein, dass Kinder mit Angst in die Schule gehen, weil sie sich fürchten, auf diese Toiletten zu gehen.” In den vergangenen 22 Jahren hat Leipzig im Schnitt nur 16 Millionen Euro pro Jahr in seine Schulen investiert. Sollte es bei dieser Quote bleiben, ist der Investitionsstau von 1990 erst im Jahr 2048 abgearbeitet.Um überhaupt eine realistische Perspektive zu bekommen, muss Leipzig seine Investitionen in Schulen auf 30 Millionen Euro jährlich erhöhen. “Das muss absolute Priorität haben”, sagt Köhler-Siegel. Dann würde sich der Zeithorizont zumindest auf das Jahr 2031 verringern. Wenn die Summe gar auf 35 Millionen Euro stiege, wäre auch das Jahr 2028 machbar.

“Und die Gelder muss Leipzig selbst in den Haushalt einstellen”, sagt die Stadträtin. “Wir können uns nicht darauf verlassen, dass der Freistaat die nötigen Fördergelder zur Verfügung stellt.” Darauf, dass sich die Förderpolitik des Freistaats endlich verlässlich gestaltet, will parallel die SPD-Landtagsfraktion hinarbeiten.

“Zumindest kann ich mir vorstellen, dass es für eine Regierung durchaus peinlich ist, derart bloßgestellt zu werden”, sagt Zenker mit Bezug auf die zu Tage gekommene Praxis der Fördergeldverteilung in Sachsen.

Dabei weiß auch die Staatsregierung, dass es in Sachsens Schulen zwei auseinanderdriftende Entwicklungen gibt. Während im ländlichen Raum auch in Zukunft möglicherweise mit einem Rückgang der Schülerzahlen gerechnet werden muss, sind in den großen Städten zunehmende Schülerzahlen zu erwarten. In Dresden und Leipzig ist die Entwicklung längst im Gang. In Leipzig ist – im konservativsten Szenario, das das Landesamt für Statistik errechnet hat, um 2023 mit einer Maximalschülerzahl von rund 47.000 Schülern zu rechnen. Heute sind es rund 38.000. Das allein wären 25 bis 30 Schulen, die zusätzlich gebraucht würden.

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“Wir werden eher 21 neue Schulen brauchen, weil wir die neuen Gymnasien alle fünfzügig angedacht haben”, so Köhler-Siegel. Denn auch beim Schulneubau geht es um Geld. Die Stadt muss nach den ökonomischsten Varianten suchen. Da sind möglichst große Schulen ein Weg. “Aber auch bei den Schulneubauten müssen wir sehen, dass wir mit dem zur Verfügung stehenden Geld möglichst weit kommen”, so Köhler-Siegel. Heißt: die Baustandards optimieren.

Dann gibt es auch freilich noch das optimistische Szenario der Bevölkerungsentwicklung, das vom Landesamt für Statistik errechnet wurde. Danach würde die Schülerzahl in Leipzig auch nach 2023 weiter ansteigen – auf 52.000 Schüler um das Jahr 2030. Das wären dann mindestens noch einmal sechs Schulen, die neu zu eröffnen wären. Und das kleine Warnzeichen dabei: Die Leipziger Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre tendiert zu diesem optimistischen Szenario.

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