Hannes Toense hatte Glück. Er ist einer von neun Referendaren, die nach zwei Jahren Referendariat eine Anstellung an einer sächsischen Schule bekommen haben. Der Rest ging in Sachsen leer aus. Grund genug für den Französisch/Latein-Lehrer, zusammen mit anderen Kollegen auf den Tisch zu hauen. Im Interview mit L-IZ.de äußert sich Toense zur täglichen Situation in den Lehrerzimmern und unmoralischen Angeboten der Sächsischen Bildungsagentur...

Herr Toense, Sie haben in diesem Sommer Ihr Referendariat beendet und gehören zu den neun glücklichen Bewerbern, die eine Stelle an einem staatlichen Gymnasium in Leipzig bekommen haben. Trotzdem haben Sie mit einer Rede für großes Aufsehen gesorgt. Warum?

Natürlich bin ich froh, dass ich selber eine Stelle bekommen habe, doch insgesamt sieht die Situation für die nun fertigen Referendarinnen und Referendare in Leipzig und in Sachsen alles andere als rosig aus. Während unseres zweijährigen Referendariats sind nur wenige konkrete Informationen zur Einstellungssituation im Sommer 2013 zu uns durchgesickert. Bei einer Informationsveranstaltung in der Sächsischen Bildungsagentur wurde uns im März 2013 dann gesagt, dass eigentlich nur Mathe, Physik und Latein-Lehrer gesucht würden, am liebsten mit einer Fremdsprache in Kombination. Der Großteil von uns Referendaren sollte also gar nicht berücksichtigt werden. Stattdessen wurde betont, dass sich unsere Einstellungschancen signifikant erhöhten, wenn wir die Bereitschaft zeigten, auch an Grundschulen, Mittelschulen oder Berufsschulen und vor allem in ländliche Gegenden wie Zwickau, Bautzen oder Chemnitz gehen zu wollen.

Für viele wäre das vielleicht sogar eine vorübergehende Alternative gewesen. Als sich aber auf Nachfrage herausstellte, dass eine kurz- oder mittelfristige Rückkehr ans Gymnasium – für das wir ja ausgebildet sind – nicht zugesichert werden kann, machte sich rasch Enttäuschung und Wut unter den Referendarinnen und Referendaren breit.

Ich finde diese Vorgehensweise einfach nur frech – gegenüber uns ausgebildeten Gymnasiallehrern, aber vor allem auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der anderen Schularten. Deren spezifische Ausbildung, die vor allem an der Grundschule völlig andere Pädagogik und Didaktik, werden völlig diskreditiert. In der Grundschule werden doch die Grundlagen für den Erfolg der Schullaufbahn gelegt und dann wird jemand eingestellt, der dafür gar nicht ausgebildet ist, in so einem wohlhabenden Land wie Sachsen! Immerhin wird ein Kompaktkurs “Grundschulpädagogik” für die willigen Wechsler angeboten. Der blanke Hohn. Dass sich das Amt so etwas leistet, ist mir völlig unverständlich. Dabei kann man ja prinzipiell über alles reden: Vorstellbar wäre sicher, an einem Gymnasium angestellt zu sein und in diesem Rahmen mit entsprechender Ausbildung auch Stunden an einer Mittelschule oder Grundschule zu geben, aber Vollzeit Grundschule ohne Ausbildung und ohne Garantie, zurückkommen zu können, ist für viele ein absolutes “No Go”. So geht man nicht mit zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern um, die gerne und motiviert ihren Beruf ausüben wollen. Deswegen haben wir die Rede so gehalten.

Diese war überaus mutig und schlug ziemlich ein …

Alles begann im April, bei der letzten Gruppensprechersitzung. Wir machten uns gemeinsam mit der Leitung der Ausbildungsstätte Gedanken über den Ablauf der Zeugnisvergabe. Um den Punkt “Rede der Referendare” wollten sich fünf von uns kümmern, eine kleine Kommission war geboren. Gemeinsam entschieden wir, Vertreter aller großen Landtagsparteien, Gewerkschaftsvertreter, Vertreter der Leipziger, sächsischen und mitteldeutschen Presse einzuladen, um mit ihnen gemeinsam einen Diskurs anzuregen und die aktuelle Situation der Referendarsausbildung und der sächsischen Bildungspolitik zu reflektieren. Als Frau Kultusministerin Kurth zufällig meiner Ausbildungsschule in Torgau einen Besuch abstattete, lud ich – ohne den Dienstweg zu respektieren – auch sie spontan ein.

Diese Einladung fand den Weg zurück ins Leipziger Amt und war wohl der Auslöser für ein “klärendes Gespräch”. Das Amt zeigte sich gelinde gesagt “verwundert”, dass wir jemanden einladen, ohne den Veranstalter vorher zu fragen. In diesem knapp zweistündigen Gespräch machten mir die Vertreter des SBA-L dann klar, dass sie in der Veranstaltung keine Öffentlichkeit wollen und die Zeugnisübergabe nicht instrumentalisiert werden soll. Leider war es nicht möglich, einen Kompromiss zu finden und die SBA-L für unsere Vorstellung unserer Zeugnisübergabe zu erwärmen.

Wie haben die Mitreferendare darauf reagiert?

Ich hatte ja schon im Gespräch angekündigt, dass wir damit alle bereits geladenen Gäste wieder offiziell ausladen würden. Dann haben wir jeder eine Umfrage in unseren Seminargruppen gemacht und Handlungsvorschläge erbeten: Von Resignation über den Wunsch nach einer gepfefferten Rede bis hin zu Boykott reichten die Vorschläge.

Viele waren halt entsetzt, dass die Öffentlichkeit von dieser Veranstaltung einerseits ausgeklammert wurde, andererseits aber jeder eine Begleitperson mitbringen durfte. So haben wir den ursprünglich geladenen Gästen zumindest vorschlagen können, als Privatperson und Begleitung eines Referendars an der Veranstaltung teilzunehmen. Mir war weder damals im Gespräch noch ist mir heute klar geworden, wo denn nun der entscheidende Unterschied zur offiziellen Teilnahme und zur Teilname als Privatperson ist, vor allem weil unsere Gäste ja nur stille Zuhörer gewesen wären und erst nach der Zeugnisübergabe mit uns diskutieren sollten. Eine Referendarin, die angesichts ihrer persönlichen Situation richtig sauer war, hat schließlich die Presse wieder eingeladen. Ein Fernsehteam des MDR war vor Ort und in der LVZ erschien ein größerer Artikel.

Wie fielen die Reaktionen auf die Rede aus?

Überaus positiv. Sie wurde für ihre Ehrlichkeit und Bissigkeit von vielen Referendaren und Ausbildern gelobt. Auch in der Schule bekam ich viel Zuspruch, sogar von einigen Schülern.

In dieser Rede werden mehrere Aspekte der Ausbildung kritisiert. Unter anderem hinterfragen Sie die Auswahl und Ausbildung der Mentoren, also der erfahrenen Lehrer, die die Referendare die zwei Jahre betreuen.

Es ist kritisch zu hinterfragen, ob es ausreicht, dass pro Schule nur ein Mentor zu der entsprechenden Fortbildung fahren kann und dann die übrigen Mentoren der Schule über die Inhalte informiert. Einige Referendarinnen und Referendare mussten leider erleben, dass ihre Mentoren nicht auf ihre wichtige Aufgabe vorbereitet waren. Ich habe auch von Fällen erfahren, dass die Schulleitung Lehrer auswählt, die sonst für kaum eine außerunterrichtliche Aufgabe einsetzbar sind. Das merkt man dann als Referendar leider auch.

Außerdem nahmen Sie in der Rede Bezug auf die zunehmende Belastung der Lehrkräfte …

Die Lehrerschaft wird immer älter und die Klassen werden größer. Ich selbst hatte vergangenes Schuljahr 28 Kinder in der 6. Klasse Französisch. Da kann man schnell ausrechnen: Wenn ich nichts sage, dann kann im Unterricht jeder Schüler etwa drei Minuten zu Wort kommen. Das ist in einer Fremdsprache eine sehr ungünstige Voraussetzung.

Dazu gibt es jetzt eine Vergleichsarbeit hier, eine dort, da ein Wettbewerb, der von den Lehrern korrigiert werden soll, Klassenleiterstunden et cetera. Die Lehrer stöhnen einfach nur noch. Wir Referendare konnten das jeden Tag im Lehrerzimmer erleben. Selber hatten wir ja noch nicht so viel Unterricht und sind vielleicht frisch von der Uni noch anders motiviert. Aber die gestandenen Lehrer so zu sehen, macht schon nachdenklich. Wie wird man selber mal in zwanzig, dreißig Jahren? Viele Lehrer kommen früh schon schlecht gelaunt in der Schule an, dabei sollte es doch zu unserer Professionalität gehören, eine positive Grundstimmung zu verbreiten.
Die Anforderungen von außen und der Anspruch an einen selbst sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Für Referendare gibt es die kostenlose Supervision als Form der Psychohygiene. Lehrer müssen für solche Angebote meines Wissens zahlen. In der freien Wirtschaft unterstützen schon zahlreiche Unternehmen entsprechende Initiativen. Wie viele Lehrer werden krank und was wird wirklich dagegen getan, um diese Zahl zu reduzieren?

Sie haben Glück, denn Sie haben eine staatliche Stelle bekommen. Was haben die anderen getan, nachdem sie kein Angebot bekommen haben?

Ich kenne Referendare, die gehen nach Nürnberg, nach Berlin, nach Brandenburg. Andere werden an Privatschulen angestellt. Auswandern ist eigentlich das, was wir geschlossen machen müssten, damit die Politik sieht, dass die Situation für uns Absolventen hier eigentlich nicht mehr tragbar ist.

Ich bin aber auch sicher, dass sich da was ändern wird. Ab 2016/2017 müssen sie 1.600 Lehrer jährlich einstellen. Und da ist noch gar nicht die steigende Schülerzahl eingerechnet. Grundsätzlich verstehe ich natürlich den Finanzminister, dass er nicht 500 Leute einstellt, die dann nicht gebraucht werden. Aber warum wird das Ganze nicht gleich ein bisschen stringenter geplant? Eine Ausbildung nach Bedarf kann an der Uni schon losgehen. Da gibt es doch verschiedene Modelle, wie die Studierendenzahlen gelenkt werden können. Zum Beispiel sollten die Lehramtsanwärter vorher wissen, wie die Einstellungsmöglichkeiten sind. Hier ist schlicht ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Transparenz gefragt.

Fühlt sich Ihre Generation getäuscht?

Absolut. Die Krönung war das Grußwort der Kultusministerin zur Zeugnisübergabe, das aufgrund ihrer Abwesenheit verlesen wurde. Sie sagte sinngemäß: “Und wir brauchen in Sachsen unbedingt gut ausgebildete Lehrer. Wir brauchen Sie an den Gymnasien in den Fremdsprachen und in den Naturwissenschaften. Werden Sie also Lehrer. Am besten hier in Sachsen, hier in Ihrer Heimat. Aber ich bitte Sie, lassen Sie sich schulartfremd einsetzen.” Und das zu einer Zeugnisübergabe für zukünftige Gymnasiallehrer. Das ist unglaublich. Die Referendare haben gegrölt.

Sie kritisieren außerdem die Kaschierung des zunehmenden Unterrichtsausfalls, den es doch eigentlich nicht gibt. Wie sieht die Realität aus?

Ausfall ist an der Tagesordnung. Was bei uns ausfällt…Da ist Fortbildung, da ist Seminar und irgendwie wird dann vertreten, was wiederum eine zusätzliche Belastung ist. Manche haben in Stoßzeiten drei bis vier Stunden pro Woche vertreten. Die Länge der Ausfallpläne ist enorm, erst recht, wenn Lehrer monatelang ausgefallen waren. Da wurden Kurse zusammengelegt oder Unterricht gekürzt. Es gibt schlicht keinen Ersatzlehrer, der in solchen Fällen einspringen kann, wie ich es beispielsweise in Frankreich kennengelernt habe. Sechs Wochen dort und zwei Monate da zu sein, ist sicher nicht schön, aber es wäre ein erster Schritt. Den gesamten Ausfall kann man nicht verhindern, aber die klassische “Beinbruch-Vertretung” wäre möglich. Ich hatte den Eindruck, dass sich meine Schulleitung da manchmal allein gelassen fühlte. Weil alles auf Kante genäht ist, gibt es keinen Ersatz. Immerhin werden jetzt Gelder für die Unterrichtssicherung bereit gehalten. Mal sehen, wie sich das im kommenden Schuljahr auswirkt.

Herr Toense, wie sieht die Lösung all dieser Problem aus?

Sicher gibt es nicht die eine Lösung. Wichtig ist, dass es in Bewegung bleibt, dass an der Verbesserung des Systems gearbeitet wird. Meine Idee ist eine überparteiliche Bildungsübereinkunft im Landtag. Es muss geklärt werden: Was ist uns wichtig an unserer Bildung, an welchen Kriterien orientiert sie sich? Dass Schüler nicht in einem Jahr fünf verschiedene Fachlehrer haben etwa, dass Lehrer auch krank werden können, ohne dass das ganze System zusammenbricht, dass die Klassen maximal 28 Schüler haben, Sprachklassen weniger … Und am Ende steht dann eine Zahl, und dann kostet das soviel und fertig. Somit ist auch ausgeschlossen, dass Herr Unland im Mai noch ein paar Millionen in einer Schublade findet und damit dann die komplette Planung “durcheinanderbringt”. Ich bin der Meinung, dass Bildung eigentlich relativ gut planbar ist, weil man ja immer ein paar Jahre Vorlauf hat.

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